An-Institut der Stiftung Weltethos
an der Universität Tübingen

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Award für Paper zu Responsible Business Education

Es ist eine herausragende wissenschaftliche Würdigung, die die Autor:innen des Papers „Leaving the Road to Abilene: A Pragmatic Approach to Addressing the Normative Paradox of Responsible Management Education“ am 10. Februar erhalten haben. Ihr gemeinsamer Artikel ermögliche es Menschen, sich selbst, andere und die Gesellschaft besser zu verstehen, so die Chefredakteure des Journal of Business Ethics. Insbesondere der pädagogische Ansatz der Arbeit, der den von Dr. Christopher Gohl am Weltethos-Institut entwickelten und dort implementierten Lehransatz vorstellt, sei Begründung für die Verleihung des ersten R. Edward Freeman Journal of Business Ethics Philosophy in Practice Best Paper Award. Dieser Preis wird ab 2022 jährlich für die beste Arbeit verliehen, die einen philosophischen Ansatz zur Untersuchung und Verbesserung der Unternehmenspraxis heranzieht.

Es ist früh am Morgen des 10. Februar 2022, als Prof. Dirk Moosmayer von der Kedge Business School in Frankreich und seine Co-Autor:innen Prof. Sandra Waddock (Carroll School of Management, Boston College), Prof. Long Wang (California Polytechnic State University), Prof. Matthias Hühn (Saint Vincent College), Prof. Claus Dierksmeier (Universität Tübingen) und Dr. Christopher Gohl vom Weltethos-Institut die freudige Nachricht per E-Mail erhalten. Sie werden für ihren gemeinsamen Aufsatz mit dem ersten R. Edward Freeman Journal of Business Ethics Philosophy in Practice Best Paper Award gewürdigt. „Your paper’s analysis offers something that anyone can use to understand themselves, others, and society more generally in a variety of contexts”, steht in der Preisverkündung. Und: “Empirical work should thoroughly describe and interpret the meaning of observations, as well as offer insights into future practice, and for this and other reasons the educational purpose in your paper made it stand out.”

Die Zukunft der (Business) Education?

Die Autor:innen greifen in ihrem Aufsatz ein fundamentales, vielfach beschriebenes Problem der bisherigen Managementlehre an Universitäten auf: Wirtschaftspädagogen wollen durch ihre Ausbildung zwar soziale Werte, gesellschaftliche Verantwortung und ethische Gewohnheiten fördern. Aber sie scheitern oft daran, weil sie Theorien verwenden, die egoistisches Verhalten legitimieren und deshalb kontraproduktiv wirken. Das sei ein klassisches sogenanntes Abilene-Paradox, argumentiert der jetzt gewürdigte Artikel: Kollektiv sei Management Education unterwegs zu einem Ziel, das individuell keiner erreichen wolle.

Um das Paradox aufzulösen, verbinden die Autor:innen zwei Ansätze, die Prof. Claus Dierksmeier und Dr. Christopher Gohl am Weltethos-Institut entwickelt haben. Auf Dierksmeier geht das Argument zurück, dass gängige Wirtschaftstheorien Freiheit nur quantitativ verstehen. Freiheit heißt dann, aus möglichst vielen Optionen auswählen zu können. Systematisch ausgeschlossen wird in diesem Verständnis aber die qualitative Frage, was denn überhaupt gute und verantwortliche Optionen ausmacht. Erst wenn Wirtschaftstheorien Freiheit wieder qualitativ verstünden, könne die ethische Reflektion der Verantwortung von Manager:innen und Unternehmen zum selbstverständlichen Teil der Wirtschaftspraxis werden.

Claus Dierksmeier, Gründungsdirektor des Weltethos-Instituts zwischen 2012 und 2018, hatte mit seinem Werk „Qualitative Freiheit. Selbstbestimmung in weltbürgerlicher Verantwortung“ die Grundlage für diesen ersten Schritt der Argumentation gelegt. Er war es auch, der Ende 2012 die Kolleg:innen zur Diskussion über die moralischen Kosten der Lehre egoistischer Theorien zusammenführte. Neben Christopher Gohl gewann er zunächst Dirk Moosmayer für die Idee eines Symposiums auf der Konferenz der Academy of Management (AOM) 2013 in Florida, als Moosmayer, seinerzeit in China tätig, im Elternhaus in Wurmlingen bei Tübingen weilte. Moosmayer wiederum rekrutierte nach Besuchen in Hamburg und Hong Kong mit Matthias Hühn und Long Wang weitere Experten zum Thema. Dierksmeier gewann Sandra Waddock aus Boston hinzu. Anfang August 2013 fügten sich die Perspektiven zum ersten Mal alle auf der AOM-Konferenz zusammen.

Prof. Waddock, eine vielfach ausgezeichnete Pionierin verantwortungsbewussten Wirtschaftens, war es dann, die eine gemeinsame Publikation ermutigte. Sie empfahl, den Beitrag von Christopher Gohl zur dialogischen Orientierung an Unternehmenszwecken auszubauen und als zweiten Schritt zur Auflösung des Paradoxons zu verstehen. Das war eine wichtige Ermutigung, einmal für das noch im Aufbau begriffene Weltethos-Institut. Und zum zweiten für Christopher Gohl, seinen pragmatistischen Ansatz dialogischen Lernens theoretisch und praktisch als Modell der Responsible Management Education zu konkretisieren. Dieser Ansatz prägt heute die Lehre des Weltethos-Instituts, die Gohl koordiniert.

Der Aufsatz knüpft im zweiten Schritt dementsprechend an Dierksmeiers Empfehlung an, über die Wahl zwischen einer Menge bereits bestehender Optionen hinaus Freiheit auch in der Bewertung ihrer Zwecke zu erkennen. Diese Bewertung, so Gohl, könne in der Lehre ja bereits praktisch eingeübt werden. Dialogische Lehre sollte dabei als Untersuchungsprozess verstanden werden, bei dem Studierende den Fokus praktischer Probleme mit dem Fundus bestehender und vielfältiger Theorien vermitteln. Dieser Ansatz stützt sich auf die Ideen des pragmatistischen Philosophen John Dewey.

  • Deweys Handlungstheorie zufolge lösen wir Probleme entweder mit den Routinen gewohnheitsmäßigen Handelns. Oder wir müssen kreativ werden, weil die Routinen nicht mehr greifen.
  • Wenn wir kreativ werden, also etwa unternehmerisch und innovativ handeln, entsteht neues Wissen. Das ist, so beschreibt es Deweys Erkenntnistheorie, ein Lernprozess, bei dem Akteure ihre Freiheit ausprobieren und durch Feedback Anderer lernen.
  • Und zwar lernen sie so, ihre Freiheit effektiv und verantwortlich zu gebrauchen, so Deweys Ethik. Sie kommen nämlich dabei gar nicht umhin, sich auch den Fragen zu stellen, was für Menschen sie sein und in welcher Welt sie leben wollen.
  • Kurz: Sie müssen eine qualitative Sichtweise auf die Möglichkeiten ihrer (so verantworteten) Freiheit entwickeln. Was Dierksmeiers Empfehlung einlöst und so ein Beitrag zur Auflösung des Abilene-Paradoxon sein könnte.
Abb. 1: Figur des Aufsatzes „Leaving the Road to Abilene:
A Pragmatic Approach to Addressing the Normative Paradox of Responsible Management Education“

Auszeichnung für Business Education Modell des Weltethos-Instituts

Mit ihrer Begründung zeigt die Jury des Preises, dass es vor allem diese Verdichtung ist, die das Paper zu einer echten Lernchance für Menschen macht. Dies ist ein Lehr- und Lernansatz, der am Weltethos-Institut bereits seit Jahren praktiziert wird. Unter der Führung von Direktor Prof. Dr. Dr. Ulrich Hemel ist es seit 2018 als „pluralitätsfähiges Identitätslernen für Selbst- und Weltverantwortung“ weiterentwickelt, vertieft und verfeinert worden, etwa durch einen „Methodenkoffer“ zum Erlernen ethischer Sprach- und Urteilsfähigkeit. In dieser Form prägt es heute das universitäre Lehrangebot und ist Maßstab für die Auswahl externer Dozent:innen. Er drückt sich aber auch aus im Angebot der World Citizen School des Instituts („ACT. LEARN. CHANGE. Durch gemeinsames Handeln lernen, die Welt zu verändern.“) und das Executive Education Programm für die „Weltethos Ambassadors“.

Abb. 2: Das Lehr- und Lernverständnis am Weltethos-Institut (Modell von 2017)

Über die Auszeichnung freut sich mit den Autor:innen deshalb das gesamte Weltethos-Institut, das in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen feiert. Für Dr. Christopher Gohl ist es aber eine besondere Ermutigung, seine von John Dewey inspirierte Forschung zu Lernprozessen in der Wirtschaft fortzusetzen: „Der Namenspatron des Awards, R. Edward Freeman, hat mit seiner Schule die Stakeholder-Perspektive begründet. Die hat ihre intellektuellen Wurzeln ebenfalls im Pragmatismus. Und sie wird als Alternative zur Shareholder-Perspektive immer wichtiger.“ Das gelte, so Gohl, nicht nur für die Unternehmens- und Wirtschaftsethik, sondern auch für Praktikerinnen und Praktiker. Ein Beispiel sei die Aufsehen erregende Erklärung des US Business Roundtable von 2019. Mit ihr sei, von Freeman beraten, die Profitmaximierung als Unternehmenszweck verabschiedet worden: „Business Roundtable Redefines the Purpose of a Corporation to Promote ‘An Economy That Serves All Americans'“.

„Bei uns am Institut kann man lernen, was dieser Kurswechsel für die Forschung, Lehre und Praxis verantwortlichen Managements bedeutet“, so Gohl. „Aber Umdenken braucht Zeit, braucht Orte, braucht Offenheit und Neugier. So sehr ich mich über die Würdigung unseres Aufsatzes von 2019 freue, so genau weiß ich: Wir haben alle noch viel dazu zu lernen.“

Text: Anna Tomfeah, Dr. Christopher Gohl