An-Institut der Stiftung Weltethos
an der Universität Tübingen

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Welches Wachstum brauchen wir? „Klüger wirtschaften“

Wenn die Frage „Ist weniger mehr?“ ausgerechnet in der Vorweihnachtszeit Publikumsströme ins WEIT führt, dann im Rahmen von „Klüger wirtschaften“. 
Am 04. Dezember fand die elfte Diskussionsrunde der beliebten Veranstaltungsreihe statt, welche dieses Mal die Vereinbarkeit von wirtschaftlichem Fortschritt und Nachhaltigkeit zum Thema machte. Mit Prof. Dr. Niko Paech und Prof. Dr. Edeltraud Günther waren die Diskussionsgäste jedenfalls kompetent genug besetzt, um zu fragen: Welches Wachstum brauchen wir eigentlich? Ist vielleicht an einem bestimmten Punkt der ökonomischen Entwicklung weniger unter Umständen tatsächlich mehr?


„Unser Wirtschaften zerstört unsere Lebensgrundlagen“

Ausgangspunkt für die Diskussionen bei „Klüger wirtschaften“ seien stets Bücher, leitete WEIT-Direktor Prof. Dr. Claus Dierksmeier zu Niko Paechs meistgelesenem Werk Befreiung vom Überfluss Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (2012, Oekom Verlag) über. Dessen zentrale These lautet: „Unser Wirtschaften zerstört unsere Lebensgrundlagen.“ Diese und weitere Kernargumente des Buches stellte Edeltraud Günther der Podiumsdiskussion sachverständig und wertschätzend voran.
In seinem Buch würden, ausgehend von einer pointierten Beschreibung des ökonomischen Status Quo, Thesen für zukünftiges Wirtschaften entworfen, so die Professorin der Dresdner TU. Frau Günther lud das interessierte Publikum dazu ein, doch einmal ganz konkret über mögliche Einsparungen nachzudenken. Darüber, welcher Innovationen es genau bedürfe, um nachhaltiges und sozial verträgliches Wirtschaften zu ermöglichen. Ihr betriebsökonomischer Hintergrund ergänzte den eher volkswirtschaftlichen Rahmen durch anschaulichen Pragmatismus: Bei im Schnitt 45% unternehmerischer Materialausgaben, wieviel wird in Unternehmen eigentlich verschwendet? Oder: Braucht wirklich jeder deutsche Haushalt eine eigene Bohrmaschine, wenn sie im Schnitt nur zwölf Minuten pro Jahr in Gebrauch ist? Wäre Teilen dann nicht ökonomisch sinnvoller?


Das Revolutionäre im Einfachen

In eine ähnliche Richtung argumentierte auch Prof. Paech anhand finanzieller, materieller und psychischer Rebound-Effekte. Damit meint Paech Effizienzsteigerungen durch Einsparungen. Prof. Dr. Paech, sich seiner oppositionellen Lage zum wirtschaftlichen Mainstream durchaus bewusst, schlug daher „Degrowth“ (z. dt. „Wachstumsrücknahme“) vor, um das Einfache wieder zum Revolutionären zu machen. Selbstständige Reparaturarbeiten statt teurer Neukäufe. Das (Wieder-)Erlernen von Fertigkeiten im Gartenbau und im Handwerk statt der Abhängigkeit von Fachpersonal. Liebe zum eigenen Tun und genug Zeit zum Erlernen von Tätigkeiten, die das unmittelbare Wirtschaften und Haushalten von Menschen effizienter machten. „Wir sind so akademisiert, dass das Einfache das Revolutionäre ist“, resümierte der prominente Volkswirt.


Zurück zum menschlichen Maß?

Einig war man sich auf dem Podium darin, dass die Begeisterung und Hingabe für das wirtschaftliche Tun in der Ökonomie mehr Beachtung finden müsse. WEIT-Geschäftsführer Dr. Bernd Villhauer nutzte die Diskussion jedoch auch um kritisch nachzufragen, weshalb Paech der Nachhaltigkeit und den Renditemöglichkeiten im Finanzsektor so wenig Aufmerksamkeit schenke. Das sei Villhauer zufolge schließlich der Ort an dem die wesentlichen ökonomischen Kräfte entstünden. „Das ist ja echt die harte Tübinger Schule“, erwiderte Paech, bevor er einerseits realwirtschaftlich auf die allgemeine politische Bewährtheit des BIP verwies, und andererseits auf die oppositionelle Rolle alternativer Messversuche, wie zum Beispiel der Messung von Glück oder dem nationalen Wohlfahrtsindex. Statt der Orientierung am Finanzmarkt gefielen ihm jedoch alternative, leicht umsetzbare Ideen, die Fragen des ökologischen und ökonomischen Anstandes berühren. Mit der „Rückkehr zum menschlichen Maß“ will er statt auf die Steigerung des BIP auf messbare Verschwendung fokussieren. Arbeitet die Bank meines Vertrauens nach ökologischen bzw. sozialen Maßstäben? Brauche ich wirklich jedes Jahr zwei bis drei Flugreisen? Könnte ich nicht mein Auto teilen? So richtig in die Mangel genommen wurde Prof. Paech an diesem Punkt von WEIT-Koordinator Dr. Christopher Gohl. Dieser fragte, inwiefern die radikalen Einsparungsvorstellungen überhaupt zumutbar seien. Das Weltethos-Institut sei doch genau der richtige Ort, um dies offen und gehaltvoll im Spannungsfeld ökologischer, ökonomischer und individueller Notwendigkeits- und Bedürfnisprofile zu diskutieren, entgegnete der wortgewandte Podiumsgast.

Wir vom WEIT stimmen Herrn Prof. Paech darin absolut zu, und möchten an dieser Stelle Frau Prof. Günther und ihm nochmals herzlich für eine gehaltvolle und anregende Runde Klüger wirtschaften danken!

Das Video zur Veranstaltung finden Sie hier.