TTIP beschäftigt die Ökobranche
Einigen sich Europa und die USA darauf, wirtschaftlich näher zusammenzurücken, wirkt sich dies auch auf die Landwirtschaft aus. Felix Prinz zu Löwenstein, der Vorsitzende des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft, warnt: „Die Entwicklung hin zu einer ökologischeren Wirtschaftsweise wird blockiert“.
Viel ist schon über die Vor- und Nachteile für die Verbraucher in Deutschland debattiert worden, wenn Europa und die USA einen gemeinsamen Wirtschaftsraum bilden, der rund 800 Millionen Menschen umfasst. Bisher ist aber kaum erörtert, ob das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP die europäischen Ökostandards, das EU-Biosiegel, gefährden kann. Auf der Nürnberger Biofach, der weltgrößten Messe der Ökobranche, die diese Woche stattfindet, wird die Frage nun aber zum Thema.
Wer sie stellt, hört zunächst oft ein „ Nein“. Das Biosiegel sei gesetzlich geschützt. Wer seine Ware kennzeichnen wolle, verpflichte sich freiwillig die Kriterien einzuhalten. Dann folgt allerdings ein „aber“. Die Produktion werde schwieriger.
So antwortet zum Beispiel Felix Prinz zu Löwenstein, der Vorstandsvorsitzende des Bundes für ökologische Lebensmittelwirtschaft, BÖLW. Er ist einer der 22 Mitglieder des TTIP-Beirats, den Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel im vergangenen Jahr gegründet hat. Den Agarwissenschaftler und Landwirt beeindruckt nicht, dass Gabriel argumentiert, die USA wendeten sich China zu, wenn Europa nicht mit sich reden lasse. Er hält sich mit Kritik nicht zurück.
Gruppe für „verantwortungsvolle Handelspolitik“
So hat er die „Initiativgruppe für verantwortungsvolle Handelspolitik“ mit gegründet. Darin sitzen Vertreter von Umweltverbänden, Gewerkschaften und Kulturorganisationen aus dem TTIP-Beirat, die das Abkommen für bedenklich halten.
Erst vergangene Woche saßen die TTIP-Unterhändler wieder in Brüssel zusammen, es war deren achte Runde. Diesmal ging es um die Passagen zur Lebensmittelsicherheit. Die Ergebnisse aber wurden nicht öffentlich. Da half es auch nicht, dass die neue EU-Kommission mit am Tisch saß, die versprochen hat, Verhandlungen transparenter zu gestalten.
„Absurde Geheimverhandlungen“, sagt Prinz zu Löwenstein, „die sich auf die Ökobranche genauso wie auf die gesamte Landwirtschaft auswirken“. Zu allererst entstehe ein neuer Konkurrenzdruck für konventionelle deutsche Bauern, da aufgrund anderer Produktionsmethoden billigere US-Produkte auf den Markt kämen. Damit werde der Preisabstand von konventioneller Ware zu Bio größer – und die Situation für die Ökobranche schwieriger. Falls TTIP zudem hierzulande den Weg ebne für Gentechnik auf dem Acker, kämen auf Biobauern und all jene, die gentechnikfrei produzieren, Risiken und Kosten für Verunreinigungen zu.
Seine größte Sorge aber: „Alle reden davon, ob derzeitige Umweltstandards geschliffen werden.“ Entscheidend sei: „Die künftige Entwicklung hin zu einer Wirtschaft mit höheren ökologischen und sozialen Ansprüchen wird blockiert.“
Prinz zu Löwenstein erläutert seine Bedenken an einem Beispiel: Deutschland macht Stickstoff teurer, um so den massenhaften Einsatz einzudämmen, der Boden, Wasser und Luft belastet. TTIP lasse drei Möglichkeiten zu. Erstens: Die Amerikaner machen das Gleiche, „regulatorische Kohärenz“ genannt. Zweitens: Deutschland macht einen Alleingang und nimmt einen Wettbewerbsnachteil in Kauf.
Für am wahrscheinlichsten hält Prinz zu Löwenstein aber Variante drei: Deutschland verzichtet auf die Stickstoffabgabe. Zumal nach dem geplanten TTIP-Prinzip der „regulatorischen Kooperation“ künftig kein Standard mehr erlassen werden soll, ohne dass Unternehmen und Behörden des anderen Partnerlandes vorher einen Blick darauf geworfen haben. Die Ökobranche zeige, dass es auch anders geht.
Tatsächlich haben die EU und die USA schon vor drei Jahren ein Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Standards, für Öko-Lebensmittel geschlossen. Dabei sind die mal hier, mal dort strenger.
Beispiel Agrogentechnik: Da diese in den USA stärker verbreitet ist, sind auch die in der Nachbarschaft liegenden Ökoäcker dort eher beeinträchtigt als hierzulande. Zwar ist die Gentechnik für US-Biosiegel auch Tabu, aber die Kontrollen sind weniger genau. Importe unterliegen aber freilich der Kennzeichnungspflicht für gentechnisch-veränderte Lebensmittel in der EU.
USA bei Antibiotika strenger
Anders sieht es bei Antibiotika aus: In US-Ökoställen ist ihre Gabe untersagt. In Europa kann ein Öko-Tier bis zu zweimal im Jahr behandelt werden. Das hängt mit unterschiedlichen Betriebsweisen der Höfe diesseits und jenseits des Atlantiks zusammen, erklärt Martin Häusling, Agrarexperte der Grünen im Europaparlament.
In den USA produzieren die Ökobauern zugleich oft auch nach herkömmlichem Standard: Muss ein Tier aus dem Ökostall behandelt werden, wandert es also in den konventionellen Bestand und kann immerhin noch ohne Biosiegel vermarktet werden.
In Europa sind derartige Mischbetriebe selten. Ein Ökobauer kann daher sein Tier nicht einfach in einen anderen Stall geben. Wer in die USA exportieren will, muss allerdings trotz der gegenseitigen Anerkennung den strengeren Antibiotika-Standard einhalten. So wirbt die Gläserne Molkerei aus Brandenburg sogar damit, die strengeren US-Biokritierien zu erfüllen – und zeigt damit: Es geht auch hier.
Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung mit Ausnahmen, die höhere Standards setzen, könne ein Vorbild für TTIP sein, meinen Prinz zu Löwenstein und Häusling. Peu à peu könnten so strengere Umweltstandards verwirklicht werden.
Ist TTIP überhaupt noch zu stoppen? „Theoretisch schon“, meint Häusling. Das Europäische Parlament – wahrscheinlich aber auch der deutsche Bundestag und andere nationale Parlamente – müssen am Ende zustimmen. Das Abkommen wird die gegenseitige Anerkennung der Biostandards jedenfalls nicht aushebeln.
->Quelle: nachhaltigkeitsrat.de