An-Institut der Stiftung Weltethos
an der Universität Tübingen

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Mit Unternehmergeist die Welt verbessern


WEIT:
 Herr Dr. Ehrenberger, am Weltethos-Institut lehrten Sie erstmals im Sommersemester 2018 zu Theorien und Praxis der Wirtschaft- und Unternehmensethik. Ihr Fokus dabei: Corporate Social Entrepreneurship. Welche Rolle spielt die Weltethos-Idee in diesem Ansatz?

Dr. Ehrenberger: Im Zentrum der Wirtschafts- und Unternehmensethik steht die Frage, wie moralische Forderungen unter ökonomischen Bedingungen der Marktwirtschaft zur Geltung gebracht werden können. Für die betreffenden Problemstellungen sind gemeinsam geteilte Wertevorstellungen von zentraler Bedeutung. Das Weltethos liefert hierfür eine wichtige Grundlage. Im Jahr 2010 hat der Weltethos-Gründer Prof. Hans Küng gemeinsam mit Prof. Klaus M. Leisinger und meinem Doktorvater Prof. Josef Wieland die Weltethos-Idee auf die Weltwirtschaft übertragen. Das hieraus hervorgehende Manifest Globales Wirtschaftsethos definiert dabei ein Mindestmaß an global akzeptierten Spielregeln für das Wirtschaften und ist ein wichtiger Ausgangspunkt für eine gelebte Wirtschaftsethik und damit auch für Corporate Social Entrepreneurship.

Außerdem ist das Weltethos-Institut seit seiner Gründung interessiert an neuartigen Forschungsthemen und wirtschaftsethischen Lehrangeboten. Das erkennt man beispielsweise an den innovativen Publikationen der Mitarbeiter oder auch an der Arbeit von Michael Wilhenda im Rahmen der World Citizen School, durch die sozialunternehmerisches Denken in der universitäre Lehre verankert wird. Das Konzept „Corporate Social Entrepreneurship“ ist hier also in bester Gesellschaft. Es legt den Fokus auf Unternehmen und stellt die Frage, wie Unternehmen gesellschaftliche Problemstellungen durch einen markbasierten Ansatz adressieren können.

WEIT: Welche/n Unterschied/e sehen Sie  zwischen Corporate Social Responsibility (CSR) und Corporate Social Entrepreneurship wenn wir den Social und Economic Impact fokussieren?

Dr. Ehrenberger: Zuerst einmal ist für mich CSR nicht als Gegensatz zu Corporate Social Entrepreneurship zu verstehen. Vielmehr ist CSR ein Schirmbegriff der unterschiedliche Aktivitäten einer Firma benennt, mit der die Organisation ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommt. Corporate Social Entrepreneurship ist in diesem Sinne eine neuartige CSR-Maßnahme. Während traditionelle CSR-Maßnahmen häufig auf die Reduzierung von negativen Effekten bestehender Wertschöpfungsketten (z.B. Vermeidung von Kinderarbeit in der Lieferkette oder Umweltverschmutzung) oder auf philanthropische Aktivitäten (Spenden für lokale gemeinnützige Zwecke) ausgerichtet sind, geht es bei Corporate Social Entrepreneurship um die Entwicklung neuer Wertschöpfungsketten, die letztlich auf die Lösung eines drängenden gesellschaftlichen Problems ausgerichtet sind. Es geht um marktbasierte Lösungen von Problemen, die bisher durch politische oder zivilgesellschaftliche Modelle adressiert wurden.

Unternehmen entwickeln dabei innovative Güter und Dienstleistungen mit den sie beispielsweise Mangelernährung oder eine unzureichende Gesundheitsversorgung in Entwicklungsländern in den Blick nehmen. Hierbei machen Sie das was sie am besten können: Sie entwickeln skalierbare und replizierbare Geschäftsmodelle. Diese Geschäftsmodelle generieren Shared Value. Die gesellschaftliche Wertschöpfung ist also direkt mit der ökonomischen Wertschöpfung verbunden. Wenn beispielsweise ein Pharmaunternehmen preiswerte und lebenswichtige Medikamente für die einkommensarme Bevölkerung in ländlichen Regionen Indiens anbieten will, dann reicht es nicht aus, bestehende Produkte günstiger zu machen. Vor Ort muss ein Ökosystem der Gesundheitsversorgung aufgebaut werden. In der Praxis bedeutete das, dass in Kooperation mit öffentlichen Organisationen und Non-Profit-Organisationen Einwohner vor Ort zu medizinischen Fachkräften ausgebildet werden müssen. Außerdem muss eine Vertriebsinfrastruktur aufgebaut werden. Hierin können beispielsweise benachteiligte Frauen vor Ort einen Arbeitsplatz finden. Zusätzlich muss die Gesundheitsbildung der indischen Bevölkerung verbessert werden, in dem die Zielgruppe über Symptome, Vorsorge- und Behandlungsmöglichkeiten von Krankheiten informiert wird. Das Beispiel zeigt deutlich, wie vielfältig die soziale und ökonomische Wirkung dieser Modelle ist.

WEIT: CSR wird vielfach als Gegenkonzept zum reinen Shareholder Value gesehen. Es steht aber auch häufig im Verdacht lediglich eine PR-Maßnahme zu sein. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?

Dr. Ehrenberger: Ich denke, dass sich hier in den letzten Jahren ein Wandel vollzogen hat und sich diese Tendenz weiter ausprägen wird. Während CSR früher häufig als reine Marketing-Maßnahme betrachtet wurde und unternehmensintern nur einen Kostenfaktor dargestellt hat, ist CSR heute zunehmend in die strategische Ausrichtung der Organisation verankert und hat Einfluss auf die Produktentwicklung und die gesamte Wertschöpfungskette. Deshalb ist es auch wichtig, dass eine CSR-Abteilung nicht allein in der Kommunikationsabteilung verankert, sondern auch organisational in die Kernprozesse integriert ist.

Ein Grund für sich verändernde Bedeutung von CSR ist sicherlich die Erkenntnis, dass die Übernahme von Verantwortung zunehmend eine Pflicht und nicht nur eine Kür darstellt. Der Druck von Konsumenten wird größer, aber auch politische Regulationen nehmen zu. Man denke an die EU Richtlinie zur nichtfinanziellen Berichterstattung. Auch der Druck aus der Investorenperspektive wird größer. Kürzlich hat Larry Fink, der CEO des weltweit größten Vermögensverwalters BlackRock, ein „New Model of Corporate Governance“ propagiert. Er forderte Unternehmensführer dazu auf zu zeigen, inwieweit sie gesellschaftliche Problemstellungen in ihre strategischen und operativen Überlegungen einbeziehen. Das Diktum „primum non nocere“, also das Vermeiden negativer externer Effekte durch die eigene Geschäftstätigkeit, reicht vor dem Hintergrund der aktuellen globalen Problemstellungen nicht mehr aus. Stattdessen müssen Unternehmen ihre Kompetenzen und Ressourcen einsetzen, um an der Lösung dieser Probleme mitzuarbeiten. An diesem Anspruch, so Fink, müssen sich Manager heute messen lassen, nur so würden sie auch Investoren dauerhaft überzeugen.

WEIT: Inwiefern sehen Sie eine Diskrepanz zwischen unternehmerischen und zivilgesellschaftlichen Werten? Wo liegen die Gemeinsamkeiten und wo die Unterschiede? Welche Rolle spielt dabei Vertrauen?

Dr. Ehrenberger: Man müsste hier zuerst klären, was genau unter unternehmerischen und zivilgesellschaftlichen Werten zu verstehen ist. Für mich ist diese Differenzierung wenig zielführend, weil sie einen Gegensatz impliziert. Werte sind Wertvorstellungen sind erstrebenswerte und von einer Gruppe als moralisch gut befundene Eigenschaften, Qualitäten oder Glaubenssätze. Sie sind Identitätsstiftend und geben eine Handlungsorientierung und stiften somit auch Vertrauen. Ich glaube, dass unternehmerische und zivilgesellschaftliche Zielsetzungen in rekursivem Zusammenhang stehen und sich sehr gut ergänzen können. Gesellschaft ist eine Kooperationsveranstaltung zu gegenseitigem Vorteil. Unternehmen sind ein zentraler Teil dieser Kooperation und sie übernehmen eine zentrale Funktion: Sie sind für die ressourceneffiziente Herstellung von Gütern und Dienstleistungen zuständig. Daran hat insbesondere die Zivilgesellschaft ein Interesse.

Aber natürlich gibt es in der Wirtschaft Entscheidungssituationen in denen Führungskräfte eine Wahl treffen müssen, die kein „Sowohl-als-auch“ zulässt. Entscheidungen also, die entweder dem Gemeinwohl dienen oder den wirtschaftlichen Interessen der Unternehmung. In diesen Fällen würde ich aber nicht zwingend die Werte der Akteure in Frage stellen. Die entscheidende Frage ist, wie die Akteure trotz der komplexen Entscheidungssituation und einem Wertedilemma zu einer wirtschaftlichen und ethischen Lösung kommen. Hier kann ein funktionierendes Wertemanagement Hilfe leisten, in dem Fehlanreize vermieden werden und den Entscheidungsträger Leitlinien, Prozesse und Organisationsstrukturen eine Orientierung geben.

WEIT: Wie sehen Chancen und Herausforderungen bei der Entwicklung von marktbasierten Lösungen für gesellschaftliche Probleme aus? Sehen Sie hier einen Konflikt zwischen Theorie und Praxis?

Dr. Ehrenberger: Für Unternehmen bieten markbasierte Lösungen von gesellschaftlichen Probleme vier zentrale Vorteile: Erstens, können Firmen hierdurch attraktive Zukunftsmärkte entdecken, die sie vorher nicht im Blick hatten. Die Base of Pyramid wird nicht zu Unrecht als letzter unentdeckter Markt der Gegenwart bezeichnet. Wer hier frühzeitig aktiv ist, kann First-Mover-Vorteile sichern. Zweites, steigern Unternehmen durch Corporate Social Entrepreneurship ihre Innovationsfähigkeit. Die Fähigkeit von Unternehmen, effizient bestehende Geschäftsmodelle umzusetzen und gleichzeitig flexibel neuartige Geschäftsmodelle zu entwickeln, steigt. Das ist gerade in den aktuellen Zeiten der industriellen Revolution eine erfolgskritische Kompetenz. Drittens,  bekommen Unternehmen durch die Zusammenarbeit mit NPO und öffentlichen Institutionen Zugang zu neuem Wissen über Wachstumsmärkte. Sie lernen kulturelle Erfolgsfaktoren für die Adressierung der Zielgruppe kennen und erweitern Ihre Kompetenzen. Viertens, steigern Firmen durch das Angebot von Corporate-Social-Entrepreneurship-Initiativen Ihre Arbeitgeberattraktivität. Die Projekte sind nicht nur für Mitarbeiter der Generation Y interessant, sondern auch für langgediente Fachkräfte, die durch Corporate Social Entrepreneurship neuen Sinn in Ihrer Arbeit schaffen.

Eine Herausforderung ist sicherlich die intersektorale Zusammenarbeit, die erfolgskritisch für Corporate Social Entrepreneurship ist. NPO und öffentliche Institutionen sprechen eine andere Sprache. Unternehmen müssen diese Sprachen verstehen und in ihre eigenen übersetzen. Um in der Systemtheorie von Niklas Luhmann zu sprechen: Unternehmen müssen polylinguale Kompetenzen aufbauen. Die Ausrichtung der Lehre am Weltethos-Institut legt hierfür wichtige Grundsteine. Die kommenden Entscheider in der Wirtschaft müssen eine interdisziplinäre Sprachfähigkeit besitzen, weil die globalen Problemstellungen der Wirtschaft nicht allein aus einer Wirtschaftslogik heraus gelöst werden können.

Zu den weiteren Herausforderungen zählt die mangelnde Erfahrung mit dem lokalen Umfeld. Die Unternehmen kennen den Markt und die Zielgruppe nicht und die Anwendung bestehender Markteintrittsstrategien ist nicht erfolgsversprechend. Der Ökonom Frank Knight hat die Unterscheidung zwischen Risiko und Ungewissheit eingeführt. Während für Entscheidungssituationen unter Risiko Wahrscheinlichkeiten herangezogen werden können, stehen für Entscheidungssituationen unter Ungewissheit keinerlei Erfahrungswerte zur Verfügung. Corporate Social Entrepreneurship ist durch einen hohen Grad an Ungewissheit gekennzeichnet. Und genau hier zeigt sich das unternehmerische Talent der handelnden Akteure.

WEIT: Herr Ehrenberger, Sie haben Ihr erstes Seminar am Weltethos-Institut erfolgreich abgeschlossen. Wie war Ihr Eindruck? Konnten auch Sie von den Tübinger Studentinnen und Studenten etwas lernen?

Dr. Ehrenberger: Ich habe die Studierenden als aufgeschlossene, interessierte und durchaus kritisch denkende Persönlichkeiten kennengelernt. Besonders gut hat mir die interdisziplinäre Zusammensetzung gefallen. Obwohl ein Großteil der Teilnehmer einen wirtschaftswissenschaftlichen Hintergrund hatte, gab es doch verschiedene Studierende aus anderen Fakultäten, die mit Ihrer Perspektive die Diskussion bereichert haben.

Außerdem hat mich das Engagement der Teilnehmer bei unserem Design-Thinking-Workshop begeistert. Obwohl es im Kern um das Kennenlernen von Methoden aus dem Innovationsmanagement ging, kamen die Studierenden auf interessante sozialunternehmerische Geschäftsideen und haben mich mit Ihrer Kreativität überzeugt.


Dr. Marcus Ehrenberger 
arbeitet in der prüfungsnahen Beratung bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG und ist seit dem Sommersemester 2018 externer Lehrbeauftragter am Weltethos-Institut. Seine thematischen Schwerpunkte liegen im Bereich der Wirtschaftsethik, genauer, der Corporate Social Entrepreneurship und Social Intrapreneurship sowie der Coporate Governance. Ein Kurzprofil mit Publikationsliste finden Sie
 hier.

Foto: Dr. Marcus Ehrenberger
Interview: Annette Guthy, Anna Tomfeah