Die Sozialdemokraten billigen das Handelsabkommen CETA. Die Strippen gezogen hat dabei der linke SPD-Bezirksverband Hannover.
Keine andere Partei arbeitet sich so an den geplanten internationalen Handelsabkommen ab wie die SPD. Sie hatte für Montag extra einen eigenen Parteikonvent für CETA einberufen, zu dem selbst die kanadische Handelsministerin anreiste. Die Mitglieder stimmten am Ende mit großer Mehrheit für CETA – allerdings mit Forderungen.
Am Montagvormittag, kurz vor Beginn des SPD-Parteikonvents in Wolfsburg, war die Stimmung vor der Tür durchaus kämpferisch und längst nicht entschieden. Mehrere Hundert Demonstranten hatten sich versammelt, riefen „Stop TTIP, Stop Ceta“ und appellierten an die SPD.
Delegierte aus SPD-Landesverbänden bekundeten vor den aufgebauten Fernsehkameras ihre Ablehnung gegen das Handelsabkommen mit Kanada. Und das, obwohl der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel für die Zustimmung zu CETA warb. Mehr als 50 kritische Anträge waren zuvor eingereicht worden, viele davon forderten den Freihandelspakt mit Kanada zu begraben. Und damit gegen Gabriel zu stimmen.
Aber die Gegner hatten ihre Rechnung ohne den einflußreichen SPD-Bezirk Hannover gemacht.In dem traditionell linken Bezirksverband hatten sich am Wochenende der SPD-Linke Matthias Miersch und der Genosse Bernd Lange, der dem Handelsausschuss im Europaparlament vorsitzt, getroffen und an einem Antrag gearbeitet, um die SPD-Basis zu befrieden. Ihr Plan ging auf. Mehr als zwei Drittel der Delegierten stimmten am Montagabend für den Antrag und damit für die Pläne Gabriels.
Koordiniert war die Aktion von Niedersachens Ministerpräsident Stephan Weil – nach eigener Aussage bis vor ein paar Wochen „nicht gerade ein Experte in Sachen Handelsverträge“. Er sprach die Linie mit Miersch und Lange ab, telefonierte am Samstag und Sonntag mit vielen Delegierten. Am Montagmorgen dann übernahm der Vorstand der SPD den Antrag und brachte ihn selbst ein.
Für Gabriel war dieser kleine CETA-Parteitag auch eine Vertrauensfrage. Sein erster Vorschlag zu CETA wurde im Vorfeld von vielen SPD-Linken stark kritisiert. Gabriels Position war ihnen zu nah an dem fertig verhandelten Vertrag. In der Parteiführung wuchs die Sorge, ob genug Delegierte Gabriels Vorschlag folgen würden. Am Montagmorgen dann die Rettung. Der Bundesvorstand konnte jetzt den neuen Hannover-Antrag als Änderungsantrag zum Vorstandsplan auf dem Parteikonvent verteilen.
Die Forderungen
Im Antrag finden sich zahlreiche Zugeständnisse an die CETA-Kritiker:
- Nachbesserungen im Investitionsschutz: Ausländische Firmen sollen nur klagen dürfen, wenn sie gegenüber inländischen Firmen diskriminiert werden. Das lässt den Konzernklagerechten nur noch wenig Spielraum.
- Es soll klar gestellt werden, dass CETA-Gremien keine eigenen Entscheidungen treffen und den Vertrag ändern können.
- Es soll im Vertrag deutlich stehen, dass das Vorsorgeprinzip gilt. Das Prinzip besagt, dass Produkte erst zugelassen werden, wenn Gefährdungen ausgeschlossen sind.
- Die Antragsteller fordern, dass der CETA-Vertrag überhaupt erst vorläufig angewendet werden soll, nachdem gesellschaftliche Gruppen angehört wurden und das Europäische Parlament über Änderungen entschieden hat.
Das klang in den Ohren der Kritiker erst mal ziemlich gut.
Der Änderungsantrag, dem die SPD-Delegierten zugestimmt haben.
Entwurf eines Änderungsantrages zum Parteikonvent
Vorbemerkung: Die nachfolgenden Änderungen werden für den Antragstext in der Fassung der Antragskommission beantragt. Alle genannten Zeilennummern beziehen sich auf dieDruckversion im Antragsbuch.
Ersetze Zeile 610-633 – durch folgende Fassung:
„Bei gemischten Abkommen der EU können aufgrund der Dauer des Ratifizierungsprozesses (die Parlamente aller Mitgliedstaaten der EU müssen zustimmen) und aufgrund der Zuständigkeit in der Handelspolitik die Teile des Abkommens, die nicht in die nationale Zuständigkeit fallen, vorläufig angewendet werden. Der Zeitpunkt der Entscheidung über die vorläufige Anwendung ist eine politische Ermessensfrage, die unabhängig von der Unterzeichnung getroffen werden kann (Artikel 218 Abs. 5 AEUV ‚gegebenenfalls‘).
Erst nach einer positiven Entscheidung des Europäischen Parlaments können bestimmte Teile des Abkommens vorläufig angewendet werden. Deshalb spricht sich der Parteikonvent dafür aus , sich in den Gremien der Europäischen Union, insbesondere im Europäischen Parlament, dafür einzusetzen, dass vor einer endgültigen Entscheidung über die vorläufige Anwendung von Teilen des Abkommens, das Europäische Parlament in einem ausführlichen Anhörungsprozess mit den nationalen Parlamenten und der Zivilgesellschaft die kontrovers diskutierten Fragen erörtert und Lösungsansätze entwickelt werden und das Abkommen bis zum Abschluss dieses Prozesses noch nicht vorläufig anzuwenden Auf dieser Grundlage können dann nach der Ratifizierungsentscheidung des Europäischen Parlaments die Teile vorläufig angewendet werden, die nicht nationale Kompetenzen betreffen. Für uns steht zweifelsfrei fest, dass unter anderem Kapitel 8 (Investitionen) nationale Kompetenzen berührt, so dass die Regelungen erst nach der Beschlussfassung in Bundestag und Bundesrat gültig sein können.“
Ergänzung nach Zeile 649:
„Unter Bezugnahme auf die Beschlüsse des SPD-Konvents vom 20. September 2014 und des Beschlusses des Bundesparteitages vom 8. Dezember 2015 erwarten die Delegierten des Parteikonvents vom hier beschriebenen Prozess, dass rechtsverbindlich, möglichst vor Beschlussfassung im Ministerrat bzw. im anschließenden Parlamentarischen Verfahren, folgende Punkte vereinbart werden, um CETA zustimmungsfähig zu machen:
- Im Bereich des Investorenschutzes muss mit Blick auf die Rechtstatbestände, wie z.B. ‚faire und gerechte Behandlung‘ und ‚indirekte Enteignung‘ sichergestellt werden, dass keine Bevorzugung von ausländischen gegenüber inländischen Investoren oder Bürgerinnen und Bürgern stattfinden. Investorenschutz sollte somit auf die Diskriminierung gegenüber inländischen Investoren beschränkt werden.
- Unter Bezugnahme auf das Cartagena-Protokoll und die Rechtsposition der EU im WTO-Verfahren über Hormonfleisch zwischen der EU und Nordamerika muss unmissverständlich und rechtsverbindlich erklärt werden, dass die EU im Rahmen des CETA-Abkommens in keiner Weise vom primärrechtlich verankerten Vorsorgeprinzip (Art. 191 AEUV) abweicht.
- Im Rahmen des Beratungsprozesses ist ein Sanktionsmechanismus bei Verstößen der Partner gegen Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards zu entwickeln. Die acht ILO-Kernarbeitsnormen müssen ratifiziert werden. Der soziale Dialog ist effektiv auszugestalten, sodass das Verfahren zur Durchsetzung von Standards wirkungsvoll genug ist und durch Sanktionsmöglichkeiten ergänzt wird.
- Es muss sicher- und klargestellt werden, dass alle Gremien, die durch das CETA-Abkommen geschaffen werden, zunächst eine beratende Funktion zur Umsetzung des Abkommens haben und begrenzte Entscheidungen nur im Einklang mit den demokratisch legitimierten Verfahren der Partner treffen und nicht die Souveränität der Parlamente und Regierungen verletzen dürfen.
- Es muss sich aus dem CETA-Vertrag unmissverständlich ergeben, dass bestehende und künftig entstehende Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht vom Vertrag erfasst werden.“
Ergänzung neuer Punkt nach Punkt oben:
„Anders als im Prozess der WTO ist es der Staatengemeinschaft gelungen, im Jahr 2015 gemeinsam globale Nachhaltigkeitsziele und das Pariser Klimaschutzabkommen zu beschließen. Unter Bezugnahme auf Art. 24.4 (Kapitel Handel und Umwelt) ist durch die Vertragsparteien zu betonen, dass diese Abkommen von großem Wert sind und das CETA-Abkommen und die darin beschriebene Handels- und Wirtschaftspolitik sich an diesen Zielen orientiert.“
Kanadierin begeistert die Delegierten
Es sind allerdings erhebliche Änderungen, die ohne Unterstützung aus Kanada vollkommen unrealistisch wären. Aber die kam – zumindest rhetorisch und in Gestalt der kanadischen Handelsministerin Chrystia Freeland. Sie war eigens nach Wolfsburg gereist und hielt im Anschluss an Gabriel eine Rede, die von Teilnehmern des Konvents als „begeisternd“ beschrieben wurde. Freeland forderte, dass die Politik die Globalisierung gestalten können müsse und deutete an, dass Nachbesserungen auch im kanadischen Interesse seien. Den Vertrag wolle man zwar nicht aufschnüren, aber rechtlich verbindliche Änderungen zulassen.
Auch der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann warb auf dem Konvent grundsätzlich für CETA. Er blieb bei der Linie der Gewerkschaften, dass der Vertrag in der derzeitigen Form nicht zustimmungsfähig sei. Er ließ aber erkennen, dass er nicht gegen CETA sei, wenn die geforderten Verbesserungen noch eingearbeitet würden.
Nach diesen Reden deutete sich Angaben von Teilnehmern zufolge schon eine Mehrheit der Delegierten für den Hannover-Antrag an. Kurz nach 18 Uhr stand fest: Eine große Mehrheit der SPD geht nun ein gutes Stück mit Gabriels CETA-Politik mit. Auch dank des niedersächsischen Ministerpräsidenten Weil und zwei weiterer Genossen, die für Gabriel hier die Kohlen aus dem Feuer geholt haben.
Gabriel kann fürs erste zufrieden sein. Jetzt muss sich zeigen, ob die geforderten Nachbesserungen aus Niedersachsen in der EU und in Kanada genug Zustimmung finden. Und ob es der SPD gelingt, den Wählern ihren Kurs zu vermitteln. Ceta ist damit fast gerettet. Für TTIP ist dagegen keine Lösung in Sicht.
Mehr Infos über die Handelsabkommen TTIP und CETA – hier die Correct!v-Recherchen.
->Quelle: https://correctiv.org/recherchen/ttip/blog/2016/09/19/spd-ringt-sich-zu-ceta-durch/