An-Institut der Stiftung Weltethos
an der Universität Tübingen

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Freiheit statt Kapitalismus? – 3. Veranstaltung der Reihe „Klüger wirtschaften“ mit Sahra Wagenknecht und Viktor Vanberg

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„Es geht heute abend nicht darum, Dinge zu sagen, die man schon immer mal sagen wollte, sondern darum, Dinge zu denken, die man schon immer mal denken wollte – und damit geht es um nichts weniger als um die Freiheit.“ Mit diesen Worten begrüßte Dr. Bernd Villhauer als Projektleiter der Veranstaltungsreihe „Klüger wirtschaften“ über dreihundert Besucher am Abend des 28. Juni. Zweihundert Besucher nahmen an der Diskussion im Weltethos-Institut teil, noch einmal einhundert Besucher verfolgten die Veranstaltung im benachbarten Kino Arsenal, wohin sie übertragen wurde. „Gedanken wollen – wie Hunde und Kinder – dass man mit ihnen im Freien spazieren geht“, zitierte Villhauer Christian Morgenstern. In diesem Sinne sei das Weltethos-Institut ein freier Ort – ein Ort freier Gedanken.

Das Projekt Weltethos könne nur in Freiheit gelingen, machte einleitend auch der Direktor des Instituts, Prof. Dr. Claus Dierksmeier, deutlich. Tugend und Einsicht ließen sich nicht erzwingen, Verantwortung und Charakter könnten nur in Freiheit gedeihen. Dass Freiheit den Dreh- und Angelpunkt der Bewertung unseres Wirtschaftssystems ausmachen sollte, darin seien sich deshalb auch Vordenker verschiedenster politischer Couleur durchaus einig, Er zitierte Friedrich August von Hayek, der sein Leben lang hartnäckig gegen den Sozialismus angekämpft habe, aus seinem Hauptwerk „The Constitution of Liberty“: „Selbst wenn eine sozialistische Ordnung mehr und bessere Güter bzw. Dienstleistungen produzieren würde, so sei doch die kapitalistische als die freiheitlichere vorzuziehen“. Ebenso aber rechtfertigten Linke ihr Votum für den Sozialismus, indem sie ausführen, dass der Sozialismus erst die wahrhafte Freiheit ermögliche, während im Kapitalismus Scheinfreiheiten maximiert würden. Welches System erfülle denn nun das Versprechen wirklicher Freiheit? Für die Diskussion dieser Frage gebe das Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ von Sahra Wagenknecht den Anstoß, und genau darum erschiene es ihm, so Dierksmeier, lesenswert und für die Diskussion im „Kritischen Quartett“ bestens geeignet.

Freiheit, sagte auch Dr. Bernd Villhauer, sei ein altes Wort, das aber immer noch leuchte, auch wenn man nicht immer und überall über sie reden könne, ohne dass sie zu einem Kampfbegriff werde. Dank gebühre daher den Verantwortlichen von Stiftung und Institut, dass sie die geistige Freiheit und Souveränität besäßen, auch kontrovers diskutierte Persönlichkeiten wie Sahra Wagenknecht zu einem Gespräch einzuladen. Ihre Thesen zu den Freiräumen in der Ökonomie der Gegenwart und dem Erbe Ludwig Erhards seien auch in wirtschaftsnahen Medien mit kritischem Respekt gewürdigt worden. Mit Professor Viktor Vanberg, so Villhauer, sitze einer der profiliertesten Vertreter des Ordoliberalismus und des Modells der sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland im „Kritischen Quartett“.

Die Politikerin und promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin Sahra Wagenknecht entwerfe in ihrem Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ das Modell eines ‚kreativen Sozialismus‘ und nehme dazu viele ordoliberale Themen auf, sagte Professor Viktor Vanberg in seiner anschließenden kritischen Würdigung des Buches. Positiv bewertete Vanberg, dass Wagenknecht ein Zurück zum gescheiterten Modell des sowjetischen Sozialismus ablehne und die ordoliberale Kritik an den Fehlentwicklungen der Finanzmärkte teile. Mit dem Begriff des ‚kreativen Sozialismus‘ versuche sie, etwas Neues zu formulieren. Doch der Unterschied zwischen ihr und den ordoliberalen Vertretern der Freiburger Schule der Nationalökonomie, liege dabei in der Rezeptur. Er lehne den von Wagenknecht gemachten Vorschlag entschieden ab, alle Bereiche der Grundversorgung in die öffentliche Hand zu überführen. Staat und Wirtschaft – diese beiden Sphären müsse man auch weiterhin trennen: Der Staat solle den Ordnungsrahmen gestalten, nicht aber die Wirtschaft lenken. Doch genau das wolle Frau Wagenknecht, wenn sie zum Beispiel sage, sie wolle für mehr Mitsprache und Demokratie in Unternehmen, ein Ausschüttungsverbot von Firmengewinnen und stattdessen das Geld über eine Stiftung im Unternehmen halten. Die Stiftungsidee, wie Wagenknecht sie formuliere, solle über die Enteignung organisiert werden – das habe mit ordoliberalen Vorstellungen nichts gemein, ebenso wenig wie eine zentrale Wirtschaftsplanung oder Verstaatlichung. Zudem überflute die Autorin den Leser mit Mängeln des Kapitalismus, ohne wirkliche Alternativen zu formulieren, sagte der ehemalige Leiter des Walter Eucken Instituts in Freiburg.

Sahra Wagenknecht hielt dagegen: „Ich habe die Ordoliberalen so verstanden, dass der Staat Wirtschaftsmacht verhindern müsse – dass es vor allem gelte, Monopole zu verhindern“. Doch genau das sei passiert: Im Einzelhandel gebe es zum Beispiel nur gerade mal eine Handvoll Unternehmen, die aber den ganzen Markt beherrschten. Genau diese Monopolisten seien es, die Kreativität und Freiheit verhindern würden. Sie plädiere stattdessen für eine Förderung echter Unternehmer und innovativer Gründer – allen voran mittelständische Unternehmer; sie seien doch mit ihrer Innovation und Kreativität der Garant für eine stabile Wirtschaft. Gleichzeitig wünsche sie sich „eine Gesellschaft, in der nicht der Club der glücklichen Spermien von einer Generation an die nächste riesige Reichtümer vererbt“. Sie wünsche sich, dass sich echte Leistung und Kreativität wieder lohnen. Deswegen wolle sie „die unproduktiven Erben von Unternehmensgründern“ hoch besteuern. Dieses Geld solle in Belegschaftseigentum umgewandelt werden, über „dessen Verwendung die Belegschaft selbst bestimmen könne.“

Wagenknecht schlug vor, der Bankenblase durch die Abwicklung maroder Banken die Luft zu entziehen, die derzeit eingeschränkten politischen Gestaltungsspielräume der Nationalstaaten zu erweitern und einen staatlichen Ordnungsrahmen zu schaffen, der den ökonomischen Wettbewerb und die Freiheit der Bürger am Markt gewährleisten solle. Auch wenn das Wort Freiheit nicht explizit auf jeder Seite zu lesen sei, so sei es doch der zentrale Begriff in ihrem Buch, betonte Wagenknecht. Welchen Freiheitsbegriff sie denn vertrete, wollte Professor Claus Dierksmeier von ihr wissen: Wagenknecht antwortete mit einem Zitat von Jean Jaques Rousseau: „Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt und das Gesetz, das befreit“. Zur Freiheit gehöre ihrer Meinung nach die Übernahme von Verantwortung. Wichtig sei ihr aber auch die soziale Dimension von Freiheit. Dazu gehöre auch die Freiheit sein Leben planen zu können – ohne Bedrohung durch Lohndumping und Zeitverträgen, oder die Freiheit, einfach Zeit mit seinen Freunden verbringen zu können.

Auch wenn er sicher nicht in allem mit ihr übereinstimme, sagte Claus Dierksmeier am Ende der Veranstaltung, so sei das Buch von Sahra Wagenknecht ein spannendes Buch. Allerdings attestiere er beiden – sowohl Wagenknecht als auch Vanberg – eine Staatsgläubigkeit, die er kritisch sehe. Der Nationalstaat könne in der Globalisierung nicht mehr wie gewohnt für Ordnung schaffen. Zunehmend müsse auch weltethische Verantwortung und Haltung in Unternehmen und Branchen gefördert werden. Zur Krise des Kapitalismus zitierte er abschließend den stellvertretenden Bundesvorsitzenden der FDP, Christian Lindner: „Die Politik hat die Profiteure geschont, indem der Staat Privaten die Haftung für die Geschäfte abgenommen hat. Haften und Handeln gehören zusammen.“ Das sei offenbar Konsens zwischen Linken und Liberalen – und dafür lohne sich die Diskussion.

Viele positive Worte für die Veranstaltung fand der Ehrenpräsident der Stiftung Weltethos, Professor Hans Küng. Intellektuell bereichernd und außerordentlich anregend fand der Oberbürgermeister der Stadt Tübingen, Boris Palmer das „Kritische Quartett“ und auch Chris Kühn, Landesvorsitzender des Landesverbands Baden-Württemberg von Bündnis 90/Die Grünen, war begeistert.