An-Institut der Stiftung Weltethos
an der Universität Tübingen

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Das Generationenmanifest 2017

Warnung vor Gefahren und Lösungsvorschläge
Mitten im Endspurt zum Bundestagswahlkampf veröffentlichen 45 Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft und öffentlichem Leben einen überparteilichen Appell an die nächste Bundesregierung. Das Generationenmanifest warnt vor den zehn größten Gefahren für kommende Generationen und zeigt Lösungen auf, wie Politik und Gesellschaft diesen begegnen können.

Das vorgestellte Manifest ist die Fortschreibung des ersten erfolgreichen Generationenmanifests aus dem Jahr 2013, das bislang über 105.000 Menschen unterzeichnet haben. Nach vier Monaten engagierter Diskussionen mit Experten aller Altersstufen formulierte eine Gruppe um Prof. Dr. Schellnhuber, Dr. Maja Göpel, Nathan Bedford-Strohm, Andreas Rickert, Martin Kloss und Claudia Langer schließlich die Endfassung. Das Resultat benennt zehn Forderungen an die Politik und fordert die kommende Bundesregierung auf, diese Forderungen im Koalitionsvertrag zu berücksichtigen. “Wir können vermeiden, dass unsere Nachkommen schlechtere Lebenschancen haben als wir und das Generationenmanifest ist ein entscheidender Schritt dabei”, sagt Klimafolgenforscher und Co-Autor Prof. Dr. Schellnhuber.
Startschuss für langfristigen Dialog mit der Zivilgesellschaft
Das Generationenmanifest setzt den Startschuss für einen langfristigen Dialog mit der Zivilgesellschaft und eine überparteiliche politische Arbeit der Generationen Stiftung. Alle Bürgerinnen und Bürger sind eingeladen mit ihrer Unterschrift diesen Appel an die Politik zu Themen wie Armutsbekämpfung, Bildung, Digitalisierung, Frieden, Klima, Migration, Müll, Unternehmenshaftung und Generationengerechtigkeit zu unterstützen.
Die Veröffentlichung so kurz vor der Bundestagswahl ist Absicht. „Es ist der Endspurt zum Bundestagswahlkampf und wir wollen Politik und Wähler in die Verantwortung nehmen“, sagt Claudia Langer, “Noch interessanter als der Wahlkampf sind für uns jedoch die Koalitionsverhandlungen, die den Grundstein für die nächsten 4 Jahre Regierungsarbeit legen.” Nach der Bundestagswahl wird auf Basis des Generationenmanifests ein Generationenvertrag entwickelt, der die Generationengerechtigkeit wieder in den Mittelpunkt der politischen Landschaft und gesellschaftlichen Diskussion stellen soll.
Unter den 45 teils sehr prominenten Erstunterzeichnern des Generationenmanifests finden sich nicht nur Menschen unterschiedlicher Generationen, sondern auch unterschiedlicher politischer Herkunft, darunter bekannte Namen wie Eckart von Hirschhausen, Dr. Brigitte Mohn, Annette Frier, Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker und Prof. Dr. Rita Süssmuth.
Co-Autorin Dr. Maja Göpel arbeitet seit 20 Jahren an dem Thema nachhaltige Entwicklung und ist überzeugt, dass es höchste Zeit ist aktiv zu werden: “Ich bin optimistisch, dass wir mit dem Generationenmanifest viel bewegen können. Wenn wir aufhören gegeneinander zu wettern, wenn wir aufhören so zu tun als wäre nichts, sondern die Themen auf den Tisch legen und gemeinsam an der Welt arbeiten, die wir uns alle zusammen vorstellen.”
Wortlaut des Generationenmanifests
Wir sind Bürgerinnen und Bürger dieses Landes und stellen besorgt fest:
Die älteste Übereinkunft der Menschheit ist in Gefahr – der Generationenvertrag.

Vorangegangene Generationen haben immer versucht, ihren Kindern eine bessere und gerechtere Welt zu hinterlassen. Auch deshalb geht es uns heute so gut wie nie zuvor.

Wir, die goldenen Generationen der nach dem Krieg Geborenen, haben dieses urmenschliche Anliegen stillschweigend kassiert und ahnen jetzt, dass wir unseren Kindern eine Fülle von ungelösten Problemen vor die Füße werfen.

Dabei wissen wir längst, dass es jetzt von uns abhängt, ob die Grundlagen für eine lebenswerte Zukunft erhalten bleiben.

Die Lage ist erschreckend. Unsere Leistungsgesellschaft mit ihrem Produktions- und Wachstumswahn ist dabei, die Erde für unsere Nachkommen unwirtlich und unbewohnbar zu machen.

Wir müssen uns deshalb entscheiden, ob wir uns mit diesem kurzfristigen, egozentrischen Denken weiter der Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen entziehen oder umdenken und mit mutigem Handeln die Chancen künftiger Generationen auf Gesundheit, Erfüllung und Glück wiederherstellen.

Dabei geht es nicht um die isolierte Bekämpfung einzelner Krisen wie Armut, Hunger, Klimawandel oder Migration. Wir leben heute in einer Welt, in der alles mit allem und jeder mit jedem verbunden ist. Alles, was wir tun oder unterlassen, hat eine Wirkung, über Ländergrenzen und Generationen hinweg. Deswegen müssen wir als Gesellschaft gemeinsam handeln und Grundlagen für ganzheitliche Lösungen schaffen.

Wir engagieren uns auf gesellschaftlicher Ebene für einen neuen Generationenvertrag, einen Vertrag, der zum ersten Mal die Bedürfnisse kommender Generationen und deren Herausforderungen wirklich ernst nimmt. Denn sie sind es, die die Folgen unseres Handelns und Nichthandelns einmal tragen werden.

Wir, die Unterzeichner, setzen uns für langfristige, generationenübergreifende Strategien und ganzheitliche Lösungen ein, denn die derzeitige Planung aller großen Parteien bis 2030 ist kein Planungsmaßstab, der die Interessen der nächsten Generationen angemessen berücksichtigt.

Wir fordern die kommende Bundesregierung auf, die folgenden 10 Forderungen in der kommenden Legislaturperiode ins Zentrum ihrer politischen Entscheidungen und Gesetzgebung zu stellen und in den Koalitionsvertrag bzw. ihr Regierungsprogramm aufzunehmen.

Wir fordern:
1. Frieden: Eine Zukunft ohne Krieg ist nicht selbstverständlich.

Wir fordern die Bundesregierung auf, sich für eine endgültige Abschaffung aller Atomwaffen einzusetzen und ein Ende des Exports von Kriegswaffen in Spannungsgebiete zu beschließen.

2. Klima: Mit allen Mitteln die Klimakatastrophe abwenden.

Auch in Deutschland müssen wir unsere Anstrengungen im Einklang mit dem Pariser Klimaschutzabkommen massiv erhöhen. Wir fordern die Bundesregierung auf, den Einsatz fossiler Brennstoffe bis 2040 zu beenden sowie ein tragfähiges Konzept für CO2-Besteuerung bzw. Emissionshandel vorzulegen. Aus den Erträgen soll ein Zukunftsfonds aufgelegt werden, der Innovationen fördert und für künftige Generationen spart.

3. Bildung: Wir werden neue Kompetenzen brauchen.

Unser Bildungskonzept stammt aus einem anderen Jahrhundert. Im digitalen Jahrtausend brauchen wir Interdisziplinarität, die Befähigung zur Selbstbildung, Teamfähigkeit und Medientraining. Wir fordern eine Zukunftskommission, die ein themenorientiertes Lernen und Lehren vom Kindergarten bis zur Universität entwickelt und seine Umsetzung entschlossen einleitet.

4. Armutsbekämpfung: Hunger, Armut und Überbevölkerung beenden.

Wir fordern die Bundesregierung auf, hier entschlossener zu handeln und die bereits gemachten Zusagen einzuhalten. Die Lösung liegt in der Durchsetzung von fairen Löhnen, einer fairen Arbeitsteilung und fairen Regeln für die Produktion des globalen Konsums. Deutschland soll hier Vorreiter werden.

Die Bildung und Stärkung von Frauen und Kindern in Schwellen- und Entwicklungsländern mithilfe eines internationalen Bildungsprogramms wird zu realistischeren Lebens- und Bleibeperspektiven der dort lebenden Menschen beitragen.

5. Gerechtigkeit: Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich verringern.

Die Altersarmut ist für einen wachsenden Teil der Bevölkerung eine reale Bedrohung. Wir fordern die Bundesregierung auf, unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung, eine Planung für das Renten- und Sozialsystem bis 2050 vorzulegen.

Wir fordern eine Steuerreform für ein gerechtes Steuersystem, mit fairen Vermögens-, Erbschafts- und Finanztransaktionssteuern und der Entlastung kinderreicher Familien, sowie eine ernsthafte Diskussion über das bedingungslose Grundeinkommen.

6. Unternehmenshaftung: Unternehmen und Banken dürfen nicht gegen, sondern müssen für die Menschen arbeiten.

Wir fordern die Einführung und Durchsetzung des Verursacherprinzips und klarer Haftungsregeln auf globaler und nationaler Ebene. Folgekosten von Krisen und Katastrophen müssen von denjenigen getragen werden, die mit hohen Risiken Gewinne erzielen und Probleme auf künftige Generationen abwälzen.

Und wir fordern ernsthafte globale Anstrengungen, damit Unternehmenssteuern in dem Land gezahlt werden, in dem auch die Gewinne erzielt werden.

7. Migration: Menschen werden kommen, sie haben ein Recht darauf.

Unser Egoismus und unsere Profitgier sind mitverantwortlich für die Flüchtlingsströme. Wir müssen hier Verantwortung übernehmen und uns der Situation stellen.

Wir fordern einen Gestaltungsplan, der auf internationaler Ebene Vorsorge für die zu erwartenden erheblichen Migrationsströme der Zukunft trifft, und einen Verteilungsplan, der über einen gerechten Schlüssel dafür sorgt, dass diese Menschen aufgenommen und integriert werden können.

Und wir fordern eine konsequente und faire Integration der hier lebenden Flüchtlinge und Migranten sowie die Diskussion über eine globale Green Card.

8. Digitalisierung: Die digitale Revolution birgt Chancen und Risiken.

Die tiefgreifende Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft durch die Digitalisierung verlangt nach klaren Regeln. Wir brauchen eine digitale Charta und eine supranationale Institution, die Regeln setzen und deren Einhaltung durchsetzen kann, das gilt für die Nutzung von persönlichen Daten ebenso wie für die Strafbewehrung von digitalen Verbrechen.

Digitale Geschäftsmodelle müssen in einen global gültigen regulatorischen Rahmen eingebettet werden, der jedem Bürger die Souveränität über seine Daten garantiert und die Gefahr begrenzt, dass sich der Staat zu einem Überwachungsstaat entwickelt, der die Entfaltung der nächsten Generationen behindert.

Wir fordern die Bundesregierung auf, ein Besteuerungsmodell zu entwickeln, das den digitalen Geschäftsmodellen Rechnung trägt, Produktivitäts- und Effizienzgewinne angemessen bei der Besteuerung berücksichtigt und den Wegfall von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen durch neue Besteuerungsarten ausgleicht.

9. Müll: Abfall darf nicht unser Hauptvermächtnis an künftige Generationen werden.

Inzwischen sind die Ozeane bis in die Tiefsee mit Plastikmüll gefüllt; für den radioaktiven Abfall aus Kernkraftwerken gibt es keine Entsorgungslösung, und Raubbau an den natürlichen Ressourcen hat ganze Regionen verwüstet und verseucht. Wir fordern die künftige Bundesregierung auf, in Zukunft nur noch solche Materialien zuzulassen, die innerhalb einer Generation wieder natürlich abgebaut oder technisch entsorgt werden können.

10. Generationengerechtigkeit: Aufnahme in das Grundgesetz!

Wir brauchen einen neuen Generationenvertrag, der diesen Namen auch verdient.

Wir fordern die kommende Bundesregierung auf, Generationengerechtigkeit in das Grundgesetz aufzunehmen und so sicherzustellen, dass Haftungsforderungen im Namen zukünftiger Generationen eingeklagt werden können.

Selten hatten so viele Menschen Sorge um die Zukunft ihrer Kinder und Enkel. Wir auch!

Wir haben uns deshalb zusammengetan, um hier einen Kurswechsel einzuleiten.

Wir laden alle ein, diesen Weg gemeinsam mit uns zu gehen, zu diskutieren, zu verhandeln und einen entschlossenen und optimistischen Aufbruch zu wagen.

Unsere Generation hat heute das Wissen, um die Probleme der Welt zu lösen.

Menschen landeten auf dem Mond und werden bald auf dem Mars landen. Mit diesem Willen werden wir es auch erreichen, diese Erde wieder lebenswert zu machen für alle Generationen, hier und anderswo, heute und in Zukunft.

Das ist, was wir wollen. Und wir fangen jetzt damit an.

[Die Unterzeichner]

->Quelle:

Über den Autor:

Gerhard Hofmann

Gerhard Hofmann

Dr. Hofmann war bis 2008 TV-Redakteur, u.a. ARD-Korrespondent Südamerika und Chefreporter SWF, Chefkorrespondent n-tv und RTL. Als Chef der Agentur Zukunft, berät im Bereich der erneuerbaren Energien und Nachhaltigen Entwicklung, u.a. die Desertec Initiative Dii, das IASS Potsdam, acatech und die ...