Unsere globale Situation, augenblicklich geprägt von Kriegen und Krisen, überschattet von der ökologischen Zerstörung und Selbstzerstörung, bietet viel Anlass zu verzweifeln. „Wo aber Gefahr ist“, schrieb Friedrich Hölderlin, „wächst das Rettende auch“. Das Weltethos-Institut hat deshalb am 12. Juli 2023 im Rahmen seines Jahresthemas „Quellen der Hoffnung“ zu einer Tagung mit Experten und Expertinnen aus Wissenschaft und Praxis eingeladen. In drei Blöcken wurde dabei gemeinsam auf theologische, philosophische und auch auf psychologische Aspekte von Hoffnung geblickt. Hier finden Sie kurze Zusammenfassungen der Beiträge:
Die Tagung wurde eröffnet mit einem einführenden Beitrag von Prof. Dr. Dr. Ulrich Hemel unter dem Titel „Quellen der Hoffnung aus theologischer und philosophischer Perspektive“. Darin skizzierte der Institutsdirektor mehrere Aspekte der Hoffnung: den kognitionspsychologischen und philosophischen Aspekten (Hoffnung, die sowohl mit einer Sinnsuche und einer emotionalen wie handlungsbefähigenden Wirksamkeit einhergeht). Die theologische Komponente, die sich mit der Frage auseinandersetzt, worauf wir nach dem Tod bzw. dem Ende der Welt hoffen können. Und die gesellschaftspolitische Dimension, die sich aus den großen globalen Unsicherheiten ergibt. Religionen könnten hier, so der Theologe, durch eine weltliche Ökumene der Tat einen zentralen Beitrag zur Friedens- und Hoffnungsstiftung (auch mit Nicht-Gläubigen) leisten und müssten daher auch in den nachhaltigen Entwicklungszielen Berücksichtigung finden. Ulrich Hemel plädiert daher für die Ergänzung eines Nachhaltigkeitsziels zu „Guter religiöser Praxis“, die als partnerschaftlicher Dialog zwischen Religiösen und Nicht-Religiösen zu fördern ist.
„Gaudium et spes“ – über Freude und Hoffnung, aber auch über die Rolle der Katholischen Kirche als einer der Welt zugewandten, Hoffnung stiftenden Kirche ging es auch im Vortrag von Professorin Dr. Johanna Rahner. Diese nahm die Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ des zweiten Vatikanischen Konzils zum Anlass gemeinsam darüber nachzudenken, inwiefern die dort beschriebene Zuwendung der Kirche zur Welt, zu den in ihr drängenden Themen, den Fragen und dem Leid aller (nicht nur christlicher) Menschen eigentlich umgesetzt wurde. „Das volle Potenzial der Pastoralkonstitution ist noch nicht ausgeschöpft“, so die Inhaberin des Lehrstuhls für Dogmatik, Dogmengeschichte und Ökumene. Dazu notwendig sei eine Ortsverschiebung des Glaubens: Raus aus dem ekklesichen Rückzug binnenkirchlicher Diskussionen, rein in die Lebenswelt der Gläubigen und Nicht-Gläubigen, in die Beschäftigung mit ihren Themen, ihren Ängsten, ihren echten Problemen und ihrem Leid. Dort, so Rahner, sei es die Aufgabe von Kirche durch aufrichtigen Dialog Hoffnung zu stiften.
Wer hinduistische Frömmigkeit verstehen wolle, müsse zunächst einmal die Begriffe und Denkweisen der abrahamitischen Religionen hinter sich lassen, schickte Dr. Stephan Schlensog (Generalsekretär der Stiftung Weltethos) seinem Vortrag „Hinduismus – Hoffnung auf Ordnung, Orientierung, Befreiung“ voran. Seine intensive Auseinandersetzung mit den vielschichtigen Hoffnungsgründen religiösen Vorstellungen, Praktiken und Philosophien, die unter dem Begriff „Hinduismus“ zusammengefasst werden, wurde vor vielen Jahren durch eine längere Reise inspiriert. Er lernte, dass die hinduistischen Gruppierungen an komplexe und vielfältige göttliche Ordnungen für menschliches Zusammenleben glauben. Dass sie ihre Welt als von Chaos umgeben, aber von Göttern gehalten und geordnet empfinden. Zu dieser Ordnung gehört auch Samsāra, der Kreislauf des Lebens, Sterbens und Wiedergeborenwerdens. Erfahrenes Leid im Leben ist darin ein Hinweis auf angesammelte Schuld durch eigene Taten (karma). Hoffnung richte sich in hinduistischen Glaubensansätzen auf Moksha, die Erlösung von Samsāra, die durch den Weg der Erkenntnis (Jnana-Marga), den Weg des ethischen Handelns (Karma-Marga) und den Weg der Gottesliebe (Bhakti-Marga) erreicht werden könne.
Nach der Mittagspause ging es um säkulare Perspektiven auf Quellen der Hoffnung. Hier denken viele sicherlich zuerst, noch dazu in Tübingen, an den Philosophen Ernst Bloch. Über dessen „Prinzip Hoffnung“ sprach im Rahmen der Tagung apl. Prof. Dr. Dr. Matthias Mayer vom Ernst-Bloch-Archiv der Universität Tübingen. Es gehe Bloch zunächst darum, den inneren Zusammenhang sowie die Gleichursprünglichkeit von Träumen, Hoffnung, Sehnsucht, Freiheit und Zukunft zu beschreiben und ein Hoffnungsprinzip ohne Offenbarung aus der Religion zu generieren. Dies habe in Bloch’scher Manier, jüngst auch die Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer in ihrer Rede vom 22. Juni in Tübingen versucht, so Mayer. „Das perseverante Festhalten an der „Fossilität“ (Neubauer) lähmt die menschliche Phantasie, diese als ,Quasi-Naturgegebenheit‘ wie allgemeinen ,Kulturzustand‘ ,denkend zu überschreiten‘ (vgl. Bloch, Prinzip Hoffnung, S. 2). Die Welt enthält jedoch durchaus die Möglichkeit, auf einen ,besseren Zustand‘ hin sich zu verändern, verändert zu werden.“
Ontologisch beziehe Hoffnung sich bei Bloch auf die ersehnte Identität von Subjekt und Objekt, von Natur und Mensch, auf das, was der Autor am Ende von Das Prinzip Hoffnung „Heimat“ (Bloch, Prinzip Hoffnung, S. 1628) nennt und das „allen in die Kindheit“ (ebd.) scheine. Enttäuschung bilde für ihn sogar eine notwendige Ingredienz der Hoffnung, insofern sei „Sagen was ist“ (Neubauer) vielleicht die notwendige Ausgangslage für dieselbe. Hierzu zitiert Mayer zum Schluss auch Sigmund Freud mit einer Stelle, die auch von Bloch, zu Neubauer, sogar die Brücke zum Projekt Weltethos schlägt:
„Warum die Völkerindividuen einander eigentlich geringschätzen, hassen, verabscheuen, und zwar auch in Friedenszeiten, und jede Nation die andere, das ist freilich rätselhaft. Ich weiß es nicht zu sagen. Es ist in diesem Falle geradeso, als ob sich alle sittlichen Erwerbungen der Einzelnen auslöschten, wenn man eine Mehrheit oder gar Millionen Menschen zusammennimmt, und nur die primitivsten, ältesten und rohesten seelischen Einstellungen übrigblieben. An diesen bedauerlichen Verhältnissen werden vielleicht erst späte Entwicklungen etwas ändern können. Aber etwas mehr Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit allerseits, in den Beziehungen der Menschen zueinander und zwischen ihnen und den sie Regierenden, dürfte auch für diese Umwandlung die Wege ebnen.“
Sigmund Freud: „Die Enttäuschung des Krieges“. In: ders.: Fragen der Gesellschaft. Ursprünge der Religion. Frankfurt a. M.: Fischer, 1974 (Studienausgabe; 9), 35-48; 47f.
Die Hoffnungsvision für eine bessere Welt braucht ethische Tatkraft, Dialog sowie verbindende Werte und Prinzipien zur Verwirklichung. Dies sei der Grundimpuls, der bei Hans Küng zur Publikation und damit zur Begründung des Projekts Weltethos geführt habe, erinnerte gleich zu Beginn seines Vortrags, Dr. Christopher Gohl (Weltethos-Institut). In „Projekt Weltethos“ bekenne sich Küng zum Kolloqiumspartner Bloch:
„(D)er Mensch muß mehr werden, als er ist: er muß menschlicher werden! Gut für den Menschen ist, was ihn sein Menschsein bewahren, fördern, gelingen läßt – und dies noch ganz anders als früher. Der Mensch muß sein menschliches Potential für eine möglichst humane Gesellschaft und intakte Umwelt anders ausschöpfen, als dies bisher der Fall war. Denn seine aktivierbaren Möglichkeiten an Humanität sind größer als sein Ist-Stand. Insofern gehören das realistische Prinzip Verantwortung und das »utopische« Prinzip Hoffnung (Ernst Bloch) zusammen.“
Hans Küng: „Projekt Weltethos“. München: Piper, S. 53
Hoffnung könne, laut Gohl, mit den Ansätzen der Hoffnungsforschung nach Rick Snyder und Chan Hellman auch als erlernbare soziale Kompetenz und demokratische Praxis eingeübt werden, wenn sich Wünschenswertes (Ziele) mit Teilhabe an der Problemlösung (Pfadwissen) und selbstwirksamen Handeln (Agency) verbinden lässt. Demokratie als auf Verbesserung abzielendes und humanistisches Projekt bedürfe der Hoffnung auf Besserung. Das, so Gohl, finde im Beispiel von John Dewey’s Pragmatismus ein Vorbild und in der Theorie qualitativer und verantworteter Freiheit von Claus Dierksmeier weitere theoretische Fundierung.
Über den Zusammenhang zwischen Hoffnung, Selbstwirksamkeit bzw. den äußeren Umständen und der Psyche sprach Dr. Andreas M. Krafft von der Universität St. Gallen. Der Autor des Buches „Unsere Hoffnung, unsere Zukunft“ (Springer Sachbuch 2022) stellte Ergebnisse der von ihm ins Leben gerufenen jährlichen Hoffnungbarometer-Umfrage vor, die seit 2009 in mittlerweile 12 Ländern Daten zusammengetragen hat.
Auffallend sei, dass das Hoffnungsgefühl in Ländern mit hohem Wohlstandsniveau oftmals weniger stark ausgeprägt ist als in Ländern mit größerer Armut. So lasse sich ein Zusammenhang zwischen der Stabilität der materiellen wie politischen Sicherheit und dem Hoffnungsvermögen sehen. „In Ländern, in denen die auf Menschen mehr Krisen und Erschütterungen zurückblicken, sehen wir tendenziell mehr Hoffnung auf eine Besserung der Zustände, während in vielen reicheren Ländern insbesondere auch Angst vor Wohlstandsverlust das Zukunftsbild prägt.“ So ist der Hoffnungsmittelwert des Barometers in Nigeria für das Jahr 2022 beispielsweise um einiges höher als derjenige in Österreich.
Interessant sei außerdem, dass bei der Umfrage mit Blick auf eine wünschenswerte Zukunft im Jahr 2043 die Mehrheit der Befragten in der Schweiz sich eine andere Gesellschaft erhoffen. Eine, die sich weniger an den individuellen Entfaltungsmöglichkeiten in einer wettbewerbsorientierten Gesellschaft als viel mehr an nachhaltiger Entwicklung orientiere.
Worauf hoffen, wenn mit einer schlimmen Diagnose zunächst einmal alle Hoffnung schwindet? Genau darüber sprach Diplom-Psychologin Heike Sütterlin, die Bereichsleiterin der Psychosozialen Krebsberatungsstelle des Universitätsklinikum Tübingen.
Nach einer Vorstellung der Krebsberatungsstelle und ihrer Tätigkeitsfelder beschrieb sie anschaulich die unterschiedlichen Phasen des Umgangs mit Hoffnung und Hoffnungslosigkeit nach einer Krebsdiagnose und auch, inwiefern das soziale Umfeld hier mit erschüttert wird.
Hoffnung sei, laut dem Mediziner und Philosophen Giovanni Maio: „Ein Offensein für das, was noch kommen wird und das wir nicht ändern können und ein Vertrauen darauf, es bewältigen zu können.“ Hoffnung komme somit insbesondere in Krisen und Grenzsituationen zu tragen und sei somit etwas anderes als Zuversicht, die sich vor allem auf die Wirksamkeit im Rahmen des eigenen Handlungsvermögens beziehe.
Text: Anna Tomfeah, Fotos: Mira Weiss @Weltethos-Institut