Die grauenvollen Terroranschläge der Hamas am jüdischen Feiertag des 7. Oktober 2023 in Israel haben uns schockiert. Im grausamsten und größten Pogrom seit der Shoah wurden über 1300 Menschen brutal dafür ermordet, Jüdinnen oder Juden zu sein. Wir verurteilen diesen Antisemitismus mit dem Anspruch auf Völkermord. Babys, Kinder, Töchter, Söhne, Mütter, Väter, Großeltern, Menschen mit Behinderung und Menschen aus der arabischen Gemeinschaft und aus 42 weiteren Ländern der Welt: Sie alle wurden Opfer von Menschenjagden und Massakern, Vergewaltigungen, Entführungen. Wir verurteilen diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit und diejenigen, die sie bejubeln.
Zugleich sehen wir das jahrelange Leid unschuldiger Palästinenserinnen und Palästinenser. Die Hamas beansprucht, für diese Menschen zu sprechen, nimmt sie jedoch in Geiselhaft. Hinzu kommt nun seit dem Krieg Isolierung, der Mangel an Wasser, Nahrung, an Sicherheit, an Zufluchts- und Zukunftsperspektiven. Unter den Opfern dieses Konflikts finden sich viele Kinder und Alte, Gläubige wie Nicht-Gläubige, Muslime, Christinnen und Christen sowie Menschen, die sich für ihre Familie einfach nur ein gutes Leben in Frieden wünschen. Ihre Stimme wird nicht gehört, sie leiden mit, sind aber weder Täter noch Anstifterinnen.
Das Weltethos-Projekt ist ein weltweit anerkanntes Friedensprojekt. Das Prinzip der Menschlichkeit steht an erster Stelle: Menschen sollen sich gegenseitig menschlich behandeln. Dieses Prinzip markiert Grund und Grenze aller Religion, aller Politik, aller Wirtschaft, allen friedlichen Zusammenlebens und Überlebens. Gerade bei Unterschieden im Glauben, in der Weltsicht, in den Interessen.
Wir stellen uns Fragen und ringen um Antworten: Wie können wir die gemeinsame Menschlichkeit als Grundlage des Zusammenlebens stärken, obwohl grausamer Terror und zustimmende Reaktionen sie ablehnen? Wie können wir das Vertrauen ins Gute der Menschen rechtfertigen? Wie können wir die Hoffnung auf Frieden durch Dialog, moralischen Fortschritt und menschliche Gemeinschaft aufrecht erhalten? Was können wir der Hoffnungslosigkeit und dem Hass wirksam entgegen setzen?
Wir rufen gerade jetzt Menschen aller Kulturen, Religionen und politischen Einstellungen dazu auf, aktiv für die Humanität einzustehen. Wir müssen gerade jetzt gemeinsame Werte der Menschenwürde vertreten, wenn es eine Zukunft in Frieden und Sicherheit statt in Krieg und Zerstörung geben soll. Der Weg dorthin führt über die Anerkennung unserer gemeinsamen Menschlichkeit und über den Dialog. Entmenschlichung, Hass und Gewalt sind Irrwege zu noch mehr Leid.
Ob religiös oder nicht: Wir müssen immer wieder versuchen, in Anderen nicht Feinde, sondern Menschen zu sehen. Mehr denn je müssen wir jetzt die Gemeinschaft derjenigen stärken, die unter keinen Umständen Menschlichkeit aufgeben. Schützen wir die Gemeinschaft derjenigen, die an der Menschlichkeit der Anderen festhalten, indem wir sie Mensch für Mensch ausweiten. Frieden, Sicherheit und ein gutes Zusammenleben wird es auf Dauer nur geben, wo wir aus Feinden von heute Partner von morgen machen können.
Das wird uns nicht immer gelingen. Aber probieren müssen wir es.
Jetzt erst recht.
Tübingen, den 18.10.2023
Das Team des Weltethos-Instituts