Anhörung im Bundestags-Wirtschafts- und -Energieausschuss
Der öffentliche Meinungsstreit über das zwischen der Europäischen Union und Kanada geplante Freihandelsabkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) zeigte sich erneut bei einer Expertenanhörung des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Energie unter der Leitung von Peter Ramsauer (CSU). Bei der Bewertung verfassungs- und europarechtlicher Fragen setzten juristische Sachverständige und andere Experten unterschiedliche Akzente.
Laut Prof. Christian Tietje, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, „spricht viel dafür, dass die EU ausschließliche Kompetenz hat“. Auch Prof. Dr. Christoph Herrmann, Universität Passau, vertrat die Auffassung, die EU könne CETA auch allein abschließen. Die Einstufung als gemischtes Abkommen mit Zuständigkeiten der EU einerseits und der einzelnen Mitgliedsstaaten andererseits sei „rechtlich nicht zwingend geboten“. Gilt es als gemischtes Abkommen, sei die vorläufige Anwendung „praktisch bedeutsam“. Prof. Steffen Hindelang, Freie Universität Berlin, wies darauf hin, CETA sehe „explizit die Möglichkeit zur vorläufigen Anwendung vor“.
Prof. Franz Mayer, Universität Bielefeld, beschied : „Ohne Zustimmung des Bundestags keine deutsche Ratifikation.“ Es sei klar, dass CETA als gemischter Vertrag behandelt werde. Prof. Christoph Möllers, Humboldt-Universität Berlin, befand, der einen kanadischen Seite stünden EU und Mitgliedsstaaten als Vertragspartner gegenüber. Für den mitgliedsstaatlichen Teil könne die Zustimmung des Bundestags erforderlich sein.
Prof. Wolfgang Weiß, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer, machte „europa- und verfassungsrechtliche Bedenken“ gegen die vorläufige CETA-Anwendung geltend. So führten die Regelungen über die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit zu dauerhaften Konsequenzen, selbst wenn CETA endgültig scheitere. Ohne Mitwirkung des Bundestags sei eine vorläufige Anwendung überdies „unzulässig“. Till Patrik Holterhus, Institut für Völkerrecht und Europarecht, Georg-August-Universität Göttingen, sah ein „Zustimmungserfordernis des Bundestags“ bei mitgliedsstaatlichen Bereichen.
Zum Auftakt der Anhörungsrunde über inhaltliche Aspekte des CETA-Vertrages zollte Sabine Weyand, Europäische Kommission, dem Abkommen ein dickes Lob: „Das Gesamtpaket stellt ein ausgezeichnetes Ergebnis von erheblichem wirtschaftlichem Wert für europäische Unternehmen, Verbraucher und Haushalte dar.“ Sie unterstrich: Die EU gehe „keinerlei Verpflichtungen ein, die öffentliche Dienstleistungen betreffen“.
„Insgesamt positiv“ bewerte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) das Abkommen und setzte sich für eine schnelle Ratifizierung und Inkraftsetzung ein, erklärte Markus Kerber. Indes: „Im Bereich der regulatorischen Zusammenarbeit muss das Abkommen erst noch mit Leben erfüllt werden.“ Volker Treier vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag meinte, CETA könne „ein Wegbereiter für moderne Freihandelsabkommen“ sei. Wobei auch für den DIHK feststehe, „dass europäische Schutzniveaus erhalten bleiben müssen“.
DGB: CETA entspricht „noch nicht den gewerkschaftliche Anforderungen an ein zustimmungsfähiges Abkommen“
Stefan Körzell versicherte namens des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der DGB lehne Freihandel nicht ab. Er rief die „ablehnende Position“ von Ende 2014 in Erinnerung. Zwar habe es in der Zwischen Zeit Verbesserungen gegeben. Doch insgesamt entspreche der Text „noch nicht den gewerkschaftliche Anforderungen an ein zustimmungsfähiges Abkommen“.
Ähnlich äußerte sich Prof. Hubert Weiger vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND). So werde ausländischen Firmen weiterhin eine Paralleljustiz gewährt. Auch sieht er den Weg für die Gentechnik in der EU geebnet und die öffentliche Daseinsvorsorge gefährdet. Jürgen Maier, Forum Umwelt & Entwicklung, plädierte für die Ablehnung von CETA: „Die Gestaltung der Globalisierung könne nicht so aussehen, dass man „im Wesentlichen so weit wie möglich alle Märkte öffnet“, alle Regulierungsmöglichkeiten im öffentlichen Interesse unter den Vorhalt von Handelshemmnissen stelle und eine „Paralleljustiz und damit Klagerechte exklusiv für ausländische Investoren“ einführe.
Prof. Peter-Tobias Stoll, Institut für Völkerrecht und Europarecht, Georg-August-Universität Göttingen, kritisierte, mit dem vorgesehenen Investitionsschutz würden „ohne Not“ wesentliche Grundsätze der europäischen und deutschen Rechts- und Wettbewerbsordnung in Frage gestellt. Der Deutsche Städtetag appelliere, so Detlef Raphael, an die Bundesregierung, „im EU-Ministerrat einer vorläufigen Anwendung aller Regelungen in Bezug auf die öffentliche Daseinsvorsorge und zum Investitionsschutz auf keinen Fall zuzustimmen“. Diese fielen in die nationale Zuständigkeit.
Die Anhörung fußte auf den EU-Ratsdokumenten 10970/16, 10968/16 und 10696/16. Zudem ging es um Anträge aus dem Bundestag: Die Linke fordert, die vorläufige Anwendung des CETA-Abkommens zu verweigern (18/8391) und Bundestag und Bundesrat an der Abstimmung über CETA zu beteiligen (18/9030). Bündnis 90/Die Grünen wollen, dass dem CETA-Abkommen so nicht zugestimmt (18/6201) und der Bundestag im Vorfeld der Genehmigung der vorläufigen CETA-Anwendung beteiligt wird (18/9038). (hib/FLA)
Greenpeace-Sprecher Christoph von Lieven in einer Mail-Mitteilung:
„Heute wurde deutlich, dass Umwelt- und Sozialstandards sowie Arbeitnehmerrechte unter CETA künftig nicht einklagbar sein sollen. Damit werden diese geringer bewertet als der Investitionsschutz, für den eine eigene Gerichtsbarkeit geplant ist.
Vor diesem Hintergrund erklärt sich der Versuch von SPD-Chef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Gewerkschaften mit nicht haltbaren Aussagen über noch mögliche Änderungen nach CETA-Vertragsabschluss, einlullen zu wollen.
Die jüngsten Einladungen von Verdi-Funktionären nach Brüssel wie auch an DGB-Chef Hoffmann zur SPD-Präsidiumssitzung beim dortigen CETA-Beschluss sind ein klares Signal. Gabriel versucht damit, die Gewerkschaften beim Abbau von Arbeitnehmerrechten noch vor dem SPD-Parteikonvent auf seine Seite zu ziehen.“
Bernd Westphal, wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher: Bestätigung der SPD-Linie
Offene Kommunikation lohnt sich. Die Sachverständigen der CETA Anhörung im Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages haben die SPD-Linie bei CETA vielfach mitgetragen. Das zeigt, dass sich eine offene Kommunikation der schwierigen Sachverhalte im CETA-Vertragstext lohnt. Sowohl das grundsätzliche „Ja“ der SPD-Bundestagsfraktion zu einem Freihandelsabkommen, als auch die Notwendigkeit, bei gewissen Teilen des Abkommen „kritisch und genau hinzuschauen“, wurde von den Experten geteilt. CETA wurde eindeutig als Gestaltungsinstrument der weltweiten Globalisierung bewertet.
„Bestätigt wurde, dass ein vorzeitiges Inkrafttreten von CETA nicht nur nach dem Ratsbeschluss auf EU-Ebene, sondern erst nach einem zustimmenden Votum des Europäischen Parlamentes vorgesehen ist. Und auch dann dürfen nur die Teile des Abkommens vorläufig in Kraft treten, die in EU-Zuständigkeit liegen. Die Bereiche, die nicht vergemeinschaftet sind, werden erst nach dem erfolgreichen Abschluss der nationalen Ratifizierungsverfahren in Kraft treten.
Die deutlichen Vorteile des neuartigen Investitionsgerichtshofes in CETA wurden gewürdigt, mit dem das alte System der privaten Schiedsgerichte abgelöst wird. Gerade auch für den Mittelstand werden damit die Kosten bei derartigen Gerichtsverfahren deutlich verringert. Die Sachverständigen bestätigten die Linie der SPD-Bundestagsfraktion, dass der Investitionsschutz nicht der vorläufigen Anwendung unterliegt. Daher werden wir Sozialdemokraten noch Gelegenheit haben, uns die Regelungen genau anzuschauen.
Auch beim Kapitel zur sogenannte „regulatorische Kooperation“ gibt es Entwarnung. Die Experten haben bestätigt, dass der CETA-Vertrag die regulatorische Kooperation auf freiwilliger Basis und ohne bindende Wirkung auf parlamentarische Entscheidungen vorsieht – der Deutsche Bundestag wird durch CETA daher nicht in seiner Gesetzgebungskompetenzen begrenzt.
In der Anhörung hat der Vertreter des DGB die Bewegung in der Frage der Kernarbeitsnomen positiv bewertet. Die kanadische Regierung hat schon angekündigt, dass die restlichen ILO-Kernarbeitsnormen zügig ratifiziert werden. Nun wurde auch bestätigt, dass die Gewerkschaften auf beiden Seiten in einem weiteren Dialogprozess bei CETA stehen und prüfen, ob Sanktionsmöglichkeiten bei der Verletzung von Arbeitnehmerrechten möglich sind.
Die Notwendigkeit des besonderen Schutzes der Daseinsvorsorge wurde von allen Sachverständigen bestätigt. Hier gibt es ein besonderes Interesse bei CETA sicherzustellen, dass auch wirklich alle Bereiche der Daseinsvorsorge von den Verpflichtungen des Abkommens ausgenommen werden. Die SPD wird daher beim weiteren parlamentarischen Beratungs- und Ratifizierungsprozess prüfen, wie die Negativliste und die Schutzregeln in CETA im Detail ausgestaltet sind. Der Schutz der Daseinsvorsorge hat für uns höchste Priorität.“
->Quellen:
- https://www.bundestag.de/presse/hib/201609/-/438454
- http://www.spdfraktion.de/presse/pressemitteilungen/ceta-anhoerung-bestaetigung-spd-linie