An-Institut der Stiftung Weltethos
an der Universität Tübingen

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„Wege zu einer aufgeklärten Ökonomie“

Was heißt es, aufgeklärt zu wirtschaften? Und was macht uns zu aufgeklärten Verbrauchern, zu einer aufgeklärten Unternehmerin, zu einem aufgeklärten Arbeitnehmer? Mit diesen Fragen lockte das Weltethos-Institut am 31. Januar 2014 über 300 interessierte Besucher zur vierten Auflage der Veranstaltungsreihe „Klüger Wirtschaften“. Im Zentrum stand das Buch von Dr. Heiner Geißler, "Sapere Aude!". Kritisch gewürdigt wurde es von dem Wirtschaftswissenschaftler Prof. Michael Wohlgemuth.

„Die Hand braucht Hirn und Herz um die richtigen Taten zu vollbringen. Das Werk der Wirtschaft bedarf des Wirkens der Weisheit. “ Mit diesen Worten begrüßte der Direktor des Weltethos-Instituts und Gastgeber der Veranstaltung, Professor Claus Dierksmeier, die über dreihundert Gäste in den Räumen des Weltethos-Instituts und im benachbarten Kino Arsenal, wohin die Veranstaltung übertragen wurde. Damit erklärte Dierksmeier auch gleich die Notwendigkeit dieser Veranstaltung: „Der Schaden an der Welt, den die klassischen Wirtschaftswissenschaftler angerichtet haben, sei enorm". Ihr schlimmster Verdienst: Die Etablierung eines neuen Menschenbildes – das des homo oeconomicus. Doch wer die Menschen lediglich als Nutzen- und Profitmaximierer behandle, müsse auch mit ähnlichen Reaktionen rechnen. Nötig sei daher eine umfassende Aufklärung, um miteinander die Wirtschaft zu humanisieren. Nötig sei aber auch ein offener Diskurs. Den führten an diesem Abend der Volkswirtschaftler Professor Michael Wohlgemuth und der ehemalige CDU-Generalsekretär Dr. Heiner Geißler.

"Heiner Geißler verfolgt mich, seit ich politisch denken kann."

„Ich war als Teenager in Stuttgart ein echter "Linker": Che Guevara T-Shirt, Stoppt-Strauß Plakette, Friedensdemos, Anti-Atom: Das ganze Programm". In meiner linken Jugend hätte ich sein Buch geliebt, erklärte der Volkswirt Michael Wohlgemuth zu Beginn seiner kritischen Ausführungen. Wohlgemuth, nach eigener Aussage im Jesuitenkolleg sozialdemokratisiert, habilitierte an der Universität Witten/Herdecke und lehrte bereits an den Fakultäten in Bayreuth und Freiburg. Als Fellow des Walter Eucken Instituts und Vorstandsvorsitzender der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft bekennt er sich heute zum Ordo-Liberalismus. Hervorgegangen aus der Freiburger Schule, gilt diese Denkrichtung als Vorreiter der Sozialen Markwirtschaft – sie fordere einen offenen Wettbewerb, jedoch mit ordnenden Regeln, so Wohlgemuth, Gründer der liberalen Denkfabrik „Open Europe“ in Berlin.

Es ist gerade die Soziale Marktwirtschaft, die Heiner Geißler heute gefährdet sieht: Die ordnenden Regeln seien praktisch nicht mehr existent. Durch die Habgier einiger weniger seien Vermögen Anderer aufs Spiel gesetzt und Werte untergraben worden, schreibt er in seinem Buch „Sapere Aude!". Die Schuld sieht er auch bei den Wirtschaftswissenschaften. Diese seien eigentlich eine Geisteswissenschaft, ihre Vertreter aber sehen sich zu oft als Wissenschaftler der exakten Methoden. Ein Irrtum, der laut Geißler Tag für Tag Existenzen koste.

„Ich finde das ungeheuerlich."

Was aber störte Wohlgemuth an Heiner Geißlers Buch, dass er aus Berlin angereist ist, um es zu kritisieren? Vor allem die Melange aus Kapitalismuskritik und Kritik an der Wirtschaftswissenschaft, der Geißler erlegen sei, so der Volkswirt. So vergleiche Heiner Geißler die Liquidation der Kapitalisten im Kommunismus mit der Liquidation von Arbeitsplätzen im Kapitalismus, in der der Mensch als Ware gehandelt wird. „Ich finde den Vergleich von strukturellem Arbeitsplatzabbau mit Mord und Unterdrückung der kommunistischen Regime von Mao und Stalin ungeheuerlich", sagte Michael Wohlgemuth.

Des Weiteren kritisierte er die von Geißler erhobene Schlussfolgerung, dass Wettbewerb gleich Kapitalismus gleich Ausbeutung sei. Im Gegenteil, so Wohlgemuth: Die Frankfurter Schule sei bekannt für ihre gleichzeitige Liebe zum freien Wettbewerb und zu konstituierenden Prinzipien. Der ökonomische Liberalismus sei gerade eines dieser Prinzipien, habe er doch seinen Teil „zur Erhebung der Massen aus der Armut beigetragen".

„Es gibt nichts schöneres, als wenn einer schießt und nicht trifft.“

Heiner Geißler konterte: Die Grundprinzipien des Ordo-Liberalismus – Transparenz, Vertragsfreiheit und Haftung für die ökonomische Tätigkeit – seien im heutigen Kontext nicht mehr gegeben. Die Vertragsfreiheit z.B. werde permanent von Unternehmen ausgehölt, so Geißler. Er belegte dies am Beispiel des Lebensmittel-Einzelhandels. Acht Handelsketten teilten sich 90% Prozent des Marktes und drückten durch die Vertikalisierung ihrer Wertschöpfung die Preise für ihre Lieferanten. Er erinnterte in diesem Zusammenhang an Ludwig Erhard, der schließlich "Wohlstand für Alle" und nicht den "Wohlstand für Edeka" forderte. Zu wenig Transparenz bei wirtschaftlichen Entscheidungen und die fehlende Haftung im Top-Management würden anständigem Wirtschaften im Wege stehen. Menschen würden als Kostenfaktor definiert, die Kluft zwischen Arm und Reich wachse.

Ja, Wettbewerb sei richtig und notwendig, doch dieser müsse geordnet ablaufen und nicht um jeden Preis. Im Schlusswort appellierte er an das Publikum: Wo ist die Kirche, wo der aufgeklärte Bürger und wo das Ethos? Wir alle würden doch den Verfall der Moral, die Behauptung "Geiz ist geil" und die sich öffnende Schere einfach hinnehmen. Der ehemalige CDU-Politiker plädierte für einen Weg der Mitte zwischen Kapitalismus und Kommunismus: Eine (Öko-) Soziale Marktwirtschaft. 

Im Anschluss an die Entgegnungen Geißlers eröffnete der Politikwissenschaftler Dr. Christopher Gohl die Diskussion an der auch Dr. Bernd Villhauer und Professor Claus Dierksmeier teilnahmen.

„Die Dosis macht das Gift.“

Bernd Villhauer lenkte das Gespräch gleich zu Beginn zurück zu der Frage wie eine aufgeklärte Ökonomie aussehen könne. Eine Aufklärung "von oben" schloss der Philosoph aber aus. Der notwendige Prozess könne nicht im akademischen Elfenbeinturm entschieden werden. Auf die Frage, ob sich die Marktwirtschaft überhaupt einem aufklärerischen Diskurs stellen könne meinte Villhauer: "Der Kapitalismus hat sich überlebt. Es muss ein human verantwortetes Wirtschaftssystem werden". Claus Dierksmeier verglich den Kapitalismus seinerseits mit Ascorbinsäure, ein für den Menschen notwendiges Vitamin, das in zu großen Mengen konsumiert, toxisch wirke. Die Frage sei doch: „Was ist die richtige Menge Vitamin C, die uns die moralischen Schleimhäute bewahrt?"

Reformbedarf machte Heiner Geißler bei den Wirtschaftswissenschaften aus. Ihre Aufgaben sieht er darin, Verfehlungen der praktischen Wirtschaft zu diagnostizieren und Handlungsempfehlungen zu geben – zum Wohle aller. Gleichzeitig wünschte sich Geißler eine Änderung der herrschenden Mentalität und mahnte die Notwendigkeit verantwortungsvoller Politik an.

Wohlgemuth seinerseits verteidigte in der Diskussion die klassische ökonomische Theorie,  stellte seine Disziplin aber in den Dienst der Veränderung. Es müssten jedoch die richtigen Fragen gestellt werden. Claus Dierksmeier fasste sein Anliegen abschließend in drei zentralen Punkten zusammen: Verantwortungsbewusste Politik, Ethik als das neue "Grün" und einen offenen Diskurs zwischen Bürgern, Politiker und Ökonomen. Für sein Schlusswort zitierte er Georg Lichtenberg: „Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser wird wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen, es muss anders werden, wenn es gut werden soll."

Link zum YouTube-Video´: http://www.youtube.com/watch?v=B1a_T07qD1g