An-Institut der Stiftung Weltethos
an der Universität Tübingen

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Auszeichnung für Dr. Gohl: „Freiheit entsteht im Dialog und bleibt in Verantwortung“

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Dr. Christopher Gohl, Mitarbeiter des Weltethos-Instituts, wurde im Dezember 2024 für seinen Beitrag im Essaywettbewerb der Wirtschaftswoche, des Zentrums Liberale Moderne und der Hertie-Stiftung zum Verhältnis von Wirtschaft und Demokratie mit 3000.- Euro Preisgeld und dem zweiten Platz ausgezeichnet. Unter mehr als 60 Einreichungen überzeugte sein Essay zur Erneuerung von Lebenschancen unter dem Druck ökologischer Krisen. Im folgenden Interview gibt er Einblicke in seine Ideen zum Zusammenspiel wirtschaftlicher und demokratischer Praktiken und deren Verwurzelung im Projekt Weltethos.

Redaktion: Herzlichen Glückwunsch zu Deiner Auszeichnung im Essaywettbewerb! Was hat Dich dazu inspiriert, Deinen Beitrag zu schreiben?

Dr. Gohl: Vielen Dank! Meine Inspiration war die Frage, wie wir die Freiheiten von heute nützen können, um die Freiheiten von morgen zu stützen. Dazu stelle ich die Idee der „verantworteten Freiheit“ vor, wie sie der amerikanische Philosoph John Dewey versteht. Freiheit begreift er ganz praktisch als eine Frucht experimentellen Lernens in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Das wollte ich populär und praxisnah darstellen und zugleich zeigen, was meine Habilitation zu John Deweys Wirtschaftsethik herausarbeitet.

Redaktion: „Verantwortete Freiheit“: Das klingt doch nach Ideen von Claus Dierksmeier und Ulrich Hemel?

Dr. Gohl: Und nach Hans Küng! Weltethos heißt Weltverantwortung im Dialog. Damit sind charakterlich, sittlich und institutionell geformte, wünschenswerte Lebensweisen gemeint, die im Dialog gepflegt werden. Dewey gibt uns einen Schlüssel dazu, Weltethos praktisch umzusetzen. Er schlägt dreierlei vor: Erstens, unsere Lebens- und Wirtschaftsweisen als Experimente des Zusammenlebens zu behandeln. Das macht Küng ja auch, wenn er darauf hinweist, welche Werte und Normen sich weltweit bewährt haben. Zweitens, diese Lebens- und Wirtschaftsweisen im Grunde als Praktiken verantworteter Freiheit zu verstehen. Das entspricht Dierksmeiers Argument zu Weltethos als weltbürgerlich verantworteter Freiheit.

Redaktion: Und Verantwortung gibt’s dann nur im Dialog?

Dr. Gohl: Genau. Im Dialog kriegen wir Rückmeldung, welche Folgen es hat, wenn wir  auf diese oder jene Weise leben, produzieren oder sonst wie handeln. Wenn wir also unsere Freiheit so oder auch anders gebrauchen – verantwortlich oder eben nicht. Deweys dritter Punkt ist deshalb, unsere Lebensweisen immer wieder im Hinblick auf ihre Folgen für künftiges Zusammenleben zu überprüfen und anzupassen. Also: unsere Gewohnheiten, Methoden, Routinen, Verfahren stets daran auszurichten, dass sie ein gutes Leben dauerhaft ermöglichen. Das entspricht der Idee von Hemel, Weltethos als dialogisches Lernprogramm der Selbst- und Weltverantwortung zu begreifen.

Redaktion: Was heißt das für Wirtschaft und Demokratie?

Dr. Gohl: Die Freiheit, so zu leben und zu wirtschaften, wie wir leben und wirtschaften, kann es dauerhaft nur geben, wenn wir sie in Verantwortung für künftige Freiheiten gebrauchen. Wenn wir als Nachbarn oder Vorfahren rücksichtslos leben und wirtschaften, schaffen wir künftige Freiheiten ab. Das hat uns das Bundesverfassungsgericht im April 2021 auch zur Klimapolitik gesagt – ganz im Sinne von Dierksmeiers Verständnis von Freiheit. Unternehmen, die mit Produkten und Dienstleistungen nachhaltigen Mehrwert schaffen, praktizieren verantwortete Freiheit. Sie lernen aus Feedback-Prozessen am Markt, aber auch im Dialog mit der Gesellschaft. Stets gilt: Freiheit entsteht im Dialog und bleibt in Verantwortung.

Redaktion: Dein Essay bezieht sich auch auf Ralf Dahrendorfs Konzept der Lebenschancen. Was verbindet den Begründer der Tübinger Soziologie mit dem Weltethos-Projekt?

Dr. Gohl: Ralf Dahrendorf, der ein Freund Hans Küngs war, hat den Fortschritt der Lebenschancen als zentrales Ziel für Demokratie und Wirtschaft vorgeschlagen. Lebenschancen sind die alltäglichen Freiheiten, ein dauerhaft selbstbestimmtes Leben führen zu können. Dewey und Dierksmeier zufolge müssen wir Wirtschaft, Wissenschaft und Demokratie so organisieren, dass es bessere Lebenschancen für mehr Menschen gibt – besonders angesichts der ökologischen Herausforderungen, vor denen wir stehen.

Redaktion: Was heißt das alles für das Weltethos-Instituts?

Dr. Gohl: Wir sind ein Lernort, an dem Lebens- und Wirtschaftsweisen kritisch, konstruktiv und stets im Dialog bewertet werden. Dafür bringen wir Akteure zusammen, die an zukunftsfähigen Formen des Lebens und Wirtschaftens arbeiten. Mein Essay ist ein Beispiel dafür, wie wir philosophische Ideen in die Praxis übertragen und konkrete Impulse für eine nachhaltige Entwicklung geben können.

Redaktion: Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg!

Dr. Gohl: Vielen Dank! Es war mir eine Freude.