An-Institut der Stiftung Weltethos
an der Universität Tübingen

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Führen in digitalen Zeiten

Im Rahmen des Zyklus «Schweiz 4.0 plus» veranstaltete das Lilienberg Unternehmerforum am 28. Juni in Kooperation mit EthicsFirst und dem Weltethos-Institut der Universität Tübingen eine Besichtigung des deutschen Unternehmens allsafe GmbH & Co. KG in Engen, Baden-Württemberg. Der multinational tätige Hersteller für Ladungssicherungssysteme ist charakterisiert durch seine außergewöhnliche, zukunftsgerichtete Führungs- und Arbeitskultur. Die Exkursionsteilnehmer konnten dabei Vororteindrücke sammeln, um sich der Antwort auf die Frage zu nähern: Welcher Führungsstil ist in digitalen Zeiten der weitest führende?

Gastgeber Detlef Lohmann, geschäftsführender Gesellschafter und Autor des erfolgreichen Managementbuchs «…und mittags geh ich heim: Die völlig andere Art, ein Unternehmen zum Erfolg zu führen», eröffnete die Veranstaltung mit einem kurzen Überblick über den Betrieb. «Festhalten ist unsere Kernkompetenz», so Lohmann, der sich selbst als «Unternehmer aus Leidenschaft» bezeichnet und die Firma vor fast 20 Jahren übernahm. Aus einem «kleinen unbekannten Unternehmen mit 40 Mitarbeitern» ist in der Zwischenzeit ein global tätiger Konzern mit fast 300 Mitarbeitern und einem Umsatz von über 62 Mio. Euro herangewachsen. Die Transportindustrie, Automotive sowie Luftfahrt seien die drei Hauptgeschäftsbereiche, erstere mit einem Umsatzanteil von 55% am wichtigsten. Die Produktpalette reiche von Systemen für Ladungssicherung, über Autositzschienen bis hin zu Befestigungssystemen für Passagiersitze, Bordküchen und Toiletten in Flugzeugen. Auftraggeber seien unter anderem Airbus und Mercedes-Benz.

Strategie und Führungsstil

Die Organisations- und Führungsstruktur stellt bei allsafe eine Besonderheit dar. Zugrunde liege die Orientierung am Wertfluss: Zwischen den fünf gleichberechtigten Teilwertströmen Kundenkontakt, Entscheidungen, Ideenfluss, Informationsfluss und der physischen Produktion gebe es laut Lohmann, der «extrem lean-geprägt» sei und deshalb stark in Effektivitätskriterien denke, keine Schnittstellen, sondern lediglich Kommunikationsknotenpunkte. Dies habe zur Folge, dass innerhalb der Bereiche ohne Unterbrechung an einem Wertfluss gearbeitet werden könne; kleine selbstorganisierte multinationale Teams könnten einen Wertstrom völlig selbstständig bewerkstelligen. Solche autarken, dezentralen Teams mit zwölf Mitarbeitern seien für die gesamte Produktion zuständig. Das ginge vom Wareneingang über die Lagerarbeit bis hin zur Vorbereitung und Produktion sowie Verpacken und Versand.

Um den Anforderungen des modernen, globalen Marktes gerecht zu werden, laufe die Produktion darüber hinaus extrem schnell, automatisiert und «schon lange digitalisiert» ab. Einige Sekunden nach Eingang der Bestellung beginne bereits der physische Prozess, die Fertigung finde innerhalb von 24 Stunden statt. Wie bei Autos seien die Produkte dabei pro Stück konfiguriert und den kundenspezifischen Wünschen und Bedürfnissen angepasst.

Autonome Produktion

In der anschließenden Führung konnten sich die Teilnehmer ein Bild von der Umsetzung machen. Ricarda Hötz, studierte Maschinenbauerin und mittlerweile zehn Jahre im Unternehmen, leitete die Besucher durch die verschiedenen Abteilungen. Auffällig waren dabei zunächst die an sehr vielen Stellen platzierten großen Whiteboards mit ständig aktualisierten Informationen für die Mitarbeiter; dort sind unter anderem der tagesaktuelle Umsatz, betriebsinterne Anliegen sowie Auftragseingänge ausgehängt. Für jeden Prozess würde eine Compliance Matrix erstellt, die die Kompetenzen der einzelnen Mitarbeiter im Team einstuft und somit visualisiert, wer auf welchem Fachgebiet Experte sei und welche Fähigkeiten der Mitarbeiter beispielsweise gerade erst erlerne.

An den Pinnwänden seien darüber hinaus offene Projekte ausgehängt, für die sich jeder eintragen und zum Beispiel die Initiative als Projektleiter übernehmen könne. Frau Hötz bestätigte auf Nachfrage, dass die kleinen Teams autonom und selbstgesteuert seien: «Die Teams führen sich selbst». Neben frei eingeteilten Arbeitszeiten und selbstorganisiertem Sitzen, was hier beinahe schon selbstverständlich erscheint, werden sogar neue Bewerber von den Teams selbst ausgewählt, zur Probearbeit eingeladen und im gegebenen Fall nach nur zwei Tagen mit einem Arbeitsvertrag ausgestattet.

Führungsverantwortung: Jeder darf, keiner muss

Die abschließende Diskussion zum Thema «allsafe: woher – wohin?» leitete Michael Kohlhaas vom Freundeskreis des Weltethos Institut der Universität Tübingen. Die Änderung im Führungssystem sei mit der Digitalisierung einhergegangen, noch vor zehn Jahren seien die Schränke voll mit Papier gewesen, so Lohmann. Damals sei auch die Organisationsstruktur noch klassisch hierarchisch organisiert gewesen. Vor fünf, sechs Jahren habe schließlich die Umstrukturierung samt Entmachtung der Abteilungsleiter begonnen. Dementsprechend seien nicht alle Mitarbeiter damit glücklich gewesen und manche seien es immer noch nicht; die zusätzliche Verantwortung, die für jeden Betriebsangehörigen damit verbunden sei, könne durchaus eine Bürde oder gar eine Belastung durch Überforderung darstellen. Deshalb räumt Lohmann seinen Angestellten immer noch einen gewissen Spielraum ein: «Jeder darf, keiner muss» laute das Credo, doch «wer nicht entscheiden will, der gibt Freiraum auf». 

Aktuell finde bei allsafe eine Klarstellung der Führungsstrukturen statt, um noch mehr Transparenz bieten zu können. Darüber hinaus wolle man in Zukunft noch mehr automatisieren und die Produktion zunehmend robotisieren. Man könne sich dem Trend der Digitalisierung ohnehin «nur durch Suizid» entziehen. Bestimmte Bereiche seien laut Lohmann noch lange relativ schwierig durch Maschinen zu besetzen, längerfristig lohne sich der Mensch allerdings am ehesten als «Interface».

Text und Fotos: Lukas Johannes Wörz, (c) Lilienberg Unternehmerforum