Von der Kritik der digitalen Vernunft und dem Dilemma mit den Sozialen Medien zu einer Buchrezension von Prof. Dr. Klaus Leisinger
Digitale Geschäftsmodelle und Soziale Medien haben uns nicht erst seit der Pandemie fest im Griff. Schon länger ist bekannt, dass digitale Netzwerke Auswirkungen auf die mentale Gesundheit von Menschen, auf private Beziehungen, ja sogar auf gesellschaftliche Spannungsverhältnisse haben. Bislang hatte dies wenig Auswirkung auf das Nutzungsverhalten von Nutzer*innen oder die Überarbeitung der Geschäftsmodelle seitens der Tech Giganten. Doch seit einigen Monaten (nicht zuletzt seit der Veröffentlichung des Dokumentarfilms „Das Dilemma mit den Sozialen Medien“) nimmt die Diskussion um die humane Gestaltung von digitalen Technologien- und Geschäftsmodellen Fahrt auf und verstärkt Professor Hemels Forderung aus seinem Buch „Die Kritik der digitalen Vernunft“ (erschienen Oktober 2020 im Herder Verlag): Wir brauchen dringend menschendienliche Umgestaltungen der neuen Technologien!
Zu diesem Ergebnis kommt auch der Wirtschaftsethiker Prof. Dr. Klaus Leisinger (Präsident der Stiftung Globale Werteallianz) in seiner Rezension des Buches im Forum Wirtschaftsethik:
„Je effizienter und effektiver eine Technologie ist, desto größer ist auch ihr Missbrauchspotential. (…) Ulrich Hemel erörtert die Frage, wie aus ethischer Perspektive mit durch Digitalisierung entstehenden Dilemmata umzugehen sei auf eine tiefgründige und zum Nachdenken anregende Weise. (…)
Der Theologe Helmut Gollwitzer definierte (in “Krummes Holz – Aufrechter Gang”) Fortschritt als ’nichts anderes als dauernder Kampf um das Erringen seiner positiven Aspekte, das Bestehen seiner ihn begleitenden Gefahren und das Verwinden der von ihm verursachten Einbußen‘. Was allerdings im Kontext digitaler Technologien die positiven Aspekte, die Gefahren und die Einbußen sind, bleibt – siehe oben – strittig. Um in dieser Situation menschendienliche Auswirkungen möglichst zu fördern und gegenteilige Auswirkungen möglichst zu minimieren, empfiehlt Ulrich Hemel das Einziehen von Leitplanken.
Bei der Entwicklung und im Design digitaler Technologien sollen fünf Prinzipien Beachtung finden: klar zurechenbare Verantwortung, Ausrichtung an den Werten der Nutzergruppen, Erklärbarkeit, Beachtung der Datenrechte von Nutzern und Fairness. Insbesondere Fairness liegt Hemel am Herzen: Die informationelle Selbstbestimmung muss gewahrt, die Goldene Regel der Reziprozität beachtet, Transparenz und Rückverfolgbarkeit sichergestellt werden. Die Nutzung von generierten Daten muss ein geregeltes Verfallsdatum haben, und Interessenskonflikte müssen durch (Schieds-) Gerichte lösbar sein. Auf diese Weise, so Hemel, entstehe Vertrauen in ihre Nutzung digitaler Technologien.“
Foto: Prof. Dr. Klaus Leisinger (privat)