An-Institut der Stiftung Weltethos
an der Universität Tübingen

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Regierung: "Was TTIP-Gegner verschweigen" – und was wirklich stimmt

Presse- und Informationsamt der Bundesregierung zu Großdemonstration gegen TTIP – mindestens 150.000 demonstrieren in Berlin

„Mehr Wohlstand für Europa, Vorteile für Verbraucher sowie Unternehmen und Erhalt europäischer Standards. Die Gegner des transatlantischen Freihandelsabkommens blenden diese Wahrheiten aus.“

Anti-TTIP-Demo 1 - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur ZukunftMit solchen Parolen wollten Regierung und Presseamt den Demonstranten den Wind aus den Segeln nehmen. Das gelang angesichts von 150-200.000 Demonstranten (siehe Fotos) am 10.10.2015 nur sehr unvollkommen. Der EÖR-Blog nimmt die Argumente der Regierung unter die Lupe. Fazit: Ziemlich fadenscheinig, Schätzungen werden als Tatsachen präsentiert, Annahmen als Fakten, Ziele als erreicht, Zukunftserwartungen als „Wahrheiten“.

Für die Veranstalter der Berliner Großdemonstration insbesondere gegen TTIP, dem geplanten Handelsabkommen der EU mit den USA, gibt es zurzeit kein größeres Feindbild. Die Bundesregierung setzt Argumente gegen Vorurteile.

Anti-TTIP-Demo 2 - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur ZukunftDass hinter der Formulierung „Für die Veranstalter der Berliner Großdemonstration insbesondere gegen TTIP… gibt es zurzeit kein größeres Feindbild“, ein Vorurteil stecken könnte, wird der Autor wohl zurückweisen. Wieso „insbesondere…“?
Inzwischen haben 3.263.920 Europäer den Aufruf der selbstorganisierten (da von der EU abgelehnten) Europäischen Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA unterzeichnet. Alle auf Propaganda und ein „Feinbild hereingefallen?


Es geht darum, unterschiedliche Normen und Zulassungsverfahren ohne Abstriche beim Verbraucherschutz anzunähern und bürokratische Hemmnisse zu verringern. „Europäische Standards werden nicht abgesenkt. Das war Voraussetzung für das Verhandlungsmandat.“ betont Bundeskanzlerin Angela Merkel. TTIP – steht für „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ und ist das Freihandelsabkommen mit den USA.

In Wirklichkeit geht es darum, den Interessen von Großkonzernen zum Erfolg zu verhelfen, auch mittels geheimer unanfechtbarer Schiedgerichte. Es muss befürchet werden, dass Normen nicht „angenähert“, sondern auf das niedrigste gemeinsame Niveau festgeschrieben werden.

Gute Gründe für TTIP – wie sie die Bundesregierung sieht

Die Europäische Union und die USA verhandeln über ein Freihandelsabkommen. Das Ziel: mehr Handel. So sollen Zölle und Handelsbarrieren für Waren und Dienstleistungen möglichst wegfallen – etwa unterschiedliche Vorschriften und Industrienormen. Im Gesundheits-, Lebensmittel- oder Verbraucherbereich soll das jeweils höhere Schutzniveau gelten. Dem Ergebnis der Verhandlung müssen der Europäische Rat, das Europäische Parlament und in Deutschland auch der Deutsche Bundestag sowie der Bundesrat zustimmen. Bundeskanzlerin Merkel sagte im September 2015: „Ein Freihandel zwischen den beiden großen Wirtschaftsräumen der Welt, den Vereinigten Staaten von Amerika und dem europäischen Binnenmarkt, ist von unschätzbarem Wert. Für mich ist klar, dass die Vorteile die vermeintlichen Nachteile weit übersteigen werden. Aber wir sagen den Menschen auch: Rote Linien werden nicht überschritten. All das, was da an Horror- und Schreckensszenarien ausgebreitet wird, wird es nicht geben. Weder wird das Chlorhühnchen Einzug halten noch werden in Zukunft gentechnisch veränderte Lebensmittel in die Europäische Union importiert werden können.“

Anti-TTIP-Demo 10 - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur ZukunftDass ein Freihandel von „unschätzbarem Wert“ ist, stimmt allerdings nur dann, wenn die Standards (ökonomisch, ökologisch, sozial, kulturell) auf das jeweils höchste Niveau angehoben würden – aber damit ist leider nicht zu rechnen. Dass sowohl „der Deutsche Bundestag sowie der Bundesrat zustimmen“ müssen, ist nichts als ein frommer Wunsch (s.u.). Der Satz „All das, was da an Horror- und Schreckensszenarien ausgebreitet wird, wird es nicht geben“, ist möglicherweise der Glaube der Kanzlerin und ihres Vertreters, aber lediglich eine in die Zukunft gerichtete Behauptung – mehr nicht.

Stimme Europas stärken
Selbst das wirtschaftlich starke Deutschland werde in ein paar Jahren gegenüber den neuen Riesen in der Welt – China, Indien, Lateinamerika – zu klein sein, um gehört zu werden. „Wir haben entweder eine europäische Stimme oder künftig keine Stimme mehr in der Welt“, so die Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel in einem Interview.  Der Anteil der Europäer an der Weltbevölkerung sinke. Deshalb brauche Europa Partner. An erster Stelle die USA. Bei Standards könnten die USA und die EU gemeinsam weltweit eine Vorreiterrolle übernehmen – etwa für Zukunftstechnologien wie die Elektromobilität oder die Nanotechnologie. Eine gute Voraussetzung für Wachstum – und neue, zukunftssichere Arbeitsplätze bei uns. Man muss versuchen, möglichst gleiche Standards zu definieren, die sich nicht am niedrigsten, sondern am höchsten Standard orientieren sollten.

Anti-TTIP-Demo 7 - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft„Bei Standards könnten die USA und die EU gemeinsam weltweit eine Vorreiterrolle übernehmen“ – der Konjunktiv ist hier als Irrealis richtig eingesetzt, denn das Gegenteil wird geschehen – nach Überzeugung vieler unabhängiger Experten. Das Wachstum wird nach eindeutigen unwiderlegbaren Berechnungungen von Fachleuten des DIW in homöopathischen Dosen stattfinden – kurz: Es wird von den Befürwortern schamlos übertrieben dargestellt.
In einem „Brief aus Berlin“ berichtete Michael Grosse-Brömer, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, im März 2015 seinen Wählern von „einer aktuellen Studie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM)“ – deren angeblicher Inhalt: „In ihrer Studie geht die INSM auch von einer Steigerung des EU-Bruttoinlandproduktes über 119 Milliarden Euro aus“. Richtig ist: Es gibt überhaupt keine solche Studie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Die Zahl von 119 Milliarden Euro stammt aus einer älteren Studie im Auftrag der Europäischen Kommission und wird von Grosse-Brömer zudem inhaltlich verzerrt wiedergegeben. Zur Korrektur der nachweislich falschen Angabe aufgefordert, antwortete Grosse-Brömer auf twitter nur: „Habe gerade besseres zu tun, als auf wenig überzeugende und falsche Behauptungen einzugehen“. (Mehr auf http://tinyurl.com/cdu-ttip-wahrheit )

Mehr Wachstum und Wohlstand
TTIP bringt für kleine und mittlere Unternehmen einen deutlichen Wachstumsschub. Unsere exportorientierten mittelständischen Unternehmen profitierten durch sinkende Kosten. Industrie, Dienstleistungen, aber auch die Landwirtschaft können mit Exportzuwächsen rechnen. Zuwächse gibt es auch im Maschinen- und Kraftfahrzeugbau. Handelskosten sinken, Preise fallen und die Kaufkraft der Einkommen steigt. Das zeigt die Erfahrung mit anderen Freihandelsabkommen wie mit Südkorea. Mehr Jobs Die USA sind für Deutschland schon heute der wichtigste Exportmarkt außerhalb Europas und zugleich der wichtigste Investitionsstandort deutscher Unternehmen. Ein Freihandelsabkommen stärkt den Wettbewerb und bringt den Betrieben Vorteile: niedrigere Preise, eine größere Produktvielfalt, mehr Absatz. Das schafft mehr Jobs – nach vorsichtigen Schätzungen in Deutschland bis zu 110.000, in der EU rund 400.000.

Anti-TTIP-Demo 11 - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft_20151010_131223Inzwischen hat sich eine KMU-Initiative eindeutig gegen ttip gewandt: Entgegen Behauptungen der Union: Kleine und Mittelständler wachen auf Auf ihrer Webseite KMU-gegen-TTIP haben die KMU einen Aufruf zur Unterschrift platziert: “Als Kleine und Mittelständische Unternehmen sind wir für einen fairen, transparenten Freihandel auf Grundlage hoher Umwelt- und Sozialstandards. Das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) widerspricht diesen Grundsätzen“.
Aus einer Foodwatch-Analyse: In den hier zugrunde gelegten beiden Studien des Münchener ifo-Instituts für die Bertelsmann-Stiftung und für das Bundeswirtschaftsministerium reichen die Schätzungen von EU-weit gerade einmal rund 12.000 (!) bis etwa 1,3 Millionen zusätzlichen Jobs. Schon 400.000 Jobs – in der CDU-Darstellung als Untergrenze erwähnt – hält das ifo-Institut nur dann für erreichbar, wenn ein „sehr optimistisches Szenario, welches erhebliche Unsicherheiten involviert“, einträte. (Quellen: ifo-Studie für das BMWi: http://bit.ly/1E57Lpc S. 93+100; ifo für Bertelsmann-Stiftung: http://tinyurl.com/pmg8j96, S. 41).
Die übertriebenen Angaben beziehen sich auf eine Studie des ifo-Instituts für das Bundeswirtschaftsministerium (Quelle: http://bit.ly/1E57Lpc, u.a. S. 100). Diese Studie hält – je nach Annahmen für die Ausgestaltung von TTIP – jedoch auch erheblich kleinere Job-Effekte für denkbar, nämlich nur rund 12.000 zusätzliche Arbeitsplätze in der EU. Rund 400.000 Jobs stellen also lediglich das Best-Case-Szenario der Studie dar. Zudem ist es unzulässig, die naturgemäß auf Basis spekulativer Annahmen durchgeführten Schätzungen wie Fakten zu präsentieren.
Eine weitere von CDU und Regierung stets zitierte Studie stammt  vom Institut CEPR im Auftrag der Europäischen Kommission, die unter spekulativen Annahmen für die Ausgestaltung des Abkommens ökonomische Berechnungen für mehrere TTIP-Szenarien anstellt. Je nach Annahme fällt das Ergebnis sehr unterschiedlich aus. Die in den Zitaten genannten Impulse (vor allem die „119“ bzw. aufgerundet „120 Milliarden Euro“) werden in der Studie sicher nicht „erwartet“ und erst recht nicht „pro Jahr“ oder im Sinne eines „jährlichen zusätzlichen“ Wachstums. Vielmehr erachtet es die Studie für möglich, dass das Bruttoninlandprodukt der EU im Jahre 2027(!!!) um 68 bis 119 Milliarden Euro höher liegen könnte als ohne TTIP. Die in den Zitaten herausgepickten 119 Milliarden sind also nur im besten in der Studie angenommenen Falle möglich – und wären auch erst zehn Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens in dieser Höhe realisiert. Und zwar insgesamt: Die zusätzlichen Wachstumseffekte „pro Jahr“ wären demnach also erheblich kleiner.
Weil es aber schwierig ist, eine Euro-Angabe in Preisen von übermorgen richtig zu verstehen, raten die Studienautoren ausdrücklich zur Angabe des prozentualen Wertes: Demnach läge das europäische BIP nach zehn Jahren um 0,5 Prozent höher als ohne TTIP. Vereinfacht gesagt betrüge das durch TTIP zusätzlich entstehende BIP-Wachstum vereinfacht nur rund 0,05 Prozentpunkte pro Jahr. Und das wohlgemerkt im besten Fall, den sich die Studienautoren ausgedacht haben.
Wer – wie in vielen der genannten Zitate geschehen – einen möglicherweise nach zehn Jahren erreichten Gesamteffekt als jährliches Zusatzwachstum darstellt, der macht die möglichen Wachstumseffekte um den Faktor 10 größer als in der Originalquelle.
Mehrere Wirtschaftsverbände hatten genau dies ebenfalls getan – nach einer  Aufforderung durch foodwatch korrigierten sie. Auch der CDU-Politiker und Bundestagspräsident Norbert Lammert berichtigte seine Darstellung nach einem
Hinweis von foodwatch.

Weniger Zölle, mehr Investitionen
Zölle und Doppelregulierungen machen den Handel unnötig teuer. Allein die deutsche Autoindustrie muss jedes Jahr eine Milliarde Euro ausgeben, um Autos aus Deutschland in die USA exportieren zu können. Bei einem täglichen Handelsvolumen von rund zwei Milliarden Euro würde der Wegfall der Zölle können Unternehmen mehr Geld in die Forschung stecken.

Anti-TTIP-Demo 8 - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur ZukunftWie? Der Schreiber dieses Textes hat wohl noch nichts von VW gehört, nichts von Siemens, nichts von der Deutschen Bank, die eben 6 Mrd. Verlust wegen Missmanagements macht. Das sind die eigentlichen Kostenfaktoren. Dass er insgesamt von seinem Text nicht überzeugt war, zeigt eine kurze Überprüfung des wirren Satzes: „Bei einem täglichen Handelsvolumen von rund zwei Milliarden Euro würde der Wegfall der Zölle können Unternehmen mehr Geld in die Forschung stecken.“ Wie?

Weniger Handelsbarrieren und Bürokratie, niedrigere Kosten Kfz-Blinker sind in den USA rot, in der EU orangefarben. Bei gegenseitiger Anerkennung der Normen bräuchten die Autohersteller keine unterschiedlichen Varianten herzustellen. Allein der bürokratische Aufwand verteuert die Waren im Schnitt um 10 bis 20 Prozent: Kosmetik um 35, Autos um 26 und Nahrungsmitteln und Getränke sogar um 57 Prozent. Einheitliche Regelungen und Vorschriften bringen echte Einsparungen für Unternehmen und Verbraucher.

„Nahrungsmitteln„? So ganz sorgfältig scheint die Bundesregierung mit ihrer Anti-Demo-Argumenten-Sammlung nicht umzugehen. Der bürokratische Aufwand, sagen seriöse Kritiker, wird mitnichten abnehmen.

Größere Produktvielfalt – günstigere Preise
Ein Freihandelsabkommen hätte zur Folge: größere Auswahl für die Europäer, günstigere Preise für Produkte „Made in USA“. Zum Beispiel sind Autos aus US-Produktion derzeit in der EU erheblich teurer als in den USA. Auch Lebensmittel würden günstiger werden.

CIMG3721Jawohl: Wir brauchen statt einer Auswahl aus 235 verschiedenen Kaffeemaschinen dringen 540! Und wer will überhaupt Produkte aus den USA? Eine verschwindend geringe Minderheit. Niemand, wirklich niemand, der Ahnung hat, oder schon einmal in den USA war, würde einem europäischen Konsumenten Autos aus den USA empfehlen, noch weniger Lebensmittel. Eine absurde Argumentation.

Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutzstandards bleiben erhalten. Niemand muss Angst vor TTIP haben. Sowohl in der EU als auch in den USA gelten sehr hohe Sicherheitsstandards für Lebensmittel, Medikamente und andere Waren. Unternehmen haften, wenn ihr Produkt einen Schaden verursacht.

Diese Behauptung entbehrt jeden Beweises. Die Standards werden sinken, sagen selbst Mitglieder der Koalitionsparteien. Der Schreiber hat offensichtlich kaum Ahnung von den „Sicherheitsstandards für Lebensmittel, Medikamente und anderen Waren“ – diese sind extrem unterschiedlich zwischen EU und USA. Wie diese Unternehmenshaftung aussieht, hat der Contergan-Skandal schlagend bewiesen und wird der VW-Abgas-Skandal erneut unter Beweis stellen.

Es gibt jedoch unterschiedliche Wege beim Risikomanagement. Wegen dieser Unterschiede behält auch mit einem Freihandelsabkommen jedes Land die Möglichkeit, seine jeweilige Risikobewertung und seine Sicherheitsstandards beizubehalten. Auch die Sozial- und Gesundheitssysteme sind nicht betroffen. Gleiches gilt für das deutsche und europäische Arbeitsrecht.

Falsch.

Häufig gestellte Fragen
Was ist mit Chlorhuhn und Hormonfleisch? TTIP wird weder die Einfuhr von Chlorhuhn noch von Hormonfleisch erlauben. Geflügel- und Fleischimporte müssen den strengen europäischen Vorschriften entsprechen.

Anti-TTIP-Demo 3 - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur ZukunftWer Pappkameraden aufstellt und sie rhetorisch abschießt, muss harte Gegenrede aushalten: Die „strengen europäischen Vorschriften“ sind längst auf dem Weg der Aufweichung; die US-Seite besteht auf der Absenkung europäischer Standards auf ihr Niveau – das ist mit ein Grund, warum inzwischen kein MdB mehr Einsicht in die Dokumente nehmen darf (was insgeheim auch Minister Gabriel aufregt), oder nur nach absurden bürokratischen Quisquilien. Mangelhafte Transparenz erzeugt aber Misstrauen – zu Recht.

Wird die EU gezwungen, gentechnisch veränderte Nahrungsmittel einzuführen? Nein. Gentechnisch behandelte Lebensmittel unterliegen schon heute in der EU einer Zulassungs- und Kennzeichnungspflicht. Auch das wird sich nicht ändern.

Abwarten – das ist noch nicht zu Ende verhandelt. Eine solche Aussage ist vorerst reine Spekulation und daher unseriös. Der Schreiber verschweigt (er weiß es wohl nicht besser): Mit gentechnisch veränderten Substanzen behandelte oder produzierte US-Lebensmittel (etwa mit Gen-Mais gefütterte Tiere) unterliegen keiner Kennzeichnungspflicht.

Sind EU-Normen zum Schutz der Verbraucher in Gefahr? Nein. Das Schutzniveau in der EU steht nicht zur Debatte. Aber in vielen Bereichen liegen die USA vorne. Das gilt etwa für die Verarbeitung von Fleischerzeugnissen und deren gesamte Lieferkette sowie den Einsatz von Antibiotika in der Biofleisch-Produktion. Ebenso bei Pharmazeutika und Elektrogeräten. Die Idee ist, Standards und Zertifizierungsverfahren bei gleich hohem Schutzniveau gegenseitig anzuerkennen und für neue Technologien die Standards gemeinsam zu entwickeln.

Eine „Idee“ mag ja gut sein – nur: schon bei Plato existierten die Ideen in einem eigenen Reich, nicht in der Realität.

Was ist mit dem Schutz geographischer Herkunftsangaben? Durch das Abkommen bleibt auch der Schutz solcher Angaben – wie etwa für den Schwarzwälder Schinken – in der EU erhalten. Ziel ist es, den europäischen Schutz von Herkunftsangaben sogar auf den amerikanischen Markt auszudehnen.

Dieses Ziel werden EU und USA gemeinsam aus den Augen zu verlieren wissen – nur unser Schreiber schreibt es noch ab.

Was ist mit dem umstrittenen Investorenschutz? Allein Deutschland unterhält bereits über 130 Investorenschutzabkommen. Die meisten sehen vor, dass Investoren bei Rechtsverletzungen Schiedsgerichte anrufen können. Hier strebt die Bundesregierung an, dass nationale Gerichte durch TTIP nicht ausgehebelt werden können.

Anti-TTIP-Demo 13 - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft_20151010_131223„…strebt an…“: Und was, wenn dieses Streben fruchtlos bleibt – was hohe Wahrscheinlichkeit hat? Das „…strebt an…“ schrammt nicht einmal die Bordsteinkante eines Arguments. Eine Zumutung an denkende Zeitgenossen. Egal, ob die Schiedsgerichte in TTIP kommen oder nicht (und Unternehmen dann sogar erwartete entgangene Gewinne einklagen können): In CETA stehen sie drin, und 80 Prozent aller US-Firmen haben Filialen in Kanada – können also über CETA die gleichen Klagen führen, im Geheimen und ohne Revisionsmöglichkeiten. Denn die Vertragsparteien unterwerfen sich von vorneherein den Schiedssprüchen und schließen eine zweite Instanz ebenso aus wie öffentliche Kontrolle.
Ein schlagendes Beispiel ist die Vattenfall-Klage über 3,7 Milliarden Euro gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der Abschaltung der beiden Atommeiler Krümmel und Brunsbüttel, nicht nur vor einem deutschen Gericht, sondern auch vor dem International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) der Weltbank. Auf deren Webseite heißt es wiederholt: “The Tribunal issues Procedural Order No. X concerning the confidentiality of documents.” Nichts dringt nach außen. Die Unterlagen sind so geheim, dass sie nur in der Geheimschutzstelle des Bundestags eingesehen werden können – und selbst das nur unvollkommen, wie Insider bestätigen. (Siehe: solarify.eu/vattenfall-stiehlt-sich-aus-den-atom-kulissen)

Welche Macht bekommen Schiedsgerichte? Wir werden dafür sorgen, dass bei Streitigkeiten über den Freihandel keine privaten Schiedsgerichte in Geheimverhandlungen entscheiden. Aber zu einem modernen Freihandel gehört, dass Streitigkeiten vor ordentlichen Gerichten oder in öffentlich-rechtlichen Schiedsverfahren geklärt werden. Mit Berufsrichtern statt teuren privaten Anwaltskanzleien, mit Berufungsinstanzen statt „schnellen Prozessen“ und am besten mit echten Handelsgerichtshöfen statt Schiedsgerichten der Privatwirtschaft.

Dies bedeutet, dass TTIP scheitert – aber das wollen doch weder EU noch die Regierung…! „Wir werden dafür sorgen…“ macht die Rechnung ohne die Wirte EU und USA. Die Formulierung „am besten mit…“ entlarvt den Text als reines Wunschdenken.

Was wird aus der bisher selbstständigen Daseinsvorsorge der Kommunen? Es wird auch keinen Zwang geben, öffentliche Dienstleistungen der Daseinsvorsorge zu privatisieren. Im Gegenteil: Dort, wo deutsche Städte die Wasser- oder Abwasserbeseitigung, die Krankenhausversorgung oder die Kindergärten privatisiert haben, können sie das jederzeit rückgängig machen. Öffentliche Auftraggeber dürfen ihre Vergabekriterien auch künftig selbst bestimmen. Soziale und ökologische Gesichtspunkte dürfen weiterhin Kriterien bei öffentlichen Ausschreibungen sein.

Anti-TTIP-Demo 14 - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft_20151010_131223Aussagen, die in die Zukunft gerichtet sind, sind schon deshalb seit Menschengedenken unsicher.

Ist die kulturelle Vielfalt in Gefahr? Der Schutz und die Förderung kultureller Vielfalt, von Medienfreiheit und Medienvielfalt sind unverzichtbare Teile des deutschen und europäischen Selbstverständnisses. Weder die Buchpreisbindung noch die öffentliche Förderung von Kultureinrichtungen geraten in Gefahr.

Kultur-Fachleute wie Akademie-Präsident a.D. Klaus Staeck (im TTIP-Beirat des BMWi) sehen das exakt gegensätzlich.

Werden nationale Parlamente bei der Gesetzgebung übergangen? Nein. Die Zuständigkeit der nationalen Parlamente bleibt unangetastet. Ein Regulierungsgremium von EU und USA soll die Zusammenarbeit zwischen den Partnern organisieren und überprüfen, ob die Vereinbarungen eingehalten werden.

Der Bundestag versucht wacker, endgültig über TTIP mit abstimmen zu können. Wenn die EU-Kommission das aber zuließe, könnte sie TTIP schon heute komplett abschreiben – das will sie aber bekanntermaßen  nicht. Eine Frage der Logik. In den Niederlanden bereitet ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen Referenden gegen TTIP und CETA vor. (siehe foodwatch.org und ttip-referendum.nl)

Ist die öffentliche Daseinsvorsorge in Gefahr? Nein, auch die kommunale Daseinsvorsorge ist nicht betroffen. Keine Kommune kann zum Beispiel zu Privatisierungen gezwungen werden.

Abwarten…

Warum wird nicht alles veröffentlicht? Für erfolgreiche Verhandlungen ist eine gewisse Vertraulichkeit notwendig. Die Veröffentlichung von Verhandlungsstrategien und Rückfallpositionen würde deutschen und europäischen Interessen schaden. Vertreter der EU-Staaten und des Handelsausschusses des EU-Parlaments können sich aber vorab über die europäischen Verhandlungsdokumente informieren. Auch Vertreter von Industrie und Zivilgesellschaft erhalten Einblick in Dokumente.

Das ist eine schlichte Lüge und wirft ein grelles Licht auf den gesamten Argumentationsversuch: Bundestagsabgeordneten bleibt nämlich der Zugang zu aktuellen TTIP-Verhandlungsdokumenten verwehrt – entgegen anders lautenden Berichten. Bundestagspräsident Lammert (CDU) und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker waren sich einig gewesen, dass Mitgliedern nationaler Parlamente ein uneingeschränkter Zugang zu den TTIP-Protokollen zusteht. Doch diesem Konsens folgen bisher keine Taten. Das Protokoll der letzten Verhandlungsrunde bleibt im Brüsseler Leseraum der Europäischen Kommission verschlossen. Die nationalen Parlamente können nur aus Briefings beteiligter Beamter erfahren, was zuletzt verhandelt wurde. (Quelle: blog.ethisch-oekologisches-rating.org/ttip-immer-noch-tabu-fuer-mdb)

->Quellen und mehr:

Das Verhandlungsmandat
deutsch: http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-11103-2013-DCL-1/de/pdf
TTIP-Leak
Anfang März 2014 veröffentlichten drei Europaabgeordnete von den Grünen vertrauliche Papiere. Sie sind hier nachzulesen: ttip-leak.eu
Internetseiten der Europäischen Kommission:
http://ec.europa.eu/deutschland/service/ttip_de.htm
http://ec.europa.eu/trade/policy/in-focus/ttip/index_de.htm
Internetseiten der Bundesregierung:
http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Themen/Freihandelsabkommen/_node.htm
Internetseiten des Bundeslandwirtschaftsministeriums:
Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt wird aktuell oft zitiert mit seinen Warnungen, dass TTIP zu Konsequenzen bei Lebensmittelstandards führen wird. In Sachen Verbraucherschutz und Landwirtschaft informiert er hier:
http://www.bmel.de/DE/Landwirtschaft/Markt-Handel-Export/_Texte/TTIP.html
Internetseiten des Bundeswirtschaftsministeriums:
http://www.bmwi.de/DE/Themen/Aussenwirtschaft/ttip.html
Stellungnahme der Staatsministerin für Kultur:
Die Forderung nach mehr Schutz für die Kultur seitens der Staatsministerin für Kultur und Medien im Bundeskanzleramt, Monika Grütters, ist hier nachzulesen:
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Pressemitteilungen/BPA/2014/07/2014-07-03-bkm-gucht-ttip.html?nn=443686
Internetseite der US-amerikanischen Botschaft:
Die amerikanische Botschaft in Berlin hat auf Ihren Internet Seiten unter der Überschrift TTIP – Irrtümer und Fakten – ihre Sicht der Dinge aufgelistet
http://german.germany.usembassy.gov/ttip/
Verbraucherzentrale Bundesverband
Fragen und Antworten
Position des Deutschen Gewerkschaftsbundes:
http://www.dgb.de/themen/++co++eb3790ee-0b3a-11e4-959e-52540023ef1a
Position von ver.di:
http://www.verdi.de/themen/internationales/++co++ee801132-08d7-11e4-8a3b-52540059119e
https://publik.verdi.de/2014/ausgabe-05/gewerkschaft/brennpunkt/seite-3/A0
Position des Deutschen Industrie- und Handelskammertages:
Der DIHK empfiehlt das Abkommen insbesondere für Unternehmen als gute Sache:
http://www.dihk.de/themenfelder/international/aussenwirtschaftspolitik-recht/handelspolitik/ttip/
Kritische Auseinandersetzung von TTIPunfairhandelbar:
http://www.ttip-unfairhandelbar.de/
und von ATTAC:
http://www.attac.de/ttip
und vom Bündnis Campact
https://www.campact.de/ttip/

Über den Autor:

Gerhard Hofmann

Gerhard Hofmann

Dr. Hofmann war bis 2008 TV-Redakteur, u.a. ARD-Korrespondent Südamerika und Chefreporter SWF, Chefkorrespondent n-tv und RTL. Als Chef der Agentur Zukunft, berät im Bereich der erneuerbaren Energien und Nachhaltigen Entwicklung, u.a. die Desertec Initiative Dii, das IASS Potsdam, acatech und die ...