
Die junge Generation und ihre Leistungen mehr wertschätzen – das fordert Nils Goldschmidt, Direktor vom Weltethos-Institut an der Universität Tübingen. Die Debatte um eine vermeintlich „faule Jugend“ flammt in regelmäßigen Abständen auf – zuletzt wieder mit neuer Schärfe. Doch aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse widersprechen diesem Bild deutlich: Junge Erwachsene arbeiten nicht weniger, sondern mehr – und sie tragen dabei eine immer größere finanzielle Last, um das soziale Sicherungssystem zu stützen.
Laut einer aktuellen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ist die Erwerbsbeteiligung der 20- bis 24-Jährigen seit 2015 um mehr als sechs Prozentpunkte gestiegen. Sie liegt heute bei 76 Prozent. Besonders auffällig: Auch unter Studierenden steigt die Erwerbstätigkeit kontinuierlich. „Diese Zahlen zeichnen ein anderes Bild als das Klischee von der arbeitsscheuen Generation Z“, sagt Goldschmidt, der auch Mitglied im Deutschen Ethikrat ist. Ein wachsendes Ungleichgewicht zeige sich zudem in der Finanzierung der Sozialsysteme. Während die sogenannte Boomer-Generation zunehmend aus den Sozialsystemen bezieht, müssen junge Erwerbstätige deutlich mehr einzahlen als frühere Generationen. Eine Studie von Martin Werding, Mitglied im Sachverständigenrat zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland, rechnet vor: Wer 2020 geboren wurde, wird im Laufe seines Lebens rund 55,6 Prozent seines Einkommens an Sozialabgaben leisten – verglichen mit nur 39,4 Prozent bei einem 1960 Geborenen. „Der Generationenvertrag droht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Wer der Jugend heute Undankbarkeit oder Arbeitsunwilligkeit vorwirft, ignoriert diese Realität – und verkennt, wie stark junge Menschen das System tragen, von dem viele Ältere mittlerweile profitieren“, so Goldschmidt weiter.
Gleichzeitig versuchen viele junge Menschen, neue Arbeitsmodelle zu etablieren – mit mehr Flexibilität, besserer Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und dem Wunsch nach Teilhabe trotz wachsender Belastungen. Dies ist kein Zeichen von Bequemlichkeit, sondern Ausdruck eines legitimen Versuchs, unter schwierigen Bedingungen ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Die oft beschworene Hoffnung der Elterngeneration, dass ihre Kinder es einmal besser haben sollen, lässt sich unter den aktuellen Bedingungen nicht wie bisher verwirklichen. „Statt gegenseitiger Schuldzuweisungen braucht es einen neuen, ehrlichen Dialog zwischen den Generationen – auf Basis von Fakten, gegenseitigem Respekt und einem klaren Blick auf die ökonomische Realität. Und wir brauchen dringend ein neues, realistisches Verständnis von Generationensolidarität“, so Institutsdirektor Goldschmidt.