An-Institut der Stiftung Weltethos
an der Universität Tübingen

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Ohne Nachhaltigkeit kein künftig funktionsfähiges Wirtschaftssystem

Um die globale Erwärmung zu begrenzen, ist eine tiefgreifende Transformation von Energie, Produktion und Konsum in unseren Volkswirtschaften erforderlich. Dabei muss das Finanzsystem eine proaktive Rolle einnehmen. Die bisher verwendeten Klimaschutzszenarien vernachlässigen aber eher dessen dynamische Rolle. Erst die Einbindung der Finanzmärkte zeigt einer Medienmitteilung von Forschenden der Universität Zürich zufolge, dass das Finanzsystem sowohl eine beschleunigende als auch eine hemmende Rolle auf dem Weg zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem spielen könne.

Neue grüne Investitionen sind erforderlich, ebenso wie eine Umschichtung von Kapital hin zu kohlenstoffarmen Aktivitäten (Divestment). Das Netzwerk „Central Banks and Supervisors Network for Greening the Financial System“ (NGFS), dem auch die Schweizerische Nationalbank angehört, hat es sich zum Ziel gesetzt, die finanziellen Risiken des Klimawandels besser zu verstehen und zu steuern. Die vom NGFS in Zusammenarbeit mit dem UN-Weltklimarat (IPCC) entwickelten Klimaschutzszenarien waren ein wichtiger Schritt, um den Finanzakteuren zukunftsorientierte Sichtweisen darüber zu vermitteln, wie sich kohlenstoffarme und kohlenstoffreiche Wirtschaftsaktivitäten in den nächsten Jahrzehnten entwickeln könnten. Bisher basieren diese Szenarien auf sogenannten „Integrierten Bewertungsmodellen“ (IAMs), die die dynamische Natur des Finanzsystems und seiner Akteure nicht einbeziehen. „Wir müssen jedoch berücksichtigen, wie die Risikowahrnehmung des Finanzsystems aus den Klimaschutzszenarien wiederum die Szenarien selbst verändern kann“, erklärt Stefano Battiston, Professor am Institut für Banken und Finanzen der Universität Zürich.

Erweiterung der Klimamodelle

In ihrer in Science veröffentlichten Arbeit stellen Battiston und eine internationale Forschergruppe – zwei der Autoren sind auch Autoren des kommenden IPPC Assessment Reports – einen dynamischen Ansatz zur Ergänzung von Klimaschutzszenarien vor. Indem Klimaschutzszenarien beschreiben, wie die Welt in den kommenden Jahrzehnten aussehen könnte, haben sie die Macht, die heutigen Erwartungen der Märkte zu verändern. Das jedoch kann Auswirkungen auf die Szenarien haben. „Das Wirtschaftssystem könnte in die Richtung eines kohlenstoffarmen Übergangs gehen, aber es könnte auch die entgegengesetzte Richtung einschlagen. Es hängt davon ab, welche Risikowahrnehmung sich bei den Akteure aus der Analyse der Szenarien bildet“, sagt Battiston. Wenn Investoren die Klimapolitik für glaubwürdig halten, werden sie ihre Erwartungen rechtzeitig anpassen und das Kapital frühzeitig und schrittweise in kohlenstoffarme Investitionen umschichten. Dies würde den Übergang zu einer nachhaltigeren Wirtschaft und eine sanftere Anpassung der Preise ermöglichen.

Im Gegensatz dazu könnten Investoren die Politik als nicht glaubwürdig empfinden, ihre Erwartungen verzögern und dies später und auf plötzliche Art und Weise tun. „Wenn Finanzakteure kollektiv das Risiko eines späten und plötzlichen Übergangs unterschätzen, steigt die Chance, dass dieses Szenario eintritt. Dies könnte ein Problem für die Finanzstabilität darstellen und wäre daher für die Gesellschaft mit höheren Kosten verbunden“, sagt Battiston. „Es ist daher auch ein Problem für Zentralbanken und Finanzbehörden. Und es könnte zu einer unzureichenden Umschichtung von Kapital in kohlenstoffarme Investitionen führen.“

Finanzielles Klimarisiko bewerten

Die Autoren der Studie verbinden die gängigen IAMs mit einer Bewertung des finanziellen Klimarisikos (Climate-Financial Risk Assessment / CFR) auf zirkuläre (rückkoppelnde) Weise. Damit zeigen sie, wie das Finanzsystems und die zeitliche Einführung von klimapolitischen Maßnahmen zusammenspielen. Die Feedbackloops bilden mögliche Erwartungsänderungen der Anleger ab und lassen damit eine dynamische, realitätsnahe Betrachtung zu. Glauben die Anleger den klimapolitischen Szenarien, wird Kapital in nachhaltig wirtschaftende Unternehmen fließen, der Zugang zu Investitionskapital ist gegeben und die Finanzierungskosten sinken, aber eben auch umgekehrt.

Die Erkenntnisse aus der Studie haben praktische Auswirkungen auf die Umsetzung fiskalpolitischer Maßnahmen, auf Finanzpolitik und Regulierung sowie auf die Diskussion um das Prinzip der „doppelten Wesentlichkeit“, bei der es um die Berücksichtigung finanzieller als auch aus nicht-finanzieller Chancen und Risiken geht.

->Quellen:

  • Medienmitteilung der Uni Zürich
  • Stefano Battiston, Irene Monasterolo, Keywan Riahi, Bas J. van Ruijven: Accounting for finance is key for climate mitigation pathways. Science. 20 May 2021. DOI: 10.1126/science.abf3877

Über den Autor:

Dr. Gerhard Hofmann

Dr. Gerhard Hofmann

Agentur Zukunft, bis 2008 TV-Redakteur, u.a. ARD-Korrespondent Südamerika und Chefreporter SWF, Chefkorrespondent n-tv und RTL, Mitglied der FG Finanzen und Wirtschaft des Weltethos-Instituts.