An-Institut der Stiftung Weltethos
an der Universität Tübingen

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Weichenstellung für die Finanzwirtschaft: Klimaschutz und Nachhaltigkeit als Leitmotiv

Bundesregierung beschließt „wegweisende Strategie für Nachhaltige Finanzierung“

Das Bundeskabinett hat am 05.05.2021 die erste deutsche Strategie für Nachhaltige Finanzierung („Sustainable Finance“) beschlossen – so gleichlautende Medienmitteilung aus BMF und BMU. Die von beiden Ministerien gemeinsam verantwortete Strategie verfolgt demnach das Ziel, „dringend notwendige Investitionen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu mobilisieren und adressiert zugleich die zunehmenden Klimarisiken für das Finanzsystem. Die Deutsche Sustainable Finance-Strategie steht für eine neue Weichenstellung im Finanzsystem, mit der Klimaschutz und Nachhaltigkeit zentrales Leitmotiv werden. Damit baut die Bundesregierung Deutschland zu einem führenden Sustainable Finance-Standort aus. Zu dem wegweisenden Maßnahmenkatalog zählen Umschichtungen der Anlagen des Bundes in nachhaltige Anlageformen, Nachhaltigkeits-Kennzeichnungen für Verbraucher*innen (Nachhaltigkeitsampel) und neue Nachhaltigkeits-Berichtspflichten für Unternehmen.“

Bundesfinanzminister Olaf Scholz: „Wir haben heute einen weitreichenden Beschluss gefasst. Unsere Strategie für Nachhaltige Finanzierung beinhaltet eine entscheidende Weichenstellung für die Finanzwirtschaft: Klimaschutz und Nachhaltigkeit werden zum Leitmotiv. Und das ist wichtig, denn der Finanzmarkt kann Billionen von Euro in Richtung Klimaschutz und Nachhaltigkeit bewegen. Nachhaltig investieren bedeutet, Geld zukunftsorientiert anzulegen und damit den Strukturwandel zu unterstützen. Das ist eine Win-win-Situation. Wir sorgen für den Schutz unserer Umwelt und der stetig wachsende Investitionsbedarf ermöglicht es Anlegerinnen und Anlegern, von den neuen Entwicklungen zu profitieren. Daher ist der Finanzmarkt bei der Transformation unserer Wirtschaft ein wichtiger Partner. Mit Nachhaltiger Finanzierung werden wir den nötigen sozial-ökologischen Umbau gemeinsam sehr viel schneller schaffen. Und diese Chancen ergreifen wir, um Investitionen in nachhaltige Projekte fließen zu lassen.“

Bundesumweltministerin Svenja Schulze: „Auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu setzen, ist auch ökonomisch die richtige Strategie. Die Sustainable Finance-Strategie wird dabei helfen, die dringend nötigen Investitionen für den Klima- und Umweltschutz zu mobilisieren. Sie ist damit auch ein wichtiger Hebel für die Modernisierung unserer Volkswirtschaft. Viele Investoren haben längst verstanden, dass sie mit nachhaltigen Zukunftstechnologien langfristig die besten Geschäfte machen. Der Finanzmarkt braucht Klarheit darüber, welche Investitionen sich künftig noch lohnen – und welche zu riskant werden, weil sie Geschäftsmodelle der Vergangenheit finanzieren. Damit dieser Ansatz wirkt, müssen die Definitionen stimmen, was nachhaltig ist und was nicht. Darüber verhandeln wir gerade auf europäischer Ebene. Für die Bundesregierung ist klar: Atomkraft kann nicht nachhaltig sein. Wer das Gegenteil behauptet, gefährdet die Glaubwürdigkeit einer nachhaltigen Finanzmarktpolitik. Atomenergie ist wirtschaftlich nicht mehr rentabel, sie ist nicht sauber und birgt unvermeidbare, große Restrisiken, die nicht mehr auf die Allgemeinheit abgeladen werden dürfen.“

Die Sustainable Finance-Strategie enthält ein umfassendes Paket von insgesamt 26 Maßnahmen. Zu den Änderungen gehören etwa eine Nachhaltigkeitsampel für Finanzprodukte, an der sich Anleger orientieren können, und die Pflicht zu umfassenden Nachhaltigkeitsberichten für börsennotierte und große Unternehmen. Auch der Bund verpflichtet sich, seine Aktienanlagen in nachhaltige Anlagen umzuschichten.Folgende wegweisende Schritte sind u.a. vorgesehen, um Finanzierungen für nachhaltige Investitionen zu mobilisieren und damit unsere Lebensgrundlagen zu schützen, Klimarisiken zu reduzieren und die Finanzmarktstabilität zu stärken:

Umschichtung von Aktienanlagen des Bundes in nachhaltige Anlagen

Mit der Sustainable Finance-Strategie betont der Bund seine Rolle als Vorbild bei der nachhaltigen Finanzierung: Die unterschiedlichen Versorgungsfonds des Bundes werden ihre Aktienanlagen Schritt für Schritt in Nachhaltigkeitsindizes umschichten. Die Treibhausgasemissionen der Aktienportfolios müssen demnach kontinuierlich sinken, um daraus resultierende Klimarisiken zu reduzieren. Dabei handelt es sich um ein Anlagevolumen von derzeit rund neun Mrd. Euro.

Weiter wird der Bund mit den Grünen Bundeswertpapieren zur Weiterentwicklung des Markts für nachhaltige Finanzinstrumente beitragen. Zukünftig sollen Grüne Bundeswertpapiere in weiteren Laufzeiten begeben werden, so dass eine grüne Bund-Renditekurve etabliert und zur Referenzgröße im grünen Euro-Kapitalmarkt werden kann. So stärkt der Bund die Preistransparenz und Entwicklung des grünen Finanzmarktes.

Meilenstein für Nachhaltigkeits-Transparenz bei Unternehmen und Finanzanlagen

Die Sustainable Finance-Strategie setzt zudem auf mehr Transparenz. Transparenz ist die zentrale Grundlage für den Erfolg von Sustainable Finance bei den Anleger*innen. Die Bundesregierung will daher für verlässliche und vergleichbare Informationsangebote sorgen, die zeigen, wie sich Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen auf die Geschäftsmodelle der Unternehmen auswirken und welche Auswirkungen die Unternehmenstätigkeit auf Umwelt- und Menschenrechte hat.
Nachhaltigkeitsrisiken, die aus dem Klimawandel, der Transformation zu einer treibhausgasneutralen Wirtschaft, Naturkapitalverlust, Menschenrechtsverletzungen oder auch Pandemien resultieren, bergen finanzielle Risiken für die Realwirtschaft und direkt oder indirekt für die Finanzindustrie. Werden diese Risiken erkannt und berücksichtigt, macht das das Finanzsystem stabiler. Die Sustainable Finance-Strategie folgt dabei dem „Environment Social Governance-Ansatz“, setzt auf Transparenz, Bewusstsein und konsequente Entwicklung neuer Methoden und Instrumente.

Nachhaltigkeitsampel für mehr Klarheit für Anleger*innen

Für Privatanleger*innen und soll es künftig eine Nachhaltigkeitsampel für Finanzprodukte geben. Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit ihr Geld nach ökologischen und sozialen Kriterien investieren möchte. Das soll damit leichter möglich sein. Ein solches Ampelsystem kann auf den geprüften Nachhaltigkeitsberichten und der EU-Offenlegungsverordnung aufbauen und auf den ersten Blick deutlich machen, ob ein Unternehmen Umweltschutz und Menschenrechte ernst nimmt. Eine schnelle EU-weite Lösung wäre hier die erste Wahl. Sollte dies nicht gelingen, wird die Bundesregierung einen eigenen Vorschlag für eine nationale Nachhaltigkeitsampel erarbeiten.

Umfassende Nachhaltigkeitsberichte sollen verpflichtend werden

Mit der Sustainable Finance-Strategie hat sich die Bundesregierung zudem auf einen Katalog von Anforderungen für die sogenannte nichtfinanzielle Unternehmensberichterstattung geeinigt. Diese wird die Bundesregierung in die anstehenden Verhandlungen für eine neue, ambitionierte CSR-Richtlinie der EU einbringen. Künftig müssen demnach alle börsennotierten Unternehmen und großen Unternehmen mit Haftungsbeschränkung Nachhaltigkeitsberichte vorlegen. Die Nachhaltigkeitsberichte müssen zudem bestimmte Mindestvorgaben einhalten. Beispielsweise müssen Unternehmen ihre Klimarisiken transparent machen. Die Berichte müssen durch Abschlussprüfer testiert werden, um Greenwashing zu vermeiden.

Bundesregierung stärkt Nachhaltigkeit bei Risikomanagement und Aufsicht

Die Bundesregierung wird eine Szenario-Studie zu physischen Klimarisiken für Real- und Finanzwirtschaft in Deutschland in Auftrag geben. So werden Methoden und Daten verbessert und einzelne Akteure können bereits durch die Übung ihre eigenen Risiken identifizieren und in ihre Risikomanagementsysteme aufnehmen. Ziel ist, dass Unternehmen darauf basierend Risiken besser erkennen und mit ihnen umgehen können.

Das Bundesministerium der Finanzen erarbeitet noch im Jahr 2021 ein Konzept, wie die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) organisatorisch unterstützt wird, z.B. durch angemessene personelle und technologische Ressourcen. Darüber hinaus wird die BaFin in einem Bericht bis Herbst 2021 aufzeigen, wie mit weiteren Behörden der Bundesregierung, wie beispielsweise dem Umweltbundesamt (UBA) und dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrollen (BAFA), besser kooperiert werden kann, um die dort vorhandene Nachhaltigkeitsexpertise zu nutzen.

KfW wird zur international führenden Transformationsbank

Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ist global aufgestellt und zählt bereits heute zu den weltweit größten Förderbanken. Im Bankgeschäft adressieren die KfW-Finanzierungen bedeutsame Megatrends wie etwa Klimawandel und Umwelt, Globalisierung und sozialen Wandel.

Die Bundesregierung wird die KfW bei der Umsetzung ihrer ambitionierten Sustainable Finance-Agenda weiter unterstützen. Die KfW hat sich zum Ziel gesetzt, die Wirkungen ihrer Finanzierungen zu messen sowie ihre Paris-Kompatibilität sicherzustellen. Damit wird erreicht, dass die KfW auch in Zukunft ein starker Partner der Realwirtschaft für die Finanzierung der sozial-ökologischen Transformation bleiben wird.

Bundesregierung bringt Sustainable Finance auf der europäischen Ebene voran

Entscheidend für den Erfolg dieser Instrumente ist die richtige Definition von Nachhaltigkeit. Welche Aktivitäten als nachhaltig gelten, wird derzeit auf europäischer Ebene in der sogenannten „Taxonomie“ verhandelt. Mit ihrer Sustainable Finance-Strategie stellt die Bundesregierung ihre Position klar, dass Atomkraft nicht als nachhaltig gelten kann. Atomkraft verursacht Müll für 300.000 Generationen. CO2-arm ist sie nur im Normalbetrieb, birgt jedoch unvermeidbare Restrisiken: Reaktorunfälle können ganze Landstriche unbewohnbar machen. Auch für die Akzeptanz nachhaltiger Finanzprodukte in der Bevölkerung wäre eine europaweite Einstufung von Atomkraft als „nachhaltig“ aus guten Gründen fatal.
All diese Maßnahmen werden dazu führen, dass Kapital verstärkt in die Investitionen fließt, die Europa für den sozial-ökologischen Umbau hin zur Klimaneutralität braucht. Die Europäische Kommission schätzt den Investitionsbedarf in diesem Jahrzehnt auf jährlich rund 350 Mrd. Euro.

Der Abschlussbericht des Sustainable Finance-Beirats vom 25. Februar 2021 „Shifting the Trillions – Ein nachhaltiges Finanzsystem für die Große Transformation“ war eine zentrale Grundlage bei der Erstellung der Deutschen Sustainable Finance-Strategie.

Die Sustainable Finance-Strategie unter www.bmu.de/DL2705

Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) begrüßt die Strategie, weist jedoch auf die fehlende Investitionssicherheit für Brückentechnologien hin. Klimaneutralität darf nicht gegen Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit ausgespielt werden. Ingbert Liebing, VKU-Hauptgeschäftsführer:

„Das Ziel der Bundesregierung ist ambitioniert: Unser Land soll zu einem führenden Sustainable Finance Standort in der Welt werden. In der Strategie finden sich gute Ansätze: etwa die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand, die indirekt auch kommunale Unternehmen auf ihrem Weg zu klimaneutralen Kommunen bestärkt. Wichtiger als ambitionierte Ziele ist, dass die Bundesregierung mit der Strategie nicht neue Hindernisse auf dem Weg zur Klimaneutralität schafft. Die Energiewende-Macher vor Ort brauchen Investitionssicherheit. Klare und verlässliche Rahmenbedingungen für Investitionen in Brückentechnologien wie Gas fehlen jedoch. Hier muss die Bundesregierung bei der DSF-Strategie und insbesondere bei der konkreten Ausgestaltung der EU-Taxonomie klar und -vor allem-  künftig geschlossen Position beziehen: Wir brauchen Investitionssicherheit für Gas, um Klimaschutz, Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit zu vereinen, statt gegeneinander auszuspielen.“

Hintergrund: Warum Investitionssicherheit für Gas-KWK entscheidend für Versorgungssicherheit ist

Zentral ist die Frage, ob Investitionen in Brückentechnologien wie Kraft-Wärme-Kopplung für den weiteren Weg zu klimaneutralen Kommunen als nachhaltig angesehen werden. Für Klimaneutralität muss die zentrale Energieversorgung mit wenigen, großen Atom- und Kohlekraftwerken zu einer dezentralen Energieversorgung mit vielen kleinen Erneuerbaren-Erzeugungsanlagen umgebaut werden –inkl. Investitionen in Ausbau, Transformation und Digitalisierung der Strom- und Gasnetze. Das gelingt nicht auf Knopfdruck, sondern geht mit langen Investitionszyklen einher. Deshalb brauchen kommunale Unternehmen langfristige Investitionssicherheit: Nach Kernkraft- und Kohleausstieg sind gas- und (perspektivisch wasserstoff-) befeuerte KWK-Anlagen die Brücke zur Klimaneutralität. Mit ihnen erhalten sie die Versorgungssicherheit, forcieren die Wärmewende und sorgen für Bezahlbarkeit. Zugleich spart der “Brennstoffwechsel” von Kohle zu Gas schon heute CO2-Emissionen ein. Da KWK von Gas auf Wasserstoff umrüstbar sind, wird der befürchtete Lock-in-Effekt auf Gas ausbleiben.

EU Taxonomie in Brüssel, Deutsche Sustainable Finance Strategie in Berlin: Bundesregierung muss Investitionen in Versorgungssicherheit unterstützen

Bei Brückentechnologien muss die Bundesregierung mit klaren Vorgaben für Investitionssicherheit sorgen -in enger Abstimmung bei den delegierten Rechtsakten zu den Umweltzielen der EU-Taxonomie-Verordnung: Investitionen in Gasprojekte sind entscheidend für den Erfolg der Energiewende und müssen finanzierbar bleiben. Ansätze, wie die Verstetigung eines Austauschs mit Ländern und Kommunen sowie die Weiterentwicklung der KfW zu einer Transformationsbank, weisen auf nationaler Ebene in die richtige Richtung, schaffen jedoch allein nicht das erforderliche Maß an Investitionssicherheit. Auf EU-Ebene hat die Kommission die Bewertung von Erdgasprojekten bei der EU Taxonomie nun ausgelagert: Das darf nicht zu einer jahrelangen Hängepartie in einem europäischen Gesetzgebungsverfahren führen. Für die größte Volkswirtschaft in Europa ist die Frage einer verlässlichen und bezahlbaren Stromversorgung existenziell. Darüber hinaus müssen im Sinne des Green Deal Klimaschutz und Umweltschutz Hand in Hand gehen, wenn es um die Ausgestaltung der delegierten Rechtsakte zur „nachhaltigen Nutzung und zum Schutz von Wasser- und Meeresressourcen“ und zum „Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft“ geht.

Bürokratie oder Benachteiligung? Kommunalen Mittelstand berücksichtigen

Ein weiterer Punkt der DSF-Strategie sind die vorgesehenen Berichtspflichten: Künftig sollen auch Unternehmen der Realwirtschaft mit mehr als 250 Mitarbeitern Daten zur Nachhaltigkeit erheben und dazu berichten. Dies wird künftig wesentlichen Einfluss darauf haben, welche Projekte durch Banken fremdfinanziert werden. Mit Blick auf die Bedeutung der kleinen und mittleren Stadtwerke für die dezentrale Energiewende sollte die Regierung Augenmaß bei der Ausgestaltung der Berichtspflichten walten lassen. Erleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen bei Berichtspflichten dürfen nicht zu einer Benachteiligung bei der Finanzierung führen, sonst könnte die Energiewende empfindlich ins Stocken geraten.

->Quellen und mehr:

Über den Autor:

Dr. Gerhard Hofmann

Dr. Gerhard Hofmann

Agentur Zukunft, bis 2008 TV-Redakteur, u.a. ARD-Korrespondent Südamerika und Chefreporter SWF, Chefkorrespondent n-tv und RTL, Mitglied der FG Finanzen und Wirtschaft des Weltethos-Instituts.