An-Institut der Stiftung Weltethos
an der Universität Tübingen

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Fachtagung „Globale Mindeststandards“ – ein Tagungsbericht

Zum Thema „Globale Mindeststandards“ fand in Kooperation zwischen dem Forschungsinstitut für Philosophie in Hannover, dem Weltethos-Institut sowie dem Institut für Sozialstrategie eine wissenschaftliche Fachtagung am 29. März 2019 in Tübingen statt. Ein Kreis aus Wissenschaftlern wurde durch Interessierte und Engagierte aus Bildungseinrichtungen wie Universitäten, Hochschulen sowie aus der Politik und mit entsprechenden Themen in der Wirtschaft verantwortlichen Teilnehmern komplettiert.

Die zentrale Frage dieser Veranstaltung war, ob es überhaupt eine realistische Chance im Hinblick auf die Formulierung und Realisierung von „Globalen Mindeststandards“ gibt. Die Entwicklung „Globaler Mindeststandards“ wurde vor allem mit Fokus auf die Bereiche Handel, Arbeitssicherheit, Gesundheitsversorgung, öffentliche Ordnung und Einhaltung von Menschenrechten mit Beiträgen aus Forschung und angewandter Wissenschaft sowie anschließenden Diskussionen im Teilnehmerkreis beleuchtet.

Gibt es eine realistische Perspektive für globale Mindeststandards?

Zum Beginn der Tagung stellte Institutsdirektor Prof. Dr. Dr. Ulrich Hemel die Frage, ob es überhaupt sinnvoll sei, über soziale Mindestanforderungen zu nachzudenken und ob es für deren Realisierung überhaupt eine realistische Perspektive gebe. Aktuell scheine sich der Multilateralismus eher in einer Krise statt in einer Weiterentwicklung und Vertiefung zu befinden. Der Egoismus scheint die Geschicke zu bestimmen. Die Folgen der Aufkündigung von Handelsverträgen, der Brexit und die Konsequenzen der technologischen Entwicklungen (KI) sind nur einige Themen, die zur wachsenden Verunsicherung beitragen. Auf der anderen Seite haben wir die Intention des Menschen als soziales Wesen, ein „gutes Leben“ führen zu wollen. Diese Intention drückt sich in den Aspekten: Sicherheit, Freiheit, Bildung/Gesundheit und Umwelt aus. In den genannten Feldern gibt es Fortschritte aber auch unübersehbaren Stillstand oder sogar Rückschritt. Nach wie vor ruht die Hoffnung auf den Institutionen, die im Rahmen der Globalisierung die Interessen der Menschen vertreten sollen. So ist z. B. der Wert Fairness auf dem Vormarsch. Besondere Erwartungen knüpfen sich an eine Good Governance. Um diese Prozesse zu befördern müssen Personen Impulse geben und Forderungen erheben. In diesem Sinne könnten die drei tagenden Institutionen einen aktivierenden Beitrag leisten.

Weitere Beiträge von Dr. Christopher Gohl (Weltethos-Institut), Prof. Dr. Claus Dierksmeier (Universität Tübingen, bis 2018 Direktor des Weltethos-Instituts), Prof. Dr. Jürgen Volkert (Hochschule Pforzheim), Dr. Anna Honnacker (Forschungsinstitut für Philosophie Hannover) und Prof. Dr. Federico Foders (Institut für Sozialstrategie) folgten. Zusammenfassungen sind nachzulesen im ausführlichen Tagungsbericht (verlinkt ganz unten).

Welcher Aspekt ist der wichtigste – oder doch die Freiheit?

Die anschließende, öffentliche Podiumsdiskussion mit Prof. Foders, Prof. Hemel, Dr. Honnacker, Prof. Manemann und Prof. Volkert begann Geschäftsführer Dr. Bernd Villhauer in seiner Rolle als Moderator mit der Frage, welches Thema zuerst angegangen werden sollte, wenn „Globale Mindeststandards“ eingefordert werden. Die Diskutanten waren sich durchaus nicht einig in der Beantwortung dieser Frage und stellten unterschiedliche Aspekte als besonders dringlich heraus. Frau Dr. Honnacker vertrat die Auffassung, dass die Menschenrechte und die drängenden Fragen rund um die Ökologie (Klima- und Umweltschutz, nachhaltiges Wirtschaften) ganz oben auf der Agenda stehen sollten. Prof. Hemel rückte den Blick darauf, dass es „ Indikatoren des guten Lebens“ geben müsse, die als Orientierung für Handeln und Gestaltung dienen sollten. Eine menschengerechte Perspektive müsse eingenommen werden. „Weil wir Menschen sind“, müsse man immer wieder die Frage stellen, was diese Aussage praktisch bedeutet. Aus seiner Sicht sollte auf regulative Ideen nicht verzichtet werden. Menschen müssen sich in Bedürfnissen und Möglichkeiten an einander ausrichten. Nach Meinung von Prof. Foders ist die Idee der globalen Mindeststandards wichtig. Es sollte jedoch nicht vergessen werden, dass wir bereits in einer Welt der Überregulierung leben. Die Freiheit zur Setzung von Standards sollte ermöglicht werden. Der Staat und die Unternehmen sind auf Freiheit angewiesen. Prof. Volkert hob hervor, dass wir ein Freiheitskonzept mit einer institutionellen Governance benötigen. Aus seiner Sicht muss besonders die Frage, wie mit zukünftigen Generationen umgegangen werden soll, herausgehobene Beachtung finden.


Die Rolle Deutschlands und der UN

Die zweite Frage in der Diskussion widmete sich der UN im Prozess um die Schaffung von Mindeststandards und im Speziellen, welche Rolle Deutschland spielen könne bzw. sollte. Zusammengefasst war man sich einig, dass die Institutionen ineinandergreifen müssen und die EU-Gesetzgebung eine besonders wichtige Rolle einnimmt. Weiterhin müsse auch so etwas wie der „Verantwortungsplatz“ gesucht und definiert werden. Regierungen müssten mit einbezogen werden, wo es möglich erscheint (auch Länder wie Bolivien oder Uganda). Wo keine staatlichen Strukturen und nur unzureichende demokratische Institutionen existieren, müsse man nach anderen Wegen suchen. Der Wunsch wäre, so etwas wie ein „Parlament der Zivilgesellschaft“ auf globaler Ebene zu etablieren. Auf dem Weg dorthin sei das Streben nach globalen Mindeststandards erst der Anfang.

 
Maßstab: Was ist unser Menschenleben wert?

Prof. Foders fragte, was ein Menschenleben im globalen Maßstab eigentlich wert sei und wie die Kompatibilität der Standards sich zueinander verhalte. Eine multipolare Welt braucht andere Instrumente als jene, auf die wir in der Vergangenheit gesetzt haben. Eine weitere Perspektive wird von Prof. Volkert eingebracht. Nach seiner Ansicht müsse subsidiär vorgegangen werden. Es komme darauf zu erkennen, auf welcher Ebene, welche Probleme erzeugt werden. Sein Vorschlag: Auf der lokalen Ebene beginnen, etwas zu lösen und dann fortschreiten, sodass auf anderen Ebenen ein Handlungszwang erzeugt wird. Prof. Hemel hält ein sogenanntes „Impact Investing“ für notwendig. Damit verbunden ist die Forderung nach einer „hypriden Zielbildung“. Auf jeden Fall müssten Änderungen gegenüber dem Konzept des „Shareholder Values“ vorgenommen werden. Ein zweistufiges „Global-Compact- Modell“ wäre zielführend und sinnvoll, bei dem sowohl Gesellschaft als auch Unternehmen ihre Vorteile ausgestalten können.

 
Fazit: Mit Dialog und Verständnis

„Die Tagung hat Möglichkeiten und Perspektiven aufgezeigt, wie mit Dialog und Verständnis Wege zur Entwicklung und Implementierung von „Globalen Mindeststandards“ beschritten werden können. Selbstkritisch hat die Tagung jedoch auch aus der Perspektive der Wissenschaft gegenwärtige Instrumente teilweise als unzulänglich im Hinblick auf die Herausforderungen der Zukunft einer bedrohten Welt identifiziert.“ – so das Fazit von Tagungsteilnehmer Oliver Bülchmann M.A.

Herzlichen Dank an Oliver Bülchmann M.A., für seinen ausführlichen Tagungsbericht, der hier verkürzt wieder gegeben wird.


Text: Oliver Bülchmann M.A.
Fotos: Felix Müller