An-Institut der Stiftung Weltethos
an der Universität Tübingen

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Gabriel-Rede zu CETA

Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, in der Aktuellen Stunde zur Umsetzung der Auflagen des Bundesverfassungsgerichts zum europäisch-kanadischen Freihandelsabkommen  CETA durch die Bundesregierung vor dem Deutschen Bundestag am 20.10.2016 in Berlin:
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel in Bundestagsdebatte zu TTIP 20140925 - Screenshot © BundestagsfernsehenFrau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Das, was der Kollege Dehm eben als „Zettelsammlung“ bezeichnet hat, sind die Beschlüsse des Europäischen Rates. Diese Beschlüsse haben wir herbeigeführt. Dort finden Sie die drei Auflagen des Bundesverfassungsgerichtes wieder.

  1. Erstens die Klärung, wie die vorläufige Anwendung zu Ende gebracht wird, wenn ein Mitgliedstaat sich gegen CETA entscheidet.
  2. Zweitens die Abgrenzung, was europäisches Recht und was nationales Recht ist.
  3. Und drittens die Feststellung, dass die gemischten Ausschüsse selbstverständlich kein Recht haben, etwas zu beschließen, sondern dass sie beratend tätig sind und ansonsten der Ministerrat diese Beschlüsse erst fassen muss. Das kann man auf Deutsch lesen. Das kann man auf Englisch lesen. Vor allen Dingen aber ist es erst vor zwei Tagen verabschiedet worden. Deshalb ist es auch noch nicht bei Ihnen gelandet. Ich weiß, Sie sind schnell. Gelegentlich ist es aber auch gut, wenn man etwas langsam liest. Dann versteht man es besser.

Ich habe zum Beispiel Jürgen Trittins Rede hier zu CETA in guter Erinnerung, weil ich mir die damals angehört habe. Ich habe immer versucht, die Dinge, die hier im Parlament als Frage oder als Kritik genannt worden sind – Jürgen Trittins Rede war ganz wesentlich auf das Thema Vorsorgeprinzip ausgerichtet –, ernst zu nehmen und dann auch zu klären. Deswegen gibt es jetzt eine Erklärung, die gemäß Artikel 31 des Wiener Vertragsstaatenübereinkommens rechtsverbindlich ist, zum Beispiel zum Thema Vorsorge. Dort steht unter anderem: CETA wird unsere jeweiligen Standards und Vorschriften im Zusammenhang mit Lebensmittelsicherheit, Produktsicherheit, Verbraucherschutz, Gesundheitsschutz, Umweltschutz und Arbeitsschutz nicht absenken. Eingeführte Waren, Dienstleistungserbringer und Investoren müssen weiterhin den innerstaatlichen Anforderungen einschließlich der Vorschriften und Regelungen genügen. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Kanada bekräftigen ihre Verpflichtung im Hinblick auf die Vorsorge.
Das ist rechtsverbindlich nach Artikel 31 des Wiener Vertragsstaatenübereinkommens. Ich frage mich: Warum sind Sie nicht einmal zufrieden, wenn die Dinge, die Sie hier öffentlich vortragen, von uns umgesetzt werden?
– Sie finden im Internet zu jeder Frage einen Gutachter, Herr Ernst. Das ist die Voraussetzung dafür, um Anwälte zu beauftragen. Das ist ein in Deutschland übliches und erlaubtes Geschäftsmodell. Aber im Parlament muss man doch froh sein, wenn die Sorgen der Bevölkerung durch rechtsverbindliche Klarstellung, was in CETA nicht passiert und was in CETA passiert, berücksichtigt werden. Wenn Sie aber von „selbstgefällig wie die Großjunker“ sprechen, dann frage ich mich: Haben Sie eigentlich ein einziges Mal mit der Regierung Griechenlands gesprochen, die CETA unbedingt will? Haben Sie das einmal getan?
– Ich weiß nicht, Herr Dehm, ob Sie sich hier dazu äußern wollen. Das können Sie gerne machen.
Eines muss jeden, der kritisch auf CETA blickt, trotzdem einen Moment nachdenklich machen – das gilt auch für die Grünen –, nämlich dass im Handelsministerrat von 28 Mitgliedstaaten 28 erklären, sie wollen das Abkommen. Zwei Staaten, nämlich Rumänien und Bulgarien, haben noch nicht zugestimmt, weil sie noch eine Visafrage geklärt haben wollen. Belgien kann noch nicht zustimmen, weil Wallonien – ein Land wie bei uns die Bundesländer – seine Zustimmung bislang verweigert. Derzeit ist die Abstimmung über CETA angehalten, weil ein Regionalparlament sagt: Wir wollen es nicht.
– Ich habe überhaupt nichts gegen Regionalparlamente, Frau Künast. Ich schildere einen Sachverhalt.
Ich finde, hier muss man sich wenigstens eine Sache fragen: Könnte es sein, dass der hohe Ton der Kritik und die Selbstgefälligkeit bei einem selber stattfinden und dass nicht alle anderen blöd sind? Alle anderen sollen blöd sein? Ich fand die Debatten deshalb hilfreich, weil sie dazu geführt haben, Dinge zu klären.
Aber es muss doch auch irgendwie nachdenklich machen, wenn unter den 28 Staaten, die das wollen, Staaten sind, in denen die Linke die Regierung stellt. Sie kämpfen immer für Griechenland. Davor habe ich großen Respekt. Warum sind Sie eigentlich da der Meinung, dass das, was die Griechen wollen, und dass deren Erwartungen an CETA Junkertum sei? In Schweden sind die Grünen in der Regierung, in einigen anderen Ländern auch. Die wollen von mir, dass ich TTIP realisiere. Natürlich sind sie sowieso für CETA.
Mir geht es gar nicht darum, dass ich Ihre Kritik vom Tisch wischen will. Aber ich finde, der Ton der Debatte erinnert sehr daran, dass am eigenen Wesen Europa genesen soll.
– Nein, Herr Dehm, das ist überhaupt nicht heftig, weil der Rest der europäischen Mitgliedstaaten das genau so versteht.
– Ich weiß schon, was ich gesagt habe. Bei solchen Zitaten kenne ich mich ganz gut aus.
Aber, wenn man schon über Selbstgefälligkeit im Junker- oder Großjunkertum spricht, dann muss man beachten, dass der berühmte Satz „Wenn man mit dem Finger auf andere zeigt, dann zeigen mindestens drei Finger auf einen zurück“ sehr wahrscheinlich zutrifft. Deswegen bitte ich darum, dass wir trotz aller unterschiedlichen Beurteilungen abwarten, was dort drinsteht oder nicht drinsteht.
Ich sehe einer weiteren Klage vor dem Bundesverfassungsgericht als Eilantrag gelassen entgegen. Wie das Verfassungsgericht in der Hauptsache urteilen wird, wissen wir alle noch nicht. Ich bin relativ sicher, dass das Abkommen in der Hauptsache auch akzeptiert wird, und zwar gerade wegen der Klarstellungen nach Artikel 31 des Wiener Vertragsstaatenübereinkommens, aber übrigens auch, weil nicht Sie über die Frage entscheiden, ob die Auflagen des Verfassungsgerichts eingehalten worden sind – ich übrigens auch nicht –, sondern das Verfassungsgericht selbst. Ja, hier bin ich ganz gelassen, weil wir diese Auflagen am letzten Dienstag hineinverhandelt haben.
Die Bundesregierung hat dort gesagt: Wir können dem nicht zustimmen, wenn die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts heute in der Sitzung des Rates nicht als Ratsstandpunkt angenommen werden. – Wir haben uns nicht damit zufriedengegeben, dort nur eine rechtsverbindliche Erklärung der Bundesregierung abzugeben – nur das war übrigens die Auflage des Verfassungsgerichts; es hat gar nicht von uns verlangt, dass wir einen Ratsstandpunkt herbeiführen –, sondern haben diesen Ratsstandpunkt herbeigeführt. Die anderen 27 Mitgliedstaaten haben zugestimmt.
Ich finde, Sie sollten, ehrlich gesagt, froh darüber sein, dass die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union jetzt seit geraumer Zeit ertragen und sogar mitmachen, wenn die Bundesrepublik Deutschland plus Österreich und wenige andere dort Nachforderungen stellen. Es sollte ein bisschen zur Nachdenklichkeit beitragen, dass da ganz viele Länder sitzen, die folgenden Eindruck haben: Na ja, den Deutschen geht es gut, deren Handel wächst, deswegen können die sich leisten, uns Vorschriften zu machen, sodass wir im Handel nicht weiterkommen. – Das ist die Interpretation, zu der inzwischen viele kommen. Ich teile sie nicht; ich finde, dass man über all die Kritikpunkte reden muss. Aber es kann nicht sein, dass Sie einerseits immer davon reden, wie wichtig es ist, dass wir in Europa zusammenhalten, und dass Sie – gelegentlich tue ich das ja auch – Teile der Politik, auch der Bundesregierung, dafür kritisieren, dass sie in Europa zu forsch führen, aber andererseits nicht einmal darüber nachdenken, wie diese Art der Debatte – „Großjunkertum“ und anderes – auf andere Mitgliedstaaten wirkt.
Ich finde, wir haben ungeheuer viel erreicht. Sie erinnern sich vielleicht daran, dass die Grünen immer gesagt haben – sie haben oft versucht, mich da festzunageln, und ich habe versucht, dem aus dem Weg zu gehen –: Du musst den Investitionsschutz da herausbekommen. – Dann habe ich gesagt: Hm, das ist schwierig; das Abkommen ist ausverhandelt. – Jetzt haben wir in Kanada eine Regierung, die mit den privaten Schiedsgerichten Schluss macht. Das war der Kern der Debatte hier: Private Schiedsgerichte soll es nicht mehr geben.
– Doch, Frau Dröge! Lesen Sie es doch einfach in Ihren eigenen Reden nach! – Ich habe immer gesagt, ich bin sehr skeptisch, ob das gelingt; aber die Kanadier haben die Verhandlungen über das Abkommen erneut eröffnet.
Ich habe dann übrigens hier auch mal gesagt, dass ich eine Zeit lang die Vorstellung hatte – so ist damals die Bundesregierung von CDU, CSU und FDP noch angetreten –, dass man bei solchen Abkommen eigentlich gar keinen Investitionsschutz braucht, weil wir in Rechtsstaaten leben. Aber die Erfahrungen im Umgang mit einigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union als deutscher Wirtschaftsminister haben mich eines Besseren belehrt, nämlich, dass es ganz gut ist, wenn man ein paar Absicherungen hat, und das sogar inner-halb Europas. – Das haben wir geschafft.
Dann haben wir all die Fragen aufgenommen. Jetzt hat Kanada gegenüber der EU eine rechtsverbindliche Erklärung abgegeben, die zum Beispiel die Geltung des Vorsorgeprinzips und den Schutz der Arbeitnehmerrechte umfasst, aber auch die Festlegung, dass es keine Einführung von Gentechnik gegen europäisches Recht geben kann. Das steht da jetzt alles drin. Jetzt schaffen wir es auch noch, die rechtsstaatlichen und verfassungsrechtlichen Fragen zu klären.
Es ist natürlich eine berechtigte Frage: Wie sind eigentlich Entscheidungen im Rahmen von CETA an die nationalen Parlamente rückgebunden? Jetzt schaffen wir das auch noch. Und jetzt kommen Sie mit dieser Debatte. Ich persönlich kann das nicht verstehen.
Ich habe eine große Sorge – das will ich Ihnen zum Abschluss mal sagen; es ist Ihnen vielleicht egal, mir aber nicht –: Dass es überhaupt ein solches Abkommen mit Sozialstandards, I-LO-Kernarbeitsnormen und vielem anderen mehr gibt.
– Doch, Herr Ernst, das steht da drin. Die Kanadier werden die acht Kernarbeitsnormen akzeptieren.
Kein anderer hat das bisher gemacht. Sie haben hier nie ein Abkommen dafür kritisiert, dass es das nicht gab. Ausgerechnet bei einem Abkommen mit dem Land, das uns am nächsten steht – Kanada –, tun Sie es. Es ist doch albern, was da passiert. Entschuldigung, das ist albern!
Vor zehn Jahren haben die Umweltverbände, die Gewerkschaften und die Zivilgesellschaftsorganisationen die Europäische Union aufgefordert, keine reinen Freihandelsabkommen mehr abzuschließen, sondern Abkommen, in denen all das drinsteht, was hier jetzt drinsteht. Nach dem, was die Europäische Union jetzt dabei erlebt, besteht die große Gefahr, dass alle kommenden Abkommen wieder nur ganz normale Freihandelsabkommen sind, ohne jede Regelung für die Globalisierung. Ich finde, diejenigen, die das, was hier drinsteht, so heftig kritisieren, sollten eine Sekunde überlegen, ob das nicht eine viel größere Gefahr ist. CETA ist ein exzellentes Abkommen. Und deswegen habe ich aus großer Überzeugung zugestimmt.
->Quellen:  

Über den Autor:

Gerhard Hofmann

Gerhard Hofmann

Dr. Hofmann war bis 2008 TV-Redakteur, u.a. ARD-Korrespondent Südamerika und Chefreporter SWF, Chefkorrespondent n-tv und RTL. Als Chef der Agentur Zukunft, berät im Bereich der erneuerbaren Energien und Nachhaltigen Entwicklung, u.a. die Desertec Initiative Dii, das IASS Potsdam, acatech und die ...