„Instandbesetzung der politischen Institutionen“ „Wie können – unter Bedingungen schrumpfender Wachstumsraten – Arbeitsplätze, Renten, Bildung, medizinische Versorgung gesichert werden? Wie können die Ess- und Mobilitätsgewohnheiten einer ganzen Bevölkerung verändert werden? Wie definiert man angesichts der kommenden Rationalisierungswellen „gute Arbeit“? Diese entscheidenden Fragen stellt Mathias Greffrath im Prolog des neuen Atlas für Globalisierung von Le Monde diplomatique. Darin geht es um das wichtigste globale Zukunftsthema überhaupt: Postwachstum. Was Wachstum ist, weiß jeder – ohne Wachstum gibt es angeblich keinen Wohlstand, keine Freiheit, keinen Erfolg. Doch auf einem begrenzten Planeten kann es kein unbegrenztes Wachstum geben. Wir ahnen schon lange, dass es so nicht weitergehen kann. Aber was dann? Der Postwachstumsatlas versucht, Antworten zu geben. Ein notwendiges Buch für alle, die nachdenken. Greffrath schließt seinen Prolog („Wider die globale Unvernunft“) mit einem Aufruf zur „Instandbesetzung der politischen Institutionen“: „Alle Überlegungen zur ‚Postwachsturnsgesellschaft‘, alle Pioniertaten könnten Übungen in Vergeblichkeit bleiben, wenn sie nicht mit einer Politisierung der ökologischen Aktivisten und einer Instandbesetzung der politischen Institutionen einhergehen. Denn noch stehen diese, aber ihre Fundamente schwanken und ihre Fassaden sind durchlöchert. Zurzeit scheint das die anstrengendere, langweiligere, langwierigere, gelegentlich gar verachtete Arbeit zu sein – aber es gibt nicht nur einen Peak Oil, einen Peak Soil, einen Peak Water, es gibt auch einen Peak Democracy.“ Was fehlt? Was bei erstem Durchblättern auffällt: Im Griechenland-Kapitel (S.98) hätte unbedingt die verdienstvolle Fernseh-Dokumentation „Macht ohne Kontrolle“ von Harald Schumann, sowie dessen Artikel im Berliner Tagesspiegel erwähnt werden müssen. Ebenso hätte die mehr als 20jährige Vorarbeit der Forschungsgruppe Ethisch-Ökologisches Rating (FGEÖR) an der Frankfurter Universität zu den Themen „Gemeingüter“, „Externalisierung“, „Ressourcenschonung“, „nachhaltiger Wettbewerb“, „Erhaltung der Schöpfung“ (aus der die Oekom Research AG, der Oekom-Verlag und dessen Zeitschrift Politische Oekologie, das Forum Nachhaltige Geldanlagen und CRIC – Corporate Responsibility Interface Center, Verein zur Förderung des ethischen Investments, entstanden sind) Erwähnung finden können. Weiter die einschlägigen zahlreichen Arbeiten von Gerhard Schwerhorn und Johannes Hoffmann, etwa der Frankfurt-Hohenheimer Leitfaden oder Scherhorns „Wachstum oder Nachhaltigkeit – Die Ökonomie am Scheideweg“. Schließlich der Blog der FGEÖR und ihre jüngste Veröffentlichung „Nachhaltigkeit im Wettbewerb verankern“ in der Schriftenreihe WISO-Diskurs der Friedrich-Ebert-Stiftung. Verwunderlich stimmt schließlich, dass der wichtige Begriff des Earth Overshoot Day nicht vorkommt (siehe auch: solarify.eu/heute-ist-earth-overshoot-day). Nach dem mühsamen Einscannen der Texte und Zitate für diese Seite findet man auf dem Titel unten den Hinweis: „mit Download“ – es bedarf aber einigen Spürsinns, um den etwas verzwickten Weg des Downloads nachzuvollziehen: Über dem Impressum findet man nach einigem Suchen den Hinweis: „Ihre persönliche PIN-Nummer zum Download finden Sie auf der hinteren Umschlagseite“. Gemeint ist die hintere Innenseite; dort ist die Webseite leider fehlerhaft angegeben, was aber durch eine kurze Websuche zu meistern ist. Richtig heißt sie http://monde-diplomatique.de/atlas2015. Der PDF-Download stützt dann die obigen Anmerkungen. Diese Anmerkungen schmälern jedoch kaum das Verdienst, ein so unfassendes Werk zum Thema Postwachstum zusammen getragen zu haben. Inhalt mit Unterabteilungen 1. Wachstum Kapitalistische Gesellschaften sind wachstumsgesellschaften, ihre relative Stabilität erhalten sie durch permanente Bewegung. Damit alles bleibt, wie es ist, oder zumindest nicht schlechter wird, müssen sie wachsen – wer stillsteht, fällt zurück. Aber was genau wächst hier eigentlich? Das Bruttoinlandsprodukt, das Angebot an joghurtsorten und Smartphones – oder nicht doch eher die soziale Ungleichheit? Und was hat der weltweite Fleischkonsum damit zu tun? Oder die Frage, wie eine Gesellschaft sich um ihre Kinder und Alten kümmert? Der Begriff“Wachstum“ umfasst offenbar sehr unterschiedliche Dinge, die dennoch nicht isoliert voneinander betrachtet werden können. Und die Wachstumslogik lässt sich auch nicht so einfach außer Kraft setzen, denn sie ist tiefin die gegenwärtigen ökonomischen, politischen und kulturellen Strukturen eingeschrieben. Fast scheinen wir zum Wachstum verdammt. Wenn aber der Kapitalismus Wachstum braucht, dann braucht jede Wachstumskritik auch eine Kapitalismusanalyse. 14 Ein Rückblick auf den Wachstumsstaat Stephan Lessenich • Nach dem Zweiten Weltkrieg begann in Europa die Ära des Wohlstands 16 Der Grundwiderspruch des 21. Jahrhunderts Elmar Altvater • Der globalisierte Kapitalismus ist auf eine stetig wachsende Wirtschaft angewiesen, nun stößt er an natürliche Grenzen 20 Die Finanzialisierung der Welt Christoph Deutschmann • Seit den 1970er Jahren ermöglichte die Politik den Banken, Versicherungen und Fondsmanagern, ihren Einfluss auf die Wirtschaft auszubauen 22 Tiere nutzen Hilal Sezgin • Wie sich die industrielle Produktion von Fleisch, Eiern und Milch weltweit ausbreitet 28 Erziehung zum Konsum Juliet B. Schor • Geld ausgeben ist alles, erst recht in den USA, wo die Mittelklasse immer ärmer wird 30 Rang und Namen Michael Hofmann, Lucia Reisch • Statusgüter sind knapp und begehrt, denn sie zeigen eine hohe Stellung in der Gesellschaft an 32 Chinas neue Mittelschichten Shi Ming • Die Menschen orientieren sich am westlichen Lebensstil, mit all seinen zerstörerischen Konsequenzen 36 Lateinamerika: Wachstum und Naturausbeutung Kristina Dietz • Der Export von Rohstoffen ermöglicht eine Bekämpfung der Armut – zu hohen Kosten 38 Unentbehrlich, unterbezahlt – und viel zu wenig anerkannt Brigitte Aulenbacher • Was Sorgearbeit ist, wer sie leistet und welche Konflikte entstehen 42 Verdichtete Zeit Hartmut Rosa • Wachstum bedeutet Beschleunigung, aber Entschleunigung ist auch keine Lösung 44 Das Erdzeitalter des Kapitals Elmar Altvater • Im Kapitalozän haben Geoingenieure das Sagen. Sie wollen die zerstörerischen Folgen des industriellen Wachstums mit der Technik bekämpfen, die die Probleme verursacht hat. 2. Versuche in Grün Die Verfechter eines „grünen Wachstums“ wollen das Wirtchaftswachstum möglichst weitgehend vom Verbrauch natürlicher Ressourcen entkoppeln. Ihnen schwebt eine prosperierende Wirtschaft ohne Umweltzerstörung vor. Die Konzepte für ein Umsteuern zu einem „grünen Kapitalismus“ gründen allerdings auf Voraussetzungen, die derzeit nicht existieren und auch in naher Zukunft nur schwer vorstellbar sind – wie mehr staatliche Regulierung, starke soziale Bewegungen und eine demokratische Kontrolle der (Finanz-)Märkte. Darüber hinaus fehlen einstweilen die technischen Mittel für ein sauberes Wirtschaftswachstum im Weltmaßstab, und ob sie je erfunden werden, ist ungewiss. Schließlich sorgt die globale Arbeitsteilung dafür, dass zum Beispiel Deutschland heute zwar kohlenstoffärmer produziert als früher, im Gegenzug aber die neuen Werkbänke der Welt, allen voran China, einen rasant steigenden Ausstoß an schädlichen Klimagasen verzeichnen. „Grünes Wachstum“ wird also auf absehbare Zeit ein politisch und wissenschaftlich umstrittener Begriff bleiben – die damit verbundenen Perspektiven sind ebenso wichtig wie die dazugehörige Kritik. 48 Ein neuer Gesellschaftsvertrag für den grünen Kapitalismus Ulrich Schachtschneider • Ökologie und soziale Frage gehören zusammen 52 Die Illusion vom sauberen Wachstum Ulrich Brand • Der Green New Deal verspricht eine grüne industrielle Revolution, an der sozialen Ungleichheit und der Ausbeutung der Natur im globalen Süden will er nichts ändern 54 Projekt Energiewende Manfred Kriener • Deutschland war der Vorreiter, heute wird weltweit in den Ausbau der Erneuerbaren investiert – von Uruguay bis China 56 Umweltfreundlich mehr verbrauchen Tilman Santarius • Wer ein Hybridauto hat, fährt mit gutem Gewissen mehr. Das nennt man den Rebound-Effekt 58 Die ökologischen Vorzüge der Dienstleistungsgesellschaft Norbert Reuter • Warum Investitionen in Erziehung, Bildung und Gesundheit den Wachstumsdruck verringern 60 Sonne, Wind und Arbeit Dietmar Hexel • In puncto Lohnniveau und Mitbestimmung sind die Erneuerbaren deutlich schlechter als ihr Ruf 3. Krisen und Konflikte Obwohl Wirtschaftswachstum weithin den guten Ruf hat, für Wohlstand und sozialen Frieden zu sorgen, funktioniert es keineswegs harmonisch. Im Gegenteil: Konflikte sind strukturell in der Wachstumsgesellschaft angelegt. Staaten konkurrieren untereinander um ihre Wettbewerbsfahigkeit, und viele Produkte sind nur deshalb so billig, weil Arbeiterinnen in China oder Bangladesch sie für Hungerlöhne herstellen; während sich Kunden langlebige Produkte wünschen, lohnt es sich für Unternehmen oftmals, den baldigen Verschleiß gleich mit einzubauen. Und sobald Arbeitskräfte, Rohstoffe, Technologien oder zahlungskräftige Nachfrage fehlen, kommt es zu Arbeitslosigkeit, sozialen Verwerfungen und Armut. Doch auch wenn der Wirtschaftsmotor auf Hochtouren läuft, untergräbt er seine eigenen Existenzbedingungen und erzeugt immer wieder Krisen: angefangen bei den ökologischen Schäden durch den immer riskanter werdenden Abbaufossiler Rohstoffe bis zu den globalen Ungerechtigkeiten, die beispielsweise durch zunehmendes Landgrabhing entstehen. Krisen und Konflikte sind im Wachstumskapitalismus eben nicht die Ausnahmen, sondern der „ganz normale Lauf der Dinge“. 62 „Peak Everything“, das gefährliche Maximum Birgit Mahnkopf • Knappe Ressourcen, überlastete Ökosysteme und kein Ende in Sicht 64 Textilien für die Welt Annette Jensen • Der industrielle Anbau von Genbaumwolle verbraucht enorme Mengen Wasser, vergiftet die Böden und ist für die Feldarbeiter lebensgefährlich 68 Das Proletariat der Globalisierung Florian Butollo • In China verbessern sich die Arbeits- und Lebensbedingungen trotz technologischer Fortschritte nur sehr langsam 70 Die neuen Akteure im Kampf um Land Beatriz Rodríguez-Labajos, Leah Temper, Lucía Argüelles • Warum globale Umweltkonflikte zunehmen und wie die traditionelle Subsistenzwirtschaft zerstört wird 72 Sand, ein knappes Gut Kiran Pereira • Die Nachfrage aus der Bau-, Mineral- und Frackingindustrie erschöpft die globalen Vorkommen und führt zu irreparablen Umweltschäden 76 Erdgasboom mit Nebenwirkungen Henning Mümmler-Grunow • Fracking ist extrem teuer und umweltschädlich – und womöglich kaum profitabel 78 Garantiert nicht lang haltbar Jürgen Reuß • Die Hersteller konstruieren Mixer, Fernseher, Handys und andere Massengüter gezielt so, dass sie schnell kaputtgehen 84 Lebensmittel für die Tonne Valentin Thurn • In den reichen Industrieländern beginnt die Verschwendung bereits auf dem Acker. Ändern lässt sich das nur, wenn Erzeuger, Händler und Verbraucher zusammenarbeiten 86 Giftige Geschäfte mit alten Geräten Cosima Dannoritzer • In Afrika und Asien werden kaputte Computer, Handys und Haushaltsgeräte aus den Industrieländern auf lebensgefährliche Weise entsorgt 90 Den Klimawandel stoppen Ottmar Edenhofer, Christian Flachsland, Jérôme Hilaire, Michael Jakob • Es gibt nicht zu wenig, sondern zu viel fossile Ressourcen – sie müssen in der Erde bleiben 94 Landgrabbing in Europa Roman Herre • Ackerland wird zunehmend zum Investitionsobjekt für Energie-, Rohstoff- und Finanzkonzerne – auch in Deutschland 96 Die neue soziale Frage Steffen Liebig, Stefan Schmalz • In Europa gehen die Menschen aus Wut und Verzweiflung auf die Straße, sie fordern Teilhabe und besetzen öffentliche Plätze 98 Der Fall Griechenland Maria Markantonatou • Wenn Wachstumsgesellschaften nicht mehr wachsen und die Sparpolitik die Probleme nur verschlimmert 102 Deutschland – der eingebildete Gesunde Steffen Lehndorff • Der Exportweltmeister profitiert nur scheinbar vom Sozialdumping 4. Postwachstum Dem Wortsinne nach bedeutet Postwachstum schlicht „nach dem Wachstum“ Angesichts des Klimawandel, sozialer Konflikte und knapper Ressourcen droht der Kapitalismus in eine unfreiwillige, krisenhafte und spannungsreiche Schrumpfung abzugleiten. Doch mit Postwachstum ist etwas anderes gemeint als die Dauerkrise unserer Wachstumsgesellschaft: Eine zukunftsfähige Postwachstumsgesellschaft müsste nicht mehr um jeden Preis wachsen, um sich zu stabilisieren. Unternehmen und Volkswirtschaften wären nicht zu Expansion, Akkumulation und Produktionssteigerung verdammt; besonders ressourcenintensive Branchen müssten zurückgebaut werden, um die ökologischen Grenzen nicht vollends zu überlasten, während Bereiche wie Gesundheitsversorgung und Altenpflege weiter ausgebaut werden sollten. Bei der Nahrungsmittelversorgung oder der Definition dessen, was Wohlstand und Gerechtigkeit bedeuten, stünden die konkreten Bedürfnisse im Vordergrund – und nicht Profit, Kaufkraft oder abstrakte Kennziffern wie das BlF. Noch ist der Weg in diese ganz andere Gesellschaft nur in Ansätzen erkennbar. Es überwiegen die großen Fragen und die kleinen Antworten, aber diese sind ebenso vielversprechend wie ernst zu nehmen. 104 Der schwierige Übergang Ulrike Herrmann • Der Kapitalismus ist zerstörisch, und für den Ausstieg gibt es keinerlei Plan 108 Wie alles anfing Barbara Muraca • Die ersten radikalen Wachstumskritiker gab es in Frankreich, von dort sprang der Funke auf südeuropäische Länder über 112 Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt Hans Diefenbacher, Dorothee Rodenhäuser • Das Bruttoinlandsprodukt bildet vieles nicht ab, deshalb brauchen wir alternative Indikatoren und Maßstäbe 116 Spielarten der Wachstumskritik Matthias Schmelzer • Degrowth, Klimagerechtigkeit, Subsistenz – eine Einführung in die Begriffe und Ansätze der Postwachstumsbewegung 122 Im Schatten des Geldwerts Adelheid Biesecker, Uta von Winterfeld • Reproduktion, Geschlechtergerechtigkeit und andere blinde Flecken in der Postwachstumsdebatte 124 Das falsche Konzept Alberto Acosta • Auch der globale Süden benötigt angesichts der sozialen und ökologischen Probleme Alternativen zum Wachstum 126 Ein ganz anderes Wirtschaftsmodell für Asien Chandran Nair • Für China und Indien sind Bildung und sauberes Wasser viel wichtiger als freie Märkte 130 Säen für die Zukunft Christiane Grefe • Noch dominiert die industrielle Agrarproduktion, doch viele Städter und Bauern proben schon das Bündnis für eine nachhaltige, solidarische Landwirtschaft 134 Pionier der Bodengewinnung Elisabeth von Thadden • Ein Wasserwirtschaftler aus Hamburg arbeitet unermüdlich daran, menschliche Exkremente in fruchtbaren Boden zu verwandeln – das klappt tatsächlich 138 Eine andere Stadtpolitik ist möglich Thomas Köhler, Jonas Abraham • In Transition Towns sorgen Nachbarschaftshilfe, alternative Versorgungskonzepte und Stadtgärten für Nachhaltigkeit und Zusammenhalt 140 Von schrumpfenden Städten lernen Annegret Haase, Dieter Rink • In Leipzig haben sich alternative Nutzungen von Häusern und Flächen etabliert 142 Die bessere Technik für morgen Andrea Vetter • Mit Wiederverwertung, Open Design und gemeinschaftlichem Eigenbau lassen sich zukunftsfähige Produkte entwickeln 144 Gutes Leben in Bolivien Johanna Sittel • Die indigene Lebensweise des „vivir bien“ hat in mehreren Andenländern Verfassungsrang 146 Teilen, die andere Ökonomie Reiner Metzger • Sharing könnte eine Alternative zum Eigentum sein – tatsächlich verschafft es dem Kapitalismus neue Märkte 150 Commons und die Kliniken der Solidarität Judith Dellheim • Nachdem in Griechenland das Gesundheitssystem zusammengebrochen ist, leisten Freiwillige, Gewerkschaften und Genossen medizinische Hilfe 152 In Zeiten des Ernstfalls Rebecca Solnit • Warum wir Ölkonzernen und anderen Klimakillern den Geldhahn zudrehen müssen 156 Ökonomie ohne Abfall Annette Jensen • Wiederverwenden und weiternutzen sind die Grundprinzipien der Kreislaufwirtschaft – nach dem Vorbild der Natur 160 Lob der Gleichheit Klaus Dörre, Stephan Lessenich, Hartmut Rosa • Warum die Postwachstumsgesellschaft umverteilen muss 162 Subsistenz ist die Lösung Veronika Bennholdt-Thomsen • Plädoyer für eine Ökonomie, in der für alle genug da ist Aus dem Vorwort: Das Unbehagen am Wachstum Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise hat die allgemeine Wachstumseuphorie kaum erschüttert. Und nicht nur das, die Steigerung des Wirtschaftswachstums gilt in der Krise sogar noch als Patentrezept für deren Lösung. Von Arbeitslosigkeit und Armut über die Verschuldung von Staaten und Privathaushalten bis hin zur Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen sowie der Entwicklung neuerTechnologien: Ohne Wachstum lassen sich angeblich keine gesellschaftlichen Fortschritte erzielen. In der Wachstumsfrage herrscht eine erstaunlich große Einigkeit, wie auch bei Wahlen regelmäßig deutlich wird. Während die CDU etwa zur Europawahl 2014 mit „Wachstum braucht Weitblick. Und einen stabilen Euro“ warb, plädierte die SPD für „Ein Europa des Wachstums. Nicht des Stillstands“. Ohne Wachstum herrscht Stillstand – eine Horrorvision, die nicht nur die Sozialdemokratie umtreibt. Andererseits wird jedoch zunehmend offensichtlich: Ein bloßes „Weiter so“ auf dem Weg des Wachstums wird es nicht mehr lange geben können. Die gesellschaftliche und politische Fixierung auf immer neue Zuwachsraten blockiert mitunter die Erkenntnis, dass 2 Prozent BIP-Wachstum im Jahr 2015 eben nicht das Gleiche ist wie 2 Prozent Wachstum vor einigen Jahrzehnten, als das globale BIP-Volumen noch einen Bruchteil des heutigen ausmachte. Die fossilen Rohstoffe gehen zur Neige; das herkömmliche Wirtschaften zerstört die Umwelt; in den früh industrialisierten Ländern gehen die Wachstumsraten im Mittel seit Jahrzehnten zurück; und weltweit verschärfen sich die Ungleichheiten – von solchen Tatsachen aber hat sich der Kapitalismus freilich noch nie irritieren lassen. Doch auf einem begrenzten Planeten kann es kein unbegrenztes Wachstum geben, von dieser Einsicht geht die Postwachstumsbewegung aus. Die Frage lautet nicht, ob wir uns vom Wachstum verabschieder wollen, sondern wie der Abschied vonstatten gehen soll: geplant oder erzwungen, „by design“ oder „by desaster“. Ein grundlegender Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft ist gefragt. Nur wenn es gelingt, Wohlfahrt und sozialen Fortschritt von den Zwängen der Kapitalakkumulation zu entkoppeln, ist ein selbstbestimmter Verzicht auf Wachstum möglich. Das Gute Leben jenseits des Wachstums und die Gesellschaftsform, die ein solches Leben ermöglicht, müssen erst noch gefunden werden. Die Voraussetzungen dafür mögen zurzeit nicht besonders günstig erscheinen. Und doch zeigen viele größere und kleinere, lokale und länderübergreifende Initiativen, dass sich etwas bewegt. Mit dem vorliegenden neuen „Atlas der Globalisierung. Weniger wird rnehr“ wollen LeMonde diplomatique und das Jenaer Kolleg Postwachstumsgesellschaften einen Beitrag zu dieser gesellschaftlichen Bewegung leisten. Atlas der Globalisierung (2015), taz-Verlag, 16,00 EUR, mit Download, über 300 Karten und Infografiken, 176 Seiten, broschiert ->Quellen: agentur-zukunft.eu monde-diplomatique.de