Untersuchung des früheren Verfassungsrichters Broß
Private Schiedsgerichte, wie sie in den transatlantischen Freihandelsabkommen vorgesehen sind, verstoßen gegen das Grundgesetz und kollidieren mit Prinzipien des Völkerrechts. Zu diesem Ergebnis kommt Siegfried Broß, der bis 2010 Richter am Bundesverfassungsgericht war, in einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie. Eine rechtskonforme Alternative könnten staatlich besetzte Schiedsgerichte darstellen.
Die taz fragt sich: „Angesichts der Studie stellt sich die Frage, warum der Europäische Gerichtshof noch nicht Stellung bezogen hat – wo doch die EU das umstrittene Kapitel in 3.000 derartige Verträge geschrieben hat, allein Deutschland hat mit 130 Staaten Investorenschutzabkommen abgeschlossen. „
Sie sind der umstrittenste Punkt in den geplanten Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada (CETA) beziehungsweise mit den USA (TTIP): Schiedsgerichte, die über vermeintliche Vertragsverletzungen urteilen sollen. Klagen können ausschließlich Unternehmen – wenn sie ihre Investitionen auf der jeweils anderen Seite des Atlantiks entwertet sehen, beispielsweise durch schärfere Umwelt- oder Sozialgesetze. Verklagt werden Staaten, oft auf Schadenersatz in mehrstelliger Millionen- oder sogar Milliardenhöhe. Als „Richter“ fungieren Privatleute, meist Juristen aus großen internationalen Anwaltskanzleien. Die Verhandlungen werden, anders als Prozesse vor ordentlichen staatlichen Gerichten, nicht grundsätzlich öffentlich geführt. Eine Berufungsinstanz gibt es nicht.
Die Skepsis gegenüber solchen Privat-Gerichten ist verbreitet – und berechtigt, schreibt Broß. Der pensionierte Richter und Honorarprofessor, der sowohl am Bundesgerichtshof als auch am Bundesverfassungsgericht Recht sprach, hat sich mit CETA und TTIP auseinandergesetzt. Broß lehnt Freihandelsabkommen nicht grundsätzlich ab. Sein Befund lautet dennoch: „Diese Abkommen sind nach dem derzeitigen Stand mit den Klauseln über den Investorschutz zugunsten ausländischer Unternehmen und die Einrichtung privater Schiedsgerichte verfassungswidrig.“ Daran änderten auch die vielen grundsätzlich ähnlich gestrickten Freihandelsabkommen nichts, die verschiedene Bundesregierungen seit 1959 abgeschlossen haben: „Auch wenn Deutschland eine solche ‚Tradition‘ begründet hat, liegt hierin noch keine Rechtfertigung dafür, hieran unverbrüchlich festzuhalten“, betont Broß.
Nach Analyse des Rechtswissenschaftlers kollidieren die geplanten Regelungen an mehreren zentralen Punkten mit Grundgesetz und Völkerrecht:
- Wenn die Bundesrepublik CETA oder TTIP in der gegenwärtigen Form beitrete, verletze dies das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip, argumentiert Broß. Denn nach deutschem Verfassungsrecht seien allein ordentliche Gerichte die Instanzen, um über Klagen gegen Staaten zu entscheiden. Das schließe supranationale Gerichtshöfe, etwa im Rahmen der Vereinten Nationen oder EU, nicht aus, wohl aber private Schiedsgerichte.
- In die gleiche Richtung wie das deutsche Verfassungsrecht wirken nach Überzeugung des Juristen die Grundregeln des Völkerrechts. Sie besagen: Privatpersonen und private Institutionen wie Unternehmen sind „nur mittelbar über den jeweiligen ‚Heimatstaat‘ am Völkerrechtsverkehr beteiligt oder betroffen“. Klagen von Unternehmen vor privaten Schiedsgerichten gegen Staaten passten nicht in dieses System. Weiche man davon ab, könnten „parlamentarische Mitwirkung und Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts“ durch Urteile von dazu nicht legitimierten Einrichtungen unterlaufen werden. So werde „auf dem Weg einer zwischenstaatlichen Vereinbarung über den Freihandel materiell die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland in einem Staatsorganisationsprinzip geändert“. Und das sei nicht einmal mit verfassungsändernder Mehrheit des Bundestages möglich.
- – Nicht akzeptabel seien schließlich Prozesse hinter verschlossenen Türen. Öffentliche Verhandlungen gehörten zu den elementaren Qualitäten rechtsstaatlicher Gerichtsverfahren, so Broß. Zumal das Argument, es müssten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse geschützt werden, nicht überzeuge. Die nationalen Prozessordnungen im Patent-, Wettbewerbs- oder Gesellschaftsrecht hätten dafür längst praktikable Regeln gefunden.
Im Verhältnis von EU, USA und Kanada, also Regionen mit funktionierenden Rechtssystemen, spreche ohnehin wenig für überstaatliche Schiedsgerichte. Wolle man trotzdem partout supranationale Strukturen schaffen, etwa um Standards für spätere Freihandelsabkommen mit anderen Ländern zu setzen, ließen sich diese allenfalls als „Staatsschiedsgerichte“ verwirklichen, schreibt der Rechtswissenschaftler. Wenn „Vertreter der Vertragsstaaten mit Zustimmung der nationalen Parlamente“ als Richter berufen würden, sei das verfassungskonform und biete noch einen Vorteil: Ein dermaßen demokratisch legitimiertes Staatsschiedsgericht habe die Kompetenz, später auftretende Lücken und Schwächen im Vertrag durch seine Urteile zu korrigieren.
Broß ist nicht allein: Eine von Attac in Auftrag gegebene Studie des Völkerrechtlers Andreas Fischer-Lescano kam Oktober 2014 zu dem Ergebnis, dass CETA gegen das Grundgesetz verstößt.
Widerspruch von anderen Seiten
Stephan Schill vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht in Heidelberg – interessanterweise selbst auf der Schlichterliste der internationalen Schiedsstelle der Weltbank – ist verständlicherweise anderer Meinung: Im September 2014 kam er im Auftrag des Wirtschaftsministeriums in einem Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Klauseln zum Investorenschutz in CETA gar nicht so problematisch seien, da sie ausländischen Investoren einen weniger umfassenden Schutz als bisher das deutsche Recht böten.
„Zwar ist es tatsächlich verfassungsrechtlich problematisch, wenn Schiedsverfahren intransparent durchgeführt würden“, sagt Schill. Es sei aber vom Grundgesetz gedeckt, dass Deutschland in völkerrechtlichen Verträgen Kompetenzen abgibt. Die Verfassung dürfe dadurch jedoch nicht in ihrem Kern ausgehöhlt werden.
Weitere Informationen:
Siegfried Broß: Freihandelsabkommen, einige Anmerkungen zur Problematik der privaten Schiedsgerichtsbarkeit (pdf), Report der Abteilung Mitbestimmungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 4
->Quellen: