Interview mit Prof. Heribert Schmitz, Forschungsgruppe Ethisch-Ökologisches Rating (Uni Frankfurt) zu TTIP und CETA
Kaum ein internationaler Vertrag ist derzeit so umstritten wie TTIP, die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der USA und der Europäischen Union. Befürworter des Freihandelsabkommen hoffen auf einen Schub für die Wirtschaft und mehr Arbeitsplätze. Kritiker warnen vor der Absenkung von Umwelt- und Sozialstandards. Ähnlich kontrovers wird der geplante Freihandelsvertrag CETA zwischen der EU und Kanada diskutiert. Auch der Wirtschaftsexperte Prof. Heribert Schmitz warnt vor den Folgen solcher Handelsabkommen. Im Interview mit dem Internetportal Weltkirche erläutert er die Auswirkungen und plädiert für einen Stopp der Verhandlungen.
Frage: In einer Stellungnahme Ihrer Forschungsgruppe „Ethisch-Ökologisches Rating“ an der Goethe Universität in Frankfurt warnen Sie davor, dass durch die Freihandelsabkommen TTIP und CETA der Erhalt von Gemeingütern, wie Umwelt, kulturelle und soziale Standards leicht unterlaufen werden können. Woran machen Sie das fest?
Schmitz: Das den Freihandelsabkommen unterlegte Prinzip, sowohl bei TTIP als auch bei CETA, ist die gegenseitige Anerkennung der jeweiligen Standards in der EU und den USA bzw. Kanada. Denn diese sind sehr unterschiedlich. Zum Teil sind die Anforderungen in den USA höher als bei uns, zum Teil eben auch umgekehrt. In einer freien Marktwirtschaft setzen sich letztendlich die global operierenden Unternehmen durch, die aufgrund niedrigerer Standards kostengünstiger liefern können. Da in der EU vor allem die sozialen und Umweltstandards höher sind als in den USA (mit Ausnahme von Kalifornien für den Umweltschutz) ist zu befürchten, dass über die Zeit eine Absenkung der Standards auf das Niveau der USA erfolgt. So haben die USA beispielsweise die meisten Standards der Internationalen Arbeitsorganisation ILO nicht ratifiziert. Auswirkungen auf den Kulturbereich sind ebenfalls nicht auszuschließen, da viele der Angebote dann mit größter Wahrscheinlichkeit dereguliert und privatisiert werden.
Frage: Die EU-Kommission kann diese Sorge nicht nachvollziehen. Stattdessen verspricht sie durch TTIP mehr Wachstum, mehr Arbeitsplätze und höhere Löhne. Wie passt das zusammen?
Prof. Heribert Schmitz ist Mitglied der Forschungsgruppe
„Ethisch-Ökologisches Rating“ an der Goethe Universität
Frankfurt. Bildquelle © privat
Frage: Sie kritisieren auch das sogenannte Investitionsschutzabkommen, das es Unternehmen erlaubt, Staaten zu verklagen, wenn durch deren Gesetzgebung Gewinnschmälerungen eintreten. Welche Folgen hätte dies für die Demokratie?
Schmitz: Durch die geplanten Investitionsschutzabkommen werden höhere Standards, z. B. im Sozialbereich, bei der Umwelt, im Verbraucherschutz, bei Abgaben und Steuern, nicht mehr möglich, da die Staaten die Unternehmen für dadurch entstehende Gewinnausfälle entschädigen müssen. Natürlich dürfen Konzerne nicht der Willkür von Regierungen ausgesetzt sein. Aber so wie die Pläne jetzt aussehen, würde dies de facto zu einer Entmündigung der Legislative und zu einer Aushöhlung der Demokratie führen. Man muss sich hier nur die bereits jetzt bekannten Prozesse anschauen, die von Unternehmen gegen Staaten geführt werden, bei denen es solche bzw. ähnliche Abkommen gibt. Das sind Prozesse vor geheim tagenden Schiedsgerichten, deren Unterlagen niemand einsehen darf, und deren Urteile sich die Vertragsparteien vorab ohne Berufungsinstanz unterworfen haben. Gleiches sehen TTIP und CETA vor.
Frage: Die Bürgerinitiative „Stop TTIP“ hat nach eigenem Bekunden europaweit bereits mehr als eine Million Unterschriften gegen das Freihandelsabkommen gesammelt. Welchen Einfluss haben solche Petitionen auf die Verhandlungen?
Schmitz: Ich hoffe, dass diese Petitionen zu einem Umdenken auf EU-Ebene, aber auch bei der Bundesregierung führen. Die Abkommen in der jetzigen Form müssen gestoppt werden. Wenn es gelänge, die Zielsetzung der Verträge dahingehend zu verändern, dass wir in der EU und den USA bzw. Kanada zu höheren Standards kämen – besonders in den Bereichen, wo es um Nachhaltigkeit geht – dann sollte man solche Abkommen unterstützen. Aber davon sind wir leider weit entfernt. Wir brauchen mehr Nachhaltigkeit und nicht weniger.
Frage: Sollten die Verhandlungen zu TTIP und CETA komplett gestoppt werden oder besteht eine Chance, dass die Bedenken der Zivilgesellschaft doch noch gehört werden?
Schmitz: Nachdem keine Hoffnung besteht, die Abkommen mit nachhaltigen Standards zu versehen, hält es unsere Forschungsgruppe „Ethisch-Ökologisches Rating“ für besser, sie werden solange komplett gestoppt, bis es einen öffentlichen und transparenten Diskussionsprozess in allen europäischen Parlamenten zum Thema gegeben hat.
Das Interview führte Lena Kretschmann.
Prof. Dipl. Ing. Heribert Schmitz war mehr als 35 Jahre in leitenden Führungsfunktionen in deutschen und international operierenden Unternehmen tätig, zuletzt als Vice President der Hewlett Packard Corporation und als Vorsitzender der Geschäftsführung und danach als Vorsitzender des Aufsichtsrates für Hewlett-Packard GmbH in Deutschland. Seit 2006 arbeitet er als Honorarprofessor an der Hochschule Furtwangen. Seit 2010 ist er Gastprofessor an der Nordwest Universität in Xi’an in China. Zudem ist Prof. Heribert Schmitz Mitglied in mehreren Beiräten u. a. in der Forschungsgruppe Ethisch-Ökologisches-Rating an der Goethe Universität Frankfurt.
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