An-Institut der Stiftung Weltethos
an der Universität Tübingen

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Gohl zurück am Weltethos-Institut – mit Ideen für eine lernende Stadt

German Reichstag main hall of the German federal parliament in Berlin on February 22, 2017
Dr. Christopher Gohl arbeitet seit der Gründung 2012 am Weltethos-Institut

Der Koordinator unserer Lehrveranstaltungen, Dr. Christopher Gohl, kehrt nach seiner Arbeit im Bundestag zurück ans Weltethos-Institut. Der Politikwissenschaftler, der erst Anfang Mai für Dr. Christian Jung (FDP) in den Bundestag nachrückte, setzte während seiner Mandatszeit deutliche Schwerpunkte in den Bereichen Demokratiepolitik und Menschenrechte. In seiner letzten Bundestagsabgeordneten-Kolumne für das Schwäbische Tagblatt berichtet Gohl, welche Impulse er aus Berlin für Tübingen als lernende Modellstadt mitbringt. Lesen Sie im Folgenden die ungekürzte Kolumne, die in gekürzter Fassung am 29. November erschien:


„Wenn’s am schönsten wird, muss ich gehen: In den Koalitionsgesprächen der Ampel rückt mein Herzensthema Demokratie in den Vordergrund. Aber meine kurze Zeit als Nachrücker und Mitglied des Bundestages ist jetzt abgelaufen. Schade – einerseits.

Denn andererseits freue ich mich auf die Rückkehr nach Tübingen und ans Weltethos-Institut. Ich bringe nämlich aus der Berliner Bundespolitik Fragen mit, die wir in unserer Universitätsstadt besonders gut untersuchen könnten. Schon in der Corona-Krise war mir aufgefallen, wie entscheidend für unsere Demokratie die Frage öffentlichen Lernens ist. Lernen heißt ja, aus der Erfahrung von Erfolgen und Fehlern das Wissen abzuleiten, wie wir uns besser verhalten sollten. Und in diesem Sinne wird im Bundestag gelernt. Denn dort sind politische Vorschläge wie Experimente: Sie werden erst kritisiert, dann korrigiert, dann beschlossen. Bei schlechten Auswirkungen kommen sie in Zukunft auf Wiedervorlage.

Dazu ergibt sich aber die Frage, welche Rolle die Wissenschaften für den Prozess demokratischen Lernens spielen können und sollten. In der noch andauernden Pandemie liefert die Wissenschaft Fakten, klärt auf und versachlicht – einerseits. Andererseits werden wissenschaftliche Beiträge aber auch missverstanden, verzerrt und politisiert bis hin zum entstellenden Missbrauch. Das öffentliche Wirken etwa des Virologen Prof. Christian Drosten, der Leopoldina oder des Deutschen Ethikrats begeistert die Einen und empört die Anderen.

Wie könnten wir das besser organisieren? Ich meine, die Wissenschaften können demokratische Abwägungen nicht ersetzen. Aber wir sollten wissenschaftliche Beratung gezielter in den demokratischen Lernprozess einbinden. Und zwar nicht erst bei der Bundesregierung, die sich unzählige Räte und Beiräte leistet. Sondern schon im Parlament. Der Bundestag bräuchte eine wissenschaftliche Begleitung, die aus Anhörungen und Enquete-Kommissionen offene und öffentliche Lernprozesse macht. Bisher sind das eher Instanzen zur Bestätigung bereits vorherrschender Fraktionsmeinungen hinter verschlossenen Türen. Weitere Ideen für eine wissenschaftliche Begleitung: Interfraktionelle Faktenfindungsprozesse; Monitoring von Entwicklungen; und Szenario-Planungen zusammen mit Ausschüssen.

Unsere Demokratie muss wissenschaftsfähig werden – und die Wissenschaften demokratiefähig. Beide sind es noch nicht ausreichend. Wäre es nicht eine gute Idee, wenn wir in unserer diskussionsfreudigen Universitätsstadt das Zusammenspiel Akademie und Agora am Beispiel Klimastadt einmal klüger organisieren könnten? Ich hoffe und freue mich darauf!“


Text: Dr. Christopher Gohl

Foto: Weltethos-Institut