Prof. Claus Dierksmeier, Direktor des Tübinger Weltethos-Instituts, verglich das heutige Geldsystem mit der Situation nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl: „obwohl wir die Gefahr nicht sehen, sind wir verunsichert und wissen, dass sie real ist“. Wie man die Probleme des heutigen Finanzsystems lösen kann, darüber diskutierte das „Kritische Quartett“ bei der sechsten Veranstaltung von „Klüger wirtschaften“ am 16. Januar im Tübinger Weltethos-Institut.
Wie zuvor, fand „Klüger wirtschaften“ großen Anklang. 180 Gäste kamen in das ausverkaufte Foyer des An-Instituts der Universität. Weitere 100 verfolgten die Veranstaltung live auf der Leinwand im Arsenal-Kino. „Wer hat die Macht über das Geld?“, fragte der Moderator und WEIT-Wissenschaftler Dr. Christopher Gohl das „Kritische Quartett“. Dieses bestand wie stets aus Prof. Claus Dierksmeier und dem neuen WEIT-Geschäftsführer Dr. Bernd Villhauer sowie den beiden Gästen an diesem Abend, Ökonom Prof. Karl-Heinz Brodbeck und Soziologe Prof. Joseph Huber. Dessen Buch „Monetäre Modernisierung – Zur Zukunft der Geldordnung: Vollgeld und Monetative“ bildete auch den Anstoß der Diskussion.
Huber kritisiert darin die Funktionsweise des heutigen Geldsystems, das er durch das Konzept des „Vollgeldes“ ersetzen möchte. Ziel seiner Reform ist es, das Geldsystem sicherer und transparenter zu machen. Die zentrale These: Nur Zentralbanken dürften Geld schöpfen, das deshalb „Vollgeld“ heißt. Auf der anderen Seite können Geschäftsbanken lediglich durch das Ausleihen bei Kunden und anderen Banken Kredite vergeben. Geld selbst schöpfen, wie das heute durch die Kreditvergabe und das Giralgeld der Fall ist, dürften Geschäftsbanken dem Vollgeld-Konzept von Huber zufolge nicht.
Durch die Vollgeld-Reform könnten Politiker und die Gesellschaft Geldmengen besser kontrollieren
Das Problem des heutigen Finanzsystems sei, dass das durch Geschäftsbanken erzeugte Giralgeld in der Vergangenheit höchst unverhältnismäßig und deshalb gefährlich sei. Erhöhte sich das Wirtschaftswachstum in Deutschland seit 1992 um 51 Prozent, explodierte das Geldmengenwachstum im selben Zeitraum um 190 Prozent. Für die USA und andere westliche Länder sei das Verhältnis ähnlich, sagte Huber. Die überschüssigen Geldmengen flößen in Investment-Banking und Finanzvermögen und förderten so die Blasenbildung.
Die Vorteile der Vollgeld-Reform sind für den emeritierten Wissenschaftler klar: Die Politik und die Öffentlichkeit wäre durch die Vollgeld-Reform in der Lage, über die Menge des Geldes zu bestimmen. Finanzkrisen und Konjunkturschwankungen, die Huber zufolge zum großen Teil auf unkontrollierbare Geldmengen durch die Schöpfung der Geschäftsbanken zurückgehen, gehörten damit der Vergangenheit an. Die Banken wären so stabiler und für Kunden sicherer als sie es heute sind, da die Geldmenge, mit der sie handelten, der gesamten Menge des Geldes entsprechen würde. Zudem könnten die Seigniorage-Gewinne der Zentralbanken durch die Schöpfung und Verbreitung des Geldes in staatlicher Hand bleiben und in Steuersenkungen oder Schuldentilgungen investiert werden. Huber zufolge wäre das Vollgeld-Modell transparenter und würde so Vertrauen der Bürger in das Geld sowie die Kontrolle darüber stärken.
Der Philosoph und Ökonom Prof. Karl-Heinz Brodbeck, der Hubers Buch vorstellte und rezensierte, stimmte in Hubers Kritik am heutigen Geldsystem überein. Auch er sieht die Rolle der Geschäftsbanken kritisch. Banken machten auf lange Sicht die Wirtschaft instabil, indem sie durch Giralgeld Geld aus dem Nichts schöpften, sagte Brodbeck. Die Verknüpfung von Politik und Finanzindustrie ergebe ein Machtzentrum, das nicht zum Wohle der Allgemeinheit arbeite, sondern von dem lediglich Individuen profitierten. Dass das Finanzsystem Veränderungen brauche, stehe seiner Meinung nach dabei außer Frage.
Brodbeck: Vollgeld hat auch Schwächen
Ob das „Vollgeld“ jedoch die Finanzprobleme löse, sei Brodbeck zufolge zweifelhaft. Eine der Schwächen des Konzeptes sei, dass Währungen heute nicht von regionalen Institutionen kontrollierbar seien. 40 Prozent der Euro-Menge zirkuliere außerhalb von Europa. Um also die gesamte Geldmenge durch die Zentralbank zu kontrollieren, müsste man das „Vollgeld“ auf der ganzen Welt einführen – das sei schwer vorstellbar. Des weiteren sei es unmöglich, Realgeld von Nominalgeld voneinander zu trennen. Schließlich funktioniere die Wirtschaft nicht nur auf Basis von Geldscheinen, sondern auch, weil Menschen oft verschieden bezahlten, in der Kneipe etwa mit Schulden, die sie auf Bierdeckeln schrieben. Brodbeck gibt auch zu denken, dass Hubers Modell zum wesentlichen Teil auf der Entscheidung von Experten basiere und weniger auf der demokratischen Diversität Vieler.
Villhauers Frage, ob das Vollgeld in Bezug auf das Wirtschaftssystem neutral sei, bejahte Huber. Auch in einem vom heutigen System unterschiedenen Wirtschaftsmodell würde das Vollgeld nicht wesentlich die Einkommensverhältnisse zwischen Reich und Arm verändern.
Das „Kritische Quartett“ suchte anschließend nach Alternativen für einen ethischen Umgang mit Geld. Dierksmeier fragte, ob die Tübinger Mentalität der ethischen und individuellen Bescheidenheit auch nicht in der Geldindustrie vorbildlich sein könnte? Huber zufolge wäre dem Prinzip der Gegenseitigkeit bereits gedient, wenn Geld eine wirtschaftliche Stabilität hätte. Er verwies darauf, dass durch die Währung alleine kein nachhaltiges Wachstum möglich sei. Dazu bräuchte man außerdem Banken, die bereit seien, in ethisch sensible Produkte zu investieren und Kunden, die daran interessiert sind.
Auch das Publikum beteiligte sich an der lebhaften Diskussion und machte seinen Unmut über das heutigen Bankensystem deutlich. Besonders die undurchsichtigen Investmentstrukturen vieler Geschäftsbanken verstimmten die Zuschauer. Der neue WEIT-Geschäftsführer Villhauer schlug vor, nur dort sein Geld anzulegen, wo man wisse, was damit passiere.
Die Gefahr des gegenwärtigen Geldsystems wurde an diesem Abend deutlich. Die Notwendigkeit, nach Alternativen und besseren Lösungen gemeinsam zu suchen, auch.