An-Institut der Stiftung Weltethos
an der Universität Tübingen

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Integrität in Unternehmen – Konzepte, Management und Maßnahmen

 
Dr. Lisa Schöttl

 
Dr. Robert Ranisch

WEIT: Sehr geehrte Frau Dr. Schöttl, sehr geehrter Herr Dr. Ranisch, im Wintersemester 2018/19 lehren Sie gemeinsam zu Theorien und Praxis der Wirtschaft- und Unternehmensethik. Ihr Schwerpunkt: Compliance- und Integrity-Ansätze verantwortlicher Unternehmenssteuerung. Was zeichnet diese aus und worin unterscheiden sie sich voneinander?

Dr. Lisa Schöttl: Aufgrund einer Vielzahl an Unternehmensskandalen ist das Thema Compliance immer mehr in den Fokus von Unternehmen gerückt. Compliance bezieht sich auf die Einhaltung von Gesetzen, Regularien und Richtlinien im Unternehmen und wird mittels eines Compliance-Management-Systems im Unternehmen versucht zu erreichen, das unter anderem die Regeleinhaltung kontrolliert und abweichendes Verhalten sanktioniert. Integrity-Ansätze zielen hingegen darauf ab, moralisches Verhalten im Unternehmen zu fördern; sie gehen also über das Ziel der reinen Gesetzestreue hinaus und verfolgen ebenso andere Mechanismen zur Erreichung dieses Ziels, wie die Stärkung des Wertebewusstseins und der Verantwortungsübernahme der Mitarbeiter im Unternehmen.

Dr. Ranisch: Wenn Sie so wollen kontrastieren wir zwei Perspektiven auf die Unternehmensethik: auf der einen Seite ein Normensystem, welches klare Kriterien des richtigen und falschen Handelns bestimmt. Dem gegenüber stehen wertebasierte Ansätze, die vielmehr mit Leitbildern, Idealen und Zielen arbeiten. Diese Unterscheidung ist selbstverständlich idealtypisch. Dennoch lässt sich hiermit schön das Spektrum an Ansätzen aufzeigen, die für eine verantwortliche Unternehmenssteuerung wichtig sind.

WEIT: Damit ein gutes und produktives Zusammenwirken in menschlichen Gemeinschaften möglich ist, braucht es eine Grundlage gemeinsamer Werte. Hans Küng hat jene benannt, die kultur- und religionsübergreifend gelten und darauf das Projekt Weltethos begründet. Inwiefern kommt es auch hier zum Tragen?

Dr. Ranisch: Gemeinsame Werte sind gerade in einer globalisierten Wirtschaft wichtig, in der an der Herstellung eines einzelnen Produkts oft unzählige Menschen in unterschiedlichen Ländern sowie divergierenden Kulturkreisen und Rechtssystemen tätig sind. 

Dr. Schöttl: Sie können zudem Orientierung bieten und einen gemeinsamen Standard für die verschiedenen Beteiligten darstellen, gerade wenn es an gesetzlichen Regelungen für ethische relevante Aspekte in den Wertschöpfungsketten mangelt oder diese nicht durchgesetzt werden. Insofern können diese Werte gerade für Unternehmen, die eine Integrity-Strategie verfolgen, hilfreich sein und als Grundlage dienen, auf denen sie ihre jeweils eigenen Schwerpunkte in der Werteorientierung aufsetzen können.

WEIT: Compliance bezieht sich vor allem auf die am geltenden Gesetz orientierte „Minimalmoral“ („if it’s legal, it’s ethical“). Wie kann diese ethische Engführung trotzdem überzeugen?

Dr. Schöttl: Compliance verstanden als die Einhaltung von Gesetzen durch Unternehmen ist die Grundvoraussetzung, um überhaupt am Wirtschaftsgeschehen teilnehmen zu können. Dazu ist keine moralische Haltung oder Einsicht nötig, da bereits rationale, ökonomische Erwägungen gute Gründe für Compliance liefern. Gesetzestreue hat daher nur insofern mit Moral zu tun als moralische Werte natürlich auch Grundlage der gesetzlichen und regulatorischen Anforderungen sein können. Wirklich ethische Argumente kommen meiner Ansicht nach erst mit einer Werteorientierung zum Tragen, d.h. wenn Unternehmen aus Überzeugung oder Einsicht moralische Werte und Standards in ihrem Handeln berücksichtigen. Erst dann kommen sie ihrer Verantwortung in unserer heutigen Gesellschaft tatsächlich nach. 

Dr. Ranisch: Compliance-Strategien sind natürlich entscheidend für Unternehmen, wenn es darum geht, regulatorische Rahmenbedingungen zu erfüllen – und das ist aufgrund der Komplexität der nationalen und internationalen Vorschriften für Unternehmen nicht trivial. Alleine sind sie allerdings kein hinreichender Ansatz verantwortungsvoller Unternehmensführung. Jedes Regelsystem bietet Lücken und eine sich bloß an Compliance orientierende Unternehmensstrategie bietet keinen Grund, diese Lücken nicht zu nutzen. In diesem Sinne wäre „Minimalmoral“ noch übertrieben. Vielmehr wird Unternehmenshandeln hier nur durch Anreize und Abreize gesteuert. 

WEIT: Die Implementierung eines funktionierenden Compliance-Management-Systems in Unternehmen wäre in der Praxis oft wünschenswert. Hätten Skandale wie die Dieselaffäre oder etwa der Korruptionsskandal bei EADS so eher verhindert werden können?  Wo müssten Schwerpunkte gesetzt werden?

Dr. Ranisch: Über die Frage, ob dieser oder jener „Skandal“ hätte verhindert werden können, kann nur spekuliert werden. Auch das beste Compliance-Management-System funktioniert nicht wie eine automatische Alarmanlage. Es ist auf das richtige Verhalten von Menschen und effektive Strukturen in der Organisation angewiesen. 

Dr. Schöttl: Genau, die Wirksamkeit eines Compliance-Management-Systems steht und fällt mit dem Willen und dem Commitment der Führungskräfte eines Unternehmens, das Thema ernst zu nehmen und sich entsprechend zu äußern und zu verhalten. Dies ist in vielen Unternehmen, die ein solches System implementiert haben, nicht der Fall bzw. besteht nicht selten die Erwartung, ein solches System ohne spürbare Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit oder das eigene Verhalten einführen zu wollen. Ein Präventionssystem kann aber nur wirksam sein, wenn es tatsächlich Folgen für das Verhalten der Führungskräfte und Mitarbeiter hat – und hierzu sind neben der richtigen Kommunikation auch fest verankerte Strukturen und Prozesse notwendig, wie etwa klare Meldewege, abteilungsübergreifende Gremien zur Behandlung kritischer Themen oder die Integration von Compliance in die Anreizsysteme.

WEIT: Immer häufiger wird die mangelnde Pluralität in den Wirtschaftswissenschaften beklagt. Sollte Wirtschafts- und Unternehmensethik im Wirtschaftsstudium möglicherweise Pflichtfach werden?  Liegt das Problem an der Wurzel?

Dr. Schöttl: Um ein verantwortungsbewusster Mitarbeiter oder eine gute Führungskraft zu werden, ist es wichtig, die Auswirkungen wirtschaftlicher Entscheidungen auf den Einzelnen sowie die Gesellschaft zu verstehen – und zwar nicht nur in ökonomischer Hinsicht. In meiner Lehre mache ich die Erfahrung, dass die meisten Studenten sehr daran interessiert sind, Fragen der Wirtschafts- und Unternehmensethik zu diskutieren und Antworten zu finden. Wichtig dabei ist, dies so praxisnah wie möglich zu tun, um die Herausforderungen verantwortungsvollen Unternehmertums in einer globalisierten Welt adäquat zu adressieren und praxistaugliche Lösungswege mit auf den Weg zu geben – ansonsten besteht die Gefahr, mit dem Fach den Zynismus in moralischen Fragen der Wirtschaft zu fördern. Meiner Ansicht nach sollten wirtschafts- und unternehmensethische Themen Bestandteil jedes Wirtschaftsstudiums sein.

Dr. Ranisch: Ich finde es auch schwer zu sehen, wie ein Wirtschaftsstudium ohne eine curricular verankerte Reflexion auf ihre eigenen sozial-normativen Grundlagen auskommen kann. Ein Fach „Wirtschaftsethik“ wäre hier nur ein Ansatz. Die Ökonomie ist schließlich kein Selbstzweck und gerade im Zuge ihrer Krise in den letzten Jahren, wäre die Zeit reif, auch an den Lehrplänen zu justieren. In anderen Fächern ist dies übrigens keineswegs unüblich: National wie international ist Ethik ein Pflichtbestandteil in der Medizin- oder Pflegeausbildung. 

Das Seminar "Wirtschafts- und Unternehmensethik: Theoretische Grundlagen und praktische Anwendung" findet im Wintersemester 2018/19 als Blockveranstaltung im Weltethos-Institut statt. Leider sind bereits alle Plätze belegt. Kurzlebensläufe von Dr. Lisa Schöttl und Dr. Robert Ranisch finden Sie auf unserer Homepage.

Interview: Annette Guthy, Anna Tomfeah
Fotos: Dr. Lisa Schöttl, Dr. Robert Ranisch