An-Institut der Stiftung Weltethos
an der Universität Tübingen

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CETA und TTIP kontraproduktiv für Klima

Investorenrechte in EU-Handelsabkommen blockieren Energiewende und behindern Klimaschutz
„Bestehende Handels- und Investitionsabkommen schränken den politischen Spielraum der Regierungen im Kampf gegen den Klimawandel bereits enorm ein. Wenn nun TTIP und CETA durch ISDS ebenfalls die Möglichkeit für Investor-Staat-Klagen eröffnen, bedeutet das eine beträchtliche Ausweitung der internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit – mit unvorhersehbaren finanziellen Risiken für Regierungen auf beiden Seiten des Atlantiks.“ Zu diesem Schluss kommt die zwölfseitige Studie von vier NGOs unter dem Titel „Ein Paradies für Umweltsünder“.
Herausgeber sind Powershift e.V., Corporate Europe Observatory (CEO), Association Internationale des Techniciens, Experts et Chercheurs (AITEC) und das Transnational Institute (TNI). Sie ziehen darin eine Bilanz der Investor-Staat-Klagen vor dem International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID), dem privaten Schiedsgericht der Weltbank in Washington.
Am häufigsten zietieren die wenigen internationalen Anwälte, die sich den Kuchen teilen, bei Investor-Staat-Klagen den sogenannten Energiecharta-Vertrag von 1994 als rechtliche Grundlage, der nach dem Ende des Kalten Kriegs ursprünglich die Energiesektoren der Sowjetunion-Nachfolgestaaten und Osteuropas in die europäischen und globalen Märkte integrieren sollte. Die zu Grunde liegende Energiecharta wurde am 17.12.1991 in Den Haag unterzeichnet – Vertrag und Protokoll (zur Energieeffizienz und verwandten Umweltaspekten – PEEREA) traten im April 1998 in Kraft. Dabei handelte es sich um eine politische Erklärung der Prinzipien der internationalen Energiebeziehungen, darunter Handel, Transit und Investitionen. Die Absicht, einen rechtsverbindlichen Vertrag zu verhandeln wurde darin ebenfalls zum Ausdruck gebracht. Die Klage von Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen des Atomausstiegs beruft sich auf den Energiecharta-Vertrag (Solarify berichtete: solarify.eu/vattenfall-stiehlt-sich-aus-den-atom-kulissen).
Vattenfall hatte, wie Regierungskreise im Dezember 2012 bestätigten, die Bundesrepublik Deutschland wegen der Abschaltung seiner beiden Atommeiler Krümmel (Foto) und Brunsbüttel verklagt. Allerdings nicht nur – wie früher RWE und am 01.10.2014 auch E.ON – in einem transparenten, rechtsstaatlichen Verfahren vor einem deutschen Gericht, sondern auch vor dem (ICSID). Auf dessen Webseite heißt es wiederholt: “The Tribunal issues Procedural Order No. X concerning the confidentiality of documents.” Nichts dringt nach außen.
Erneuerbare „verletzen“ Gewinnerwartungen
Die NGOs zitieren nun unter anderem aus dem Briefing einer US-Kanzlei über die „Möglichkeiten für ausländische Investoren, mit Gesetzesänderungen im Bereich der erneuerbaren Energien umzugehen“. Die Anwälte argumentierten darin, verbindliche Produktionsziele für Erneuerbare Energien würden „legitime Erwartungen von Unternehmen verletzen, dass der Anteil von Energie aus fossilen Quellen nicht verringert wird“. Der in den Abkommen meist formulierte Standard der „fairen und gerechten Behandlung“ sei dadurch nicht mehr gewährleistet, was einen Anspruch auf Entschädigungszahlungen rechtfertige – meist in Milliardenhöhe.
Die Autoren der Studien entdeckten in den Vorschlägen der EU-Kommission nichts, das Investoren von Klagen gegen etwa Frackingverbote oder den Ausstieg aus fossilen Energien abhalten könne. Auch nach monatelangen Querelen im BMWi eröffnete Leseraum für MdB habe die Zweifel an den Abkommen nicht mindern oder gar ausräumen können, eher sei die Skepsis noch gestiegen, berichteten drei Abgeordnete, welche die geheimen Unterlagen eingesehen haben, im Handelsblatt. Sie bemängelten die strengen Auflagen, das Zeitlimit von zwei Stunden und das Rede-Verbot. Grünen-Fraktionschef Hofreiter twitterte daanach: „Leider verbietet mir die Bundesregierung Euch zu sagen, was ich gelesen habe. Ich kann nur sagen, dass meine Skepsis noch größer geworden ist.“
Bedingungen für den TTIP-Leseraum im BMWi:

  • Die Leseerlaubnis kann jederzeit widerrufen werden. Wörtlich heißt in dem am 14.12.2015 verfassten Dokument über die „Einrichtung von Leseräumen in den Mitgliedsstaaten“: „Die USA betonten, dass die Übermittlung von konsolidierten TTIP-Texten und deren Verfügbarkeit in den Leseräumen der Mitgliedsstaaten nur auf Probe (trial basis) erfolgt, und von der Integrität und Zuverlässigkeit der Vorgehensweise abhängt. Die USA haben darauf hingewiesen, dass sie die Genehmigung (…) in einem oder allen Mitgliedsländern widerrufen würden, falls eine unbefugte Veröffentlichung der Dokumente oder deren Inhalte erfolgen soll.“ In einem solchen Fall wolle man die Quelle der unbefugten Veröffentlichung ermitteln und „die entsprechenden Maßnahmen, darunter disziplinäre und/oder rechtlichen Maßnahmen“ angewenden. Mit anderen Worten: Gibt ein Abgeordneter Informationen über das, was er gelesen hat, an die Öffentlichkeit, wird der Mitgliedstaat bestraft.
  • Bundestagsabgeordnete werden beim Lesen der TTIP-Dokumente von einem Sicherheitsbeamten beaufsichtigt. Er „wird während der gesamten Zeit des Besuchs anwesend sein“ und soll nicht nur die persönlichen Daten des Parlamentariers und die Zeitpunkte der Einsichtnahme erfassen, sondern auch die Dokumente registrieren, die gesichtet werden.
  • Die Texte werden nicht ausgedruckt sondern können nur an Computern gelesen werden, die nicht mit dem Internet verbunden sind. Maximal acht Abgeordnete dürfen gleichzeitig an den Computer-Arbeitsplätzen TTIP-Texte lesen.
  • Wörtliche Zitate dürfen nicht abgeschrieben werden. „Besucher dürfen handschriftliche Notizen mitnehmen; solche Notizen dürfen aber im Umfang oder inhaltlich keine Kopien (…) von vertraulichen Inhalten wiedergeben.“
  • Es herrscht Handyverbot. „Mobiltelefone oder andere elektronische- oder Aufnahmegeräte sind im Leseraum nicht zugelassen.“ Siehe: blog.ethisch-oekologisches-rating.org]

Für Pia Eberhardt vom Corporate Europe Observatory in Brüssel ist TTIP „in erster Linie ein Instrument, um die Interessen der Industrie durchzusetzen. Das könnte gefährlich werden für die Demokratie – nämlich dann, wenn es darum geht, die Machtverhältnisse zu ändern“. Sie hält die Investor-Staat-Verfahren für „so lebendig und gefährlich wie eh und je. Wenn wir einen gefährlich hohen Anstieg der Erderwärmung verhindern wollen, müssen diese konzernfreundlichen Verträge gestoppt werden.“
Einleitung der Studie
„Die zentrale Herausforderung unserer Zeit ist es, die Klimakatastrophe zu verhindern. Wenn die äußerst gefährliche Erderwärmung eingedämmt werden soll, dann darf ein großer Teil der noch im Boden vorhandenen fossilen Energieträger – also Öl, Kohle und Gas – nicht weiter abgebaut werden. Unsere Gesellschaft muss auf erneuerbare Energien wie Sonnen-, Wind- und Wasserenergie setzen.
Für eine solche enorme Umstellung braucht es ein entschiedenes Vorgehen der Politik. Doch der Handlungsspielraum öffentlicher Institutionen, um dringend benötigte Gesetze und Regulierungen zu verabschieden, wird durch ein wenig bekanntes, aber nicht minder mächtiges Rechtsinstrument stark eingeschränkt: Der Investitionsschutz mit den Investor-Staat-Klagerechten, wie sie in internationalen Investitionsabkommen festgeschrieben werden.
In den vergangenen Jahrzehnten sind zahlreiche Länder eben diesen internationalen Investitionsregelungen ins Netz gegangen. Mehrere tausend Handels- und Investitionsabkommen ermöglichen großen multinational agierenden Konzernen, Regierungen zu verklagen, wenn Politikänderungen oder andere staatliche Maßnahmen – auch solche zum Umweltschutz und gegen den Klimawandel – den Wert ihrer Investitionen (inklusive zukünftiger Profite) schmälern. Vor internationalen Schiedsgerichten wurden bis Ende 2014 insgesamt 608 solcher Klagen verhandelt; soweit die bekannten Fälle. Die Kosten dieser Verfahren wiegen schwer: Einerseits kommen auf Regierungen enorme Rechtskosten und Schadensersatzforderungen zu, andererseits wird die Sozial- oder Umweltgesetzgebung aufgeweicht.
Eine wachsende Zahl von Investor-Staat-Klagen greift politische Initiativen im Energiesektor – vom Atomausstieg bis hin zu Moratorien für die höchst umstrittene Förderung von Schiefergas (sogenanntes „Fracking“) – an. An jeder solchen Investor-Staat-Klage verdienen die auf Investitionsschutz spezialisierten Anwaltskanzleien, was zu weiteren Konzernklagen, beispielsweise aufgrund von Gesetzen zur Förderung erneuerbarer Energien, geradezu einlädt.
Obwohl das Risiko dieser Konzernklagen vor dem Hintergrund der Energiewende mehr als deutlich ist, finden gegenwärtig Verhandlungen für weitere Handels- und Investitionsabkommen statt, die es Unternehmen ermöglichen, wichtige staatliche Maßnahmen gegen den Klimawandel anzufechten. Hierzu zählen auch die Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP), die momentan zwischen der EU und den USA verhandelt wird, sowie das EU-Kanada-Abkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement), das voraussichtlich im Jahr 2016 ratifiziert werden soll.
Während nun große Konzerne massiv Lobbying für diese Handelsabkommen betreiben und dadurch versuchen, ihre Machtstrukturen zu erweitern, regt sich immer mehr Widerstand. Tatsächlich erfahren diese Handels- und Investitionsabkommen eine weitaus größere öffentliche Aufmerksamkeit als in der Vergangenheit.“

Anmmerkung der Autoren: Diese Publikation wurde dank der EU-Förderung für das Projekt “Making EU Investment Policy work for Sustainable Development” ermöglicht. Die zum Ausdruck gebrachten Standpunkte sind ausschließlich die der Verfasser und sind nicht als offizielle Stellungnahme der Europäischen Kommission anzusehen.

->Quellen:

 
 

Über den Autor:

Gerhard Hofmann

Gerhard Hofmann

Dr. Hofmann war bis 2008 TV-Redakteur, u.a. ARD-Korrespondent Südamerika und Chefreporter SWF, Chefkorrespondent n-tv und RTL. Als Chef der Agentur Zukunft, berät im Bereich der erneuerbaren Energien und Nachhaltigen Entwicklung, u.a. die Desertec Initiative Dii, das IASS Potsdam, acatech und die ...