„Gerechtigkeit für die Natur“
Gastbeitrag von Irene Schöne
Der Klimawandel ist menschengemacht, wie der Anstieg der Kohlendioxidemissionen seit Beginn der Industrialisierung zeigt. Um ihn zu begrenzen, müssen wir unsere Beziehungen zur Natur verändern. Dazu sollen z. B. CO2-Emissionen bepreist werden. Das schlagen Umweltökonomen und Grüne Ökonomen vor. Damit bleiben sie innerhalb des heute vorherrschenden Verständnis vom Wirtschaften.
Solche Vorschläge blenden nämlich aus, dass sich nicht nur unser praktisches Handeln in Bezug auf unsere eigene wie die äußere Natur ändern muss, sondern auch die solches Handeln legitimierende Theorie. Diese stellt nämlich nicht eine sogenannte „natürliche Ordnung“ dar, sondern beruht auf Ansichten aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Natur/Boden und Arbeit werden darin so betrachtet, als seien sie Objekte menschlicher Verfügung, einsetzbare Waren zum Ziel der Kapitalverwertung, wie das erstmals Thomas Hobbes im Leviathan 1651 formulierte. Das hat wenig mit einer Einsicht in die Natur der Dinge zu tun, aber viel mit historischer Kultur.
Wir sind heute gezwungen, eine andere kulturelle Form des Umgangs mit Natur zu entwickeln – genauso wie die Naturwissenschaften vor hundert Jahren die moderne Physik entwickelt haben (u. a. Einstein, Planck, Heisenberg) -, denn seine Beibehaltung oder sogar noch Ausweitung ist bedrohlich für alles Leben. Das ist uns heute bewusst.
Bisher geht Wirtschaftstheorie von Modellannahmen über die Natur von Natur/Boden und Arbeit aus, von „Als-ob„-Fiktionen (Karl Polanyi). Dafür gibt es natürlich Gründe. Doch wenn solche Annahmen Folgewirkungen wie die Klimakatastrophe haben, dann ist es höchste Zeit, sie zu überprüfen. Damit wird die bisherige „Kunst der Kapitalverwertung“ (Ekkehard Kappler) zur Wissenschaft weiterentwickelt, mit eindeutigen, realitätsgerechteren Definitionen. Ein verengtes und statisches Weltbild (Peter Bendixen) von Natur/Boden und Arbeit wird erweitert. Daran arbeite ich seit Jahren.
- Natur ist nicht länger nur ein uns externes Objekt, sondern zuvörderst die Lebensgrundlage aller Organismen. Adam Smith beschrieb bereits hundert Jahre vor Darwin den Menschen als „human animal“.
- Arbeit ist eine vom Menschen untrennbare Fähigkeit, die er immer selbst anwenden muss. Damit stellt sich die Frage – und die kann heute beantwortet werden – warum wir bisher von diesr uns innewohnenden Fähigkeit nur die monetär bewertete, abhängige Beschäftigung wahrnehmen. Auch muss das Verständnis von Arbeit sowohl in den Natur-, als auch in den Kulturwissenschaften übereinstimmen. Unterschiedliche Definitionen sind wissenschaftlich gesehen nicht länger möglich. Arbeit ist lebensnotwendige Beziehungsfähigkeit, durch die wir mit anderen Menschen wie mit der uns äusseren Natur historisch unterschiedliche Beziehungsformen eingehen, unabhängig davon, ob sie von Unternehmern, Arbeitnehmern oder Hausarbeiter(inne)n geleistet wird; und bestimmt kein „Humankapital“. Wir sprechen nun von unseren eigenwirtschaftlichen Aktivitäten, von Eigenarbeit (E. und C. von Weizsäcker), wo bisher die Rede von passivem Konsum war.
Wenn wir als natürliche Lebewesen und die außermenschliche Natur zueinander in Beziehung treten, also auf beiden Seiten Natur steht, dann kann es nicht länger um Objektverfügungen des einen über das andere, sondern dann muss es um wechselwirkende Beziehungen gehen.
Natur erhält damit Subjektstatus. Ihr wird ein Eigenwert zuerkannt. Adam Smith schrieb beispielsweise, dass „nature labours alongside man„. Und nun wir können auch wahrnehmen, dass es sich bei der uns externen Natur nicht nur um unsere Umwelt, sondern um unsere MitWelt (Klaus-Michael Meyer-Abich) handelt.
Infolgedessen braucht Arbeit auch nicht nur als Kostenfaktor in die Produkte einzugehen, sondern kann als eine eigenständige Dienstleistung in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung aufgelistet werden. Damit kann ein Zuwachs von Arbeitsplätzen und mithin eine stärkere Beteiligung von Menschen im Wirtschaftsprozess angestrebt werden – nicht bloßs eine Minimierung von Arbeitskosten.
Der Fokus auf die Beziehungen zwischen menschlicher Arbeit und außermenschlicher Natur im stetigen reziproken Austausch stellt einen Paradigmenwechsel dar. Ich halte einen solchen wissenschaftlichen Ansatz für realitätsgerechter und für fairer. Daher habe ich ihn „Fair Economics“ genannt. Nun gelingt es viel besser, die drei unterschiedlichen Wirtschaftsformen zu unterscheiden:
- Form 1: ist der direkte, unmittelbare und unvermittelte Austausch, von Aristoteles bezeichnet mit oeconomia, dem Gesetz des ganzen Hauses oder als Naturökonomie (auch von Charles Darwin und Alexander von Humboldt).
- Form 2: ist der indirekte Tausch vermittelt durch das vor rund 7.000 Jahren erfundene Tauschmittel Geld, die Kulturökonomie (Peter Bendixen),
- und Form 3: ist die Zweck-Mittel-Vertauschung, in der das Tauschmittel Geld zum alleinigen Ziel des Tausches gemacht wird, der Ökonomiekult (Irene Schöne). Aristoteles nannte sie chrematistike und hielt sie für „nicht-natürlich“, sie ist ja auch eine kulturelle Erfindung.
Alle drei Formen des Austauschs finden sich in der wirtschaftlichen Realität, jedoch werden die ersten beiden ausgeblendet. Wir konzentrieren uns bisher lediglich auf Form 3. Mit einer solchen modernisierten Theorie wird Schäden von vornherein vermeidendes, vorsorgendes Wirtschaften möglich, denn jetzt können sowohl seine Vorbedingungen wie auch seine Folgewirkungen Berücksichtigung finden. Die herrschende Theorie kennt demgegenüber weder Vor-, noch Rücksichten, sie ist selbstbezogen. Und jetzt sehen wir auch ein, dass wir nicht nur Täter, sondern auch Opfer der Klimakatastrophe sind.
Mit einer solchen Modernisierung der Wirtschaftstheorie gelingt es, neue Instrumente zu begründen, die einen nachhaltigen Umgang mit Mensch und Natur ermöglichen, wie z. B. die Integrierte Berichterstattung. Damit orientieren wir unser Handeln nicht nur am finanziellen Profit für Menschen, sondern verbindlich auch am Profit für die Natur. Die Entlastung der Natur wird zum zweiten, gleichberechtigten Ziel.
Berichtet wird in physikalischen Größen, denn Geld hat für Natur keine Bedeutung. Natur hat auch nie ein Medium für ihre Austauschbeziehungen entwickelt. Das ist menschengemacht, das ist Kultur.
Und noch einige grundsätzliche Anmerkungen:
Es ist Aufgabe von Wissenschaft zu prüfen, ob eine Theorie die Realität exakt und eindeutig, objektiv und richtig abbildet. Das tut Wirtschaftstheorie bisher nicht, sondern sie geht noch immer von der Aktualität 300 Jahre alter Modellannahmen aus. Das ist im 21. Jahrhundert zu überprüfen. Das ist im 21. Jahrhundert zu modernisieren.
Wissenschaft muss sich immer an ihren Folgewirkungen messen, und, wenn diese lebensbedrohlich sind, Wege zu ihrer Vermeidung aufzeigen. Sie darf sie nicht einfach in Kauf nehmen und argumentieren, es gäbe keine Alternative, so als ob ihre Aussagen auf Naturgesetzmäßigkeiten beruhte.
Es ist Aufgabe von Wissenschaft, Theorien zu modernisieren, wenn diese sich als schadensbehaftet und unzureichend erwiesen haben. Leider beschränken sich heute jedoch die herrschende Politische Ökonomik (ein Ausdruck von Adam Smith) wie Politik darauf, lediglich eine Teilhabe an Kapitalgewinnen zu organisieren. Das greift natürlich viel zu kurz.
Irene Schöne, Wirtschaftswissenschaftlerin und Politikerin, studierte in Hamburg und initiierte dort die erste „Sommerhochschule“. Von 1983 bis 1987 war sie gewähltes Mitglied im Vorstand des Öko-Instituts Freiburg und gründete die Arbeitsgruppe „Ökologisches Wirtschaften“. Nach ihrer Promotion an der Universität Kassel war sie Mitbegründerin des Instituts für Oekologische Wirtschaftsforschung (IOEW) in Berlin. 1997 wurde sie zur Vorsitzenden des Umweltbeirates der UmweltBank AG, Nürnberg, ernannt. Heute ist sie Vorsitzende des Aufsichtsrates. In Schleswig-Holstein erreichte sie, dass die bisherige Aufsummierung aller Umsätze am Markt als „Bruttoinlandsprodukt“, d. h. als positives Wachstum im Sinne einer umweltökonomischen Gesamtrechnung, in der die bloß kompensatorischen Kosten abgezogen statt aufsummiert werden müssten, weiter entwickelt werden muss.
Der Fokus ihrer wissenschaftlichen Arbeit liegt aktuell auf der Modernisierung der ökonomischen Theorie vor dem Hintergrund von Umweltkrisen, Klimawandel und Biodiversitätverlust. Ihr jüngstes Buch, „Fair Economics – Nature, Money and People beyond neoclassical thinking“, erschienen 2015, analysiert sowohl das Natur-, als auch das Arbeits-Verständnis der Mainstream-Ökonomik, das auf das 18. Jahrhundert zurückgeht und für das 21. Jahrhundert nicht länger angemessen ist. Von 1978 bis 1982 war Irene Schöne (SPD-)Abgeordnete in der Hamburgischen Bürgerschaft.