An-Institut der Stiftung Weltethos
an der Universität Tübingen

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Vertrauen im politischen Raum – ein Traum?

An zwei Abenden (7. und 8. November) diskutierten Gäste wie Gisela Erler, Ernst Ulrich von Weizsäcker, Helge Thun, Herta Müller, Olaf Krämer, Richard Reischl, Ulrich Hemel und Bernd Villhauer. Ein Grußwort und eine Musikbotschaft von Konstantin Wecker schlossen die Vertrauenskampagne ab.

Die Veranstaltung am 7. November, bei dem „Vertrauen in der Politik“ im Mittelpunkt stand, fand im gut gefüllten Weltethos-Institut statt. Der Gastgeber Prof. Dr. Jürgen Wertheimer selbst eröffnete den Abend mit einigen Bemerkungen. Sein Tenor: Vertrauen sei ein gesellschaftliches Gut, mit welchem man nicht inflationär umgehen dürfe. Im Gegenteil – es sei generell und gerade in der Politik ein gesundes Misstrauen unabdingbar. Dr. Bernd Villhauer leitete über in eine bewegte Diskussionsrunde zur aktuellen politischen Situation mit den Fragen: „Wie viel Vertrauen genießt die aktuelle Politik? Welche Rolle spielt das Vertrauen der Menschen in unserer Gesellschaft für die Politik, wenn es um Personen, um Strukturen und das politische System als solches geht? Vertrauen wir dem gesellschaftlichen System?“ Villhauer regte an, darüber nachzudenken, ob eben nicht gerade das gesunde Misstrauen ein Mittel gegen Demagogie und leere Versprechungen in der Politik sei. Er reflektierte, ob es nicht darum ginge, Vertrauen und Misstrauen in ein gesundes Gleichgewicht zu bringen und nannte dies „sehendes Vertrauen“.

Nach den Einführungen von Prof. Wertheimer und Dr. Villhauer begann die lebendige Podiumsdiskussion. Über „eine Verzerrung von Vernunft und Ratio in Richtung Lobby“ sprach Ernst Ulrich Freiherr von Weizsäcker und zeigte sich entrüstet über die „Interessensverwebung“ von Wirtschaft und Politik. Hier beweise sich, dass politisches Handeln vertrauensstörend statt vertrauensbildend wirken könne. Bürgermeister Reischl sprach ebenfalls vom Vertrauensverlust in der Politik und erwähnte das Beispiel einer christlichen Partei, die mit ihrem, in der Sache unverständlichen Handeln alle christlichen Werte vermissen lasse. Der Comedian Helge Thun meinte: „er habe von Berufs wegen immer schon Misstrauen in die Politik gehabt“, sehe aber in jüngster Gegenwart auch positive Entwicklungen, die sein Vertrauen in die Politik wieder stärkten. In der Diskussionsrunde sprach auch Staatsrätin Gisela Erler im Austausch mit ihren Podiums-Kollegen verschiedene aktuelle politische Themen an und wie der Populismus bei Parteien und Wählern Resonanz finde.

 

Die anschließende Lesung der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller war für viele ein bewegender Höhepunkt im „Jahr des Vertrauens“. Sie lotete Auswege aus der psychischen Belastung und einer regelrecht traumatischen Erfahrung ständig enttäuschten Vertrauens innerhalb eines totalitären Systems aus. Einige Passagen Ihrer Bücher zitierend, eröffnete sie den Blick auf die Selbstreflektion und eine differenzierte Wahrnehmung von Vertrauen.

Der 8. November brachte unter dem Titel „Vertrauen in die Politik“ neue Aspekte aus rhetorikwissenschaftlicher, theologischer und wirtschaftsethischer Sicht. Prof. Dr. Dr. Ulrich Hemel: „Zu vertrauen ist ein täglicher Akt in allen Alltagssituationen  – Vertrauen ist ambivalent, denn wir erleben auch ständig „Ent-täuschungen“, mit denen wir umgehen lernen müssen. „Vertrauensbildung ist eine Mixtur aus Mut und Vorsicht.“ Dazu reflektierte Olaf Krämer, dass überwiegend über Misstrauen geredet und in der Presse geschrieben werde, was aus seiner Sicht aber gar nicht angemessen sei. Gelingende Vertrauensakte würden kaum thematisiert, der Missbrauch von Vertrauen ganz in den Vordergrund gerückt. Krämer, Professor für Rhetorik an der Universität Tübingen, stellte dies in den Kontext einer allgemeinen Beschreibung der Dynamik unserer auf Skandal und Krise hin ausgerichteten Medienlandschaft, die Vertrauen in die Politik nicht befördere, zum Teil sogar verhindere. Und Hemel ergänzte, dass wir alle aber aus Fehlern und Fehlentwicklungen lernen können und somit Teil einer Vertrauenskultur seien und werden können – als öffentliche Personen und Bürger der Demokratie. Auch Unternehmen mit einer offenen Fehlerkultur könnten zum Vorbild und Leuchtturm für das Vertrauen in der Gesellschaft werden.
Die Vielfalt und Widersprüchlichkeit des Vertrauens, dieses „riskanten Gefühls“, so Jürgen Wertheimer in seinen abschließenden Worten, macht weitere Diskussionen und Annäherungen unverzichtbar. So wird auch nach dem „Jahr des Vertrauens“ immer wieder die Vertrauensfrage gestellt werden.

Text: Bernd Villhauer
Fotos: Felix Müller