Alternativen zum Wachstum als Leitbild der Kommunikation – eine Tagung der Evangelischen Akademie zu Berlin
Die Menschen verändern den Planeten in einem nicht gekannten Ausmaß, so dass von einem neuen Erdzeitalter – dem Anthropozän – gesprochen wird. Zugleich erreichen uns paradoxe Bilder: Einerseits vertreten viele Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik die Vision eines linearen Fortschritts. Andererseits erreichen uns Bilder rauchender Regionen, öder Ökosysteme und uns unbekannter, aber bereits weggestorbener Arten. Bilder und Hinweise auf Problemlösungen, auf Handlungspotenziale in Richtung einer „Großen Transformation“, um der Verantwortung im Anthropozän gerecht zu werden, sind angesichts dessen selten. Eine Tagung*) in der Evangelischen Akademie zu Berlin untersuchte am 10. und 11.07.2017 Bedingungen und Ursachen entlang der Frage: „Wie kommuniziert man die Wende, das Neue Anthropozän?“
Die Tagung thematisierte die Rolle der Medien im anstehenden Transformationsprozess, ihr Versagen bei der Darstellung komplexer Sachverhalte und fragte, wie alternative gesellschaftliche Leitideen initiiert werden, die von einem anderen Fortschritt erzählen.
*) in der Tagungsstätte Schwanenwerder der Evangelischen Akademie zu Berlin, konzipiert vom Forschungszentrum für Umweltpolitik der FU Berlin (FFU), dem Wissenschaftsjournalisten Manfred Ronzheimer und unterstützt von BUND, BMUB und UBA.
Akademie-Direktor Michael Hartmann ging in seiner Eröffnung auf den Titel der Tagung Die „Frage der Alternativen zum Wachstum als Leitbild der Kommunikation“ ein – man könne auch „Narrativ“ sagen oder „Mythos der Wachstumsgesellschaft“. Der sei allerdings inzwischen „zu einer dreckigen Shortstory verkommen“. Einige Chaoten beim Hamburger Gipfel hätten auf die Frage, was sie denn wollten, „China vor 76“ gesagt – und Zustände vor der Kulturrevolution gemeint. Unter anderem um solche Verirrungen zu verhindern, müssten wir aktiv werden.
Roland Zieschank vom FFU wies in seiner Eröffnungsansprache darauf hin, dass zwischen 2009 und 2016 für weltweite Ankurbelung der Wirtschaft 23 Billionen US-Dollar (davon neun allein von China) ausgegeben worden seien. Die G20-Beschlüsse führen im gleichen Fahrwasser. Als schlagende Beispiele für die ökologischen Implikationen führte er den Drei-Schluchten-Damm in China und ein Zitat des Unternehmens Statoil an, eine „Entkoppelung von Energieverbrauch und Wirtschaftswachstum könnte nicht möglich sein“. Paul Crutzen habe schon 2011 gesagt: „Das Konzept des Anthropozäns stellt erstmals die Menschheit völlig in das Zentrum der weiteren planetaren Evolution, als die zentrale Kraft.“ In diesem Zusammenhang zitierte Zieschank aus einer Rede von Ex-Bundespräsident Horst Köhler zum 25jährigen Bestehen der Deutschen Bundesstiftung Umwelt in Berlin 2016, der damals Kohleausstieg, Abschied von Verbrennungsmotor und Fleischkonsum gefordert habe.
Im Folgenden erläuterte Roland Zieschank, dass als Antwort auf ein Überschreiten der ökologischen Grenzen des Planeten eine „Große Transformation“ notwendig wird. So etwas ist schwer zu kommunizieren, aber es gibt es einige exemplarische, gute Beispiele: Die Natural Capital Coalition hat zwei Jahre lang an einem Rahmenwerk gearbeitet, das den Unternehmen hilft, ihren Umweltverbrauch wie auch ihre Umweltbelastungen systematisch zu erfassen (Anm.: seit dem 13.07.2017 online).
Laut Zieschank sind weitere Lösungsvorschläge:
- Neue Schiffsantriebe (auf Flüssiggas-Basis)
- Kläranlagen der Zukunft (Biobrennstoffzellen liefern sauberes Wasser und Energie
- Mindestgröße bei der Tierhaltung
- Verknüpfung der Verkehrswende mit der Energiewende (Mobilität als Funktion, anstatt Pkw als Besitz)
- Günstig: Nichts tun. Verzicht auf Erweiterungsinvestitionen
„Der Wissenschaft kommt eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung einer nachhaltigen Entwicklung zu,“ habe Kanzleramtschef Peter Altmaier im BMBF-Forum für Nachhaltigkeit 2017 konstatiert. Hierin liegt dann aber eine Herausforderung: Denn viele Ergebnisse der Umweltforschung lägrn zwar vor, aber seien in der Gesellschaft zu wenig bekannt und würden nicht auf ihren Beitrag zur Lösung von Umwelt- und auch sozialen Problemen hin diskutiert. Dies liege auch an einem Strukturwandel der Medien, der es erschwert, komplexere Zusammenhänge überhaupt darzulegen. Im Ergebnis könne es sogar zu einer Entkopplung von Wissenschaft und Kommunikation kommen. Die Tagung befasst sich deshalb mit der Frage: Wer kommuniziert überhaupt „Die Große Transformation“, und ist dies besser mit oder ohne die Medien zu bewerkstelligen?
Ferdinand Knauß: Wachstum über alles – Zur Etablierung eines Paradigmas durch die Medien
Knauß, Redakteur der Wirtschaftswoche in Düsseldorf, untersuchte den Begriff „Wachstum“, woher er kam, warum er unbefragt heute noch gemeinhin als Richtschnur für den Wirtschaftsjournalismus gilt. „Alle, vor allem Wirtschaftsjournalisten, halten Wachstum für das Wesentliche – wie kam es dazu?“ fragte Knauß und nannte als „tieferen Grund die historische Blindheit des Wirtschaftsjournalismus nicht nur gegenüber der Geschichte sondern auch gegenüber der historischen Bedingtheit der eigenen Überzeugung.“ In Wirtschaftslexika fehle jede historische Einordnung des Wachstumsbegriffs. Wenn es ein Bewusstsein dafür gäbe, dass Wirtschaftswachstum ein geschichtlich bedingtes Phänomen sei, dann sei das gleichzeitig eine Voraussetzung dafür, sich davon zu verabschieden.
Knauß hat die journalistische Vor- und Frühgeschichte des Wachstumsbegriffs anhand der Vossischen Zeitung untersucht (damals kam Wachstum noch kaum als häufiger Begriff vor – die Vorstellung einer stetigen Zunahme war nämlich noch kaum verbreitet) – danach erst kam die „lange Gegenwart des Wachstums-Paradigmas“. 1925 habe Ernst Wagemann in Berlin das Institut für Konjunkturforschung (IfK – Vorläufer des heutigen DIW) gegründet, fortan sei in der Vossischen Zeitung die Rede von Wachstum gewesen, meist kombiniert mit „natürlich“ oder „gesund“, aber fast immer im Zusammenhang mit dem IfK. Erst die Statistik mit seriösen Daten machte modernen Wirtschaftsjournalismus möglich. Die USA hatten schon in den 20er Jahren eine Vorbildsituation, dort wurde damals auch der Begriff BIP erfunden.
In den 50er Jahren begann laut Knauß die steile Zunahme der Verwendung des Begriffes Wachstum. In der FAZ (etwa durch Erich Welter), etwas verspätet auch in der ZEIT und vor allem im Spiegel. Knauß wörtlich: „Die FAZ wurde zur Unterstützung der Wirtschaftspolitik Erhards gegründet“. Sie sei zur neuen „mächtigen Zahl“ geworden – erfunden in Großbritannien, sei sie dann nach 1945 in die USA exportiert worden und von dort in den Rest der Welt. Von den Journalisten sei sie sofort angenommen worden, keiner habe je über diesen Prozess geschrieben. Die Zahl war d i e entscheidende Größe zur Benennung.
Die OECC (heute OECD) habe dann mit einer schlagkräftigen Presseabteilung die entscheidende Rolle gespielt. Die Wirtschaftsinstitute seien gegründet worden, der nie versiegende Datenquell stehe seitdem den Journalisten zur Verfügung, dahinter das Bewusstsein der großen Krise in den 30er Jahren als großer Katastrophe. Es habe kaum Kritik gegeben, höchstens kulturkritisch. In den 60er Jahren habe es nur ein Thema gegeben: Wachstumstheorie – und Bewunderung für Karl Schiller als Garant stetigen Wachstums, zunächst vom Spiegel als „Supernova der Politik“ gefeiert, „später fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel“.
Entscheidender Sieg sei dann das Stabilitätsgesetz 1967 gewesen – aus Wachstumsförderung sei ein Politikziel geworden – eine ökonomistische Selbstfesselung der Politik. 1972 erschienen dann zwar die „Grenzen des Wachstums“, die Studie habe einen unglaublichen Einfluss gehabt, sei viel diskutiert worden – mit unterschiedlichsten Reaktionen: der Spiegel schrieb zum Beispiel: „Mode, keine Substanz“ – die zentrale Botschaft sei aber stattdessen geworden: „Gerade um den Umweltschutz zu finanzieren, brauchen wir Wachstum. Beim Weltwirtschaftsgipfel 1978 in Bonn drehte sich dann alles um die Frage, wie man das Wirtschaftswachstum wieder ankurbeln könne. Alle Journalisten fanden das gut. Keiner kam auf die Idee, dass die zentrale Frage der Grenzen des Wachstums jetzt ignoriert wurde“. Fack (FAZ): „Unheilspropheten“, Stolte (ZEIT) war der gleichen Meinung. Ökonomen hätten den Angriff der Zweifler mit Hilfe der Wirtschaftsjournalisten abgeschmettert. Mit dem Scheitern des Club of Rome habe dann die lange Dauer des Wachstumsparadigmas begonnen. Grenzenloses Vertrauen in die endlose Erneuerungsfähigkeit des Menschen werde heute noch unentwegt bestärkt.
Heute sei das Narrativ der „Einwanderer als Wachstumsretter“ in vielen Wirtschaftsteilen präsent, eine alte Gläubigkeit gegenüber dem Expertenanspruch der Wirtschaftswissenschaft; „Karls Jaspers würde wohl von Wissenschaftsaberglauben sprechen“. Der Wirtschaftsjournalismus müsse die Gefolgschaft aufkündigen, die Krise von 2007 wäre Anlass genug. Die Gläubigkeit sei zwar im Abnehmen, aber man habe keine Alternative. Nach wie vor seien die Wirtschaftsjournalisten auf den Datenfluss aus den Instituten angewiesen. Empfehlung: kritische Distanz, „Feuilletonisierung“ der Wirtschaftsberichterstattung wäre hilfreich.
Der Nationale Wohlfahrtsindex (NWI): Resonanz und Ignoranz – Roland Zieschank
Roland Zieschank, FFU-Projektleiter und Mitveranstalter der Tagung, berichtete, dass die Entwicklung einer anderen Sicht auf das Wirtschaftswachstum 2007 im Projekt mit den Indikatoren der NNHS (Nationale Nachhaltigkeits-Strategie) begonnen habe. Ursache dafür waren fehlende oder falsche Bilanzierungen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung beim BIP – so werden z.B. Umweltfolgen nicht berechnet, ebenso wenig die Verteilung des BIP, defensive Kosten sind wohlstandssteigernd (mehr Autounfälle verursachen Wirtschaftswachstum) – dazu kommt Naturvergessenheit und soziale Gleichgültigkeit des BIP. Das BMUB habe 2016 „Bauernregeln“ aufgestellt, wie z.B. die Bauernregel 3: „Zu viel Dünger auf dem Feld, geht erst ins Wasser, dann ins Geld“ – leider seien die dann wieder zurückgezogen worden. Dieser kurze Merksatz illustriere aber gut, dass erstens Boden- und Gewässerverschmutzungen eigentlich kein Thema der BIP-Bilanzierung seien und dieser Vorgang nur dann eine Rolle spielt, wenn die Trinkwasserpreise steigen. Dann aber als positiver Beitrag zur BIP-Steigerung.
Voraussetzung für die neuen Indikatoren des Nationalen Wohlfahrtsindexes sei die „Dekonstruktion des Leitbildes quantitativen Wachstums“ gewesen – im Kontext des Nachhaltigkeitsziels. Der NWI sei ein „Informationsinstrument für Politik und Gesellschaft“ – aber auch ein Kommunikationsinstrument. Dessen ungeachtet habe man Erfahrungen mit Resonanz und Ignoranz machen müssen. Folgen der Dekonstruktion: Geringere soziale Erosion und Degradierung der Natur, sowie Investitionen in die Erhaltung von Human- und Naturkapital.
Die Berechnung des BIP lasse erkennen, dass in die gängige Statistik im Ergebnis Ausgaben einflössen, die gerade nicht wohlfahrtssteigernd seien, wie die Folgekosten des Alkohol-, Tabak und Drogenmissbrauchs. Drogenmissbrauch z.B. schädige die Wirtschaft um 65 Mrd. Euro – und ist mitnichten wohlstandsfördernd. Der neue Wohlstandsindex biete, verglichen mit dem BIP – die bessere Berechnung des volkswirtschaftlichen Wachstums.
Die Mainstream-These lautet immer noch: „Wirtschaftswachstum als Grundlage für Wohlstand und Zufriedenheit“ – die Gegenthese: „Wohlstand ist umfassender, zuzüglich sozialer Reichtum, sogenanntes ‚Sozialkapital‘, zuzüglich ökologischer Reichtum, sogenanntes ‚Naturkapital'“ – allerdings sei dieser umfassendere Reichtum bedroht von „Gefährdung und Degradierung“.
Die Diskrepanz zwischen den Kurven von BIP und NWI belege, dass „illusionärer Wohlstand“ entstehe. Daher müsse die Frage gestellt werden, welche Ziele und Wege verfolgt werden sollten – in der Folge müsse in Alternativen eingestiegen werden, als da wären: Sozialere Einkommensverteilung, ökologische Transformation in Richtung „Green Economy“, kulturelle Transformation: Status von materiellen Gütern – schließlich Prüfung von Suffizienzstrategien.
Insofern müsse das klare Leitmotiv „gesellschaftliche Wohlfahrt“ sein – ein Nationaler Wohlfahrtsindex (NWI), der über die bloße Wertschöpfung hinaus z.B. ökologische oder soziale Folgen berücksichtigt. Der NWI biete ein Modell mit Annahmen darüber, welche Faktoren die Wohlfahrt steigern und welche nicht: Es würden 20 ökonomische, ökologische und soziale Komponenten erfasst. Inzwischen liegt er für mehrere Bundesländer vor: Schleswig-Holstein, Bayern, Thüringen, Sachsen, Rheinland-Pfalz, Hamburg und Nordrhein-Westfalen.
Klares Leitmotiv des NWI sei die gesellschaftliche Wohlfahrt. Eine Indikatoren-Diskussion führe aber immer auch zu Zieldiskussionen. Nötig sei ein Entwicklungsvergleich BIP-NWI als empirische Basis für gesellschaftlichen Diskurs, dabei ermöglicht der NWI mit seinen Teilkomponenten auch eine entsprechende Fokussierung und Legitimation neuer politischer Programme. Die Effekte veränderter politischer Strategien könnten mit dem NWI dokumentiert werden und auch in Zeiten wirtschaftlicher Schwäche sei eine positive Bilanzierung möglich. Schließlich seien internationale Konzepte für regionale Strategien nutzbar.
Zieschank berichtete dann über Erfahrungen und Resonanz der NWI-Diskussion: Er sei immerhin in das Umweltprogramm 2030 des BMUB aufgenommen worden – ebenso in in „Daten zur Umwelt“ des UBA 2017. Der NWI habe den medialen Untergang der Enquête-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ als Index überlebt und offizielle Veröffentlichungen auf Bund-Länder-Ebene ausgelöst, wenn auch die weitere Arbeit mit Konfliktfeldern und sich ständig verändernden Interessenkonstellationen verbunden ist..
Erfahrungen – Befürchtungen: Auf der ministerialen Ebene (Wirtschaft, Finanzen, Landwirtschaft) halte sich Widerstand gegen den NWI, indem er nicht in die Fortschrittsberichte der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie aufgenommen werde. Dazu kämen Bedenken der großen Wirtschaftsforschungsinstitute, schließlich die Angst der Verantwortlichen vor der entstehenden Situation; daher wollten sie am liebsten die Ergebnisse schon vor der Bilanzierung, um sich vorab darauf einstellen zu können. Regierungsparteien erwarteten/erhofften sich als Ergebnisse eine Entwicklung nach oben, Oppositionsparteien möglichst eine solche nach unten. Zieschanks „Fazit 1“: „Der NWI ist insgesamt der bekannteste unbeliebte Index jenseits des BIP in Deutschland“.
Schließlich zitierte Zieschank als „Fazit 2″unter der Überschrift „Paradise Lost“ aus der Bertelsmann-Untersuchung „Wirtschaft im Wandel“ von 2016: „Über Jahrzehnte bot sie (die soziale Marktwirtschaft) Wirtschaft und Gesellschaft ein verlässliches Leitbild – doch das droht verloren zu gehen. Der Bundesrepublik
kommt die gemeinsame Erzählung abhanden.“
Kai Niebert: Große Transformation – wie wird sie in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft kommuniziert?
Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings und Professor an der Universität Zürich begann mit zwei Erkenntnissen:
- das Anthropozän als neue Erdepoche – wir Menschen hätten die Erde völlig verändert
- neue internationale Übereinkommen, von den Regierungen unterzeichnet: jetzt müssten wir die Glaubwürdigkeits- und Vollzugsdefizite anprangern
„Öko-Schul-Programme beeinflussen nicht die Einstellungen und Tagesabläufe von Schülern„, zitiert Niebert die Ergebnisse einer nicht näher spezifizierten Untersuchung. Zehn Jahre Nationale Biodiversitätsstrategie seien ohne Erfolg geblieben – dabei sei doch die offiziell erwartete Reaktion: mehr Umwelt- und Naturbewusstsein! Sehr aufschlussreich ein Vergleich von bürgerlichem Mainstream, kritisch-kreativem Milieu und prekären Milieus:
Der bürgerliche Mainstream habe unterdurchschnittliche Umwelteinstellungen und überdurchschnittlichen Ressourcen- und Energiekonsum – kritisch-kreative Milieus dagegen hätten sehr positive Umwelteinstellungen, aber extremen Ressourcen- und Energiekonsum; prekäre Milieus dagegen sehr schlechte Umwelteinstellungen, aber sehr geringen Ressourcen- und Energiekonsum.
Am Beispiel des Ozonlochs („FCKW hat eine stärkere Lobby als CO2„) zeigte Niebert, dass politische Entscheidungen notwendig sind – der „mündige Bürger“ könne nämlich rechnen – wenn Fliegen billiger sei als Zugfahren, fliege er nämlich. „Wir könnten heute den gesamten ÖPNV kostenlos machen“, dann, wenn wir jährlich 5 Mrd. Pendlerpauschale streichen würden – das hätte riesige Lenkungswirkung für die Mobilität. Die Geschichten vom Siebenmeilenstiefel, Tischleindeckdich und Goldesel seien Ausdruck eines kulturellen Bedürfnisses: Grenzenlose Mobilität, immer Nahrung und unendlich viel Geld. „Die Siebenmeilenstiefel heißen heute Ryan-Air“. Weiteres Beispiel: „261 Sorten Deodorants versprechen 96 Stunden Geruchsfreiheit – das ist völlig sinnlos – wer von Ihnen hat denn vier Tage nicht geduscht? – aber das ‚Mehr‘, ‚Höher‘ oder ‚Schneller‘ muss einfach besser sein…“
Aufklärung allein reiche nicht. Die Menschen machten bei persönlichen Entscheidungen weniger Gebrauch von wissenschaftlichen oder expliziten Kenntnissen als von ihrem Bauchgefühl. Wie aber dann Botschaften formulieren? „Wir wissen viel davon, was 2050 nicht mehr geht, aber wir müssen mehr darüber reden, was geht. Welche Botschaften vermitteln?“
- Von „Kohleausstieg“ zu „sauberer Energie“ – Verneinungen verstärken. Selbst „Erneuerbare Energien“ sind ambivalent besetzt.
- „Ökosteuer“ hat einmal funktioniert, kriegt man aber nicht rüber – „Verschmutzungsabgabe“ wäre besser.
- Von „Dekarbonisierung“ hin zu“Erneuerung der Infrastruktur“
Was kosten die Entscheidungen die dafür nötig sind? Man muss über ein Infrastruktur-Erneuerungspaket reden.
Und was ist nun die kommunikative Alternative zum Wachstum? Von „Degrowth“ hin zu „Deutschland ist erwachsen“ – das wäre ein ganz anderes Bild. Umweltorganisationen hätten einen riesigen Fehler begangen: Nachhaltigkeit als Gleichgewicht zwischen ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit. Kein Gegeneinander von Schnittmengen, sondern konzentrische Kreise [der Doughnut]. Ebenso die SDGs konzentrisch anordnen! Und: Ziele immer wieder auf Kohärenz prüfen!
Wachstum im Wandel – Erfahrungen mit der Kommunikation integrierter
Nachhaltigkeitspolitik in Österreich, Elisabeth Freytag-Rigler, Ministerium für ein lebenswertes Österreich, Wien
Der Untertitel „Diskurse über Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität“ erinnerte an eine Enquete-Kommission des Bundestages. „‚Wachstum im Wandel‘ ist eine Initiative, die Menschen aus Institutionen, Organisationen und Unternehmen einlädt, sich mit Fragen zu Diskursen über Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität auseinanderzusetzen. Wir sind keine Degrowth-Initiative, wenden uns aber gegen Wachstum als Ziel.“ Inzwischen ist die Initiative auf europäischer Ebene angekommen, wo Freytag-Rigler in vielen Gruppierungen und auf vielen Ebenen mitarbeitet. Herz der Initiative sind Konferenzen, aber auch Zukunftsdossiers, Bücher. „Workshops verkaufen wir für 10.000 Euro – da kann jeder machen, was er will, solange es irgendwie zum Thema passt“. Leider seien die personellen und finanziellen Ressourcen begrenzt.
Ziele („mit Verzicht werden wir nichts erreichen“) seien „Erfüllendes Leben, Menschenrechte, Frieden, Gesundheit, Empowerment, kulturelle Diversivität, persönliche Entwicklung, Respekt, benutzen, teilen oder besitzen“. Höheres Wirtschaftswachstum werde laut einer Umfrage im Rahmen eines Kongresses weder von Experten noch von der Gesamtgesellschaft für besonders wichtig gehalten. Was soll demnach wachsen? Bildung, Mut, Kooperation, Gestaltungsspielräume, Partizipation, Ganzheitlichkeit. Auf die Frage „was soll sterben“? antworteten von 600 Konferenzteilnehmern: Konsumrausch, Ressourcenverbrauch, Gier…
„Wer erzählt die Geschichten zur Großen Transformation? Beispiele aus Politik, Wissenschaft und Medien
Unter der Moderation von Dagmar Dehmer vom Berliner Tagesspiegel hieß am Nachmittag das erste Thema:
„Der gut informierte Bürger“ – Die Umweltbewusstseinsstudie als Spiegel
Darüber sprach Gerd Scholl vom Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), Berlin. Das IÖW hatte eine Fragebogen-Umfrage durchgeführt und kam zu einer ersten Erkenntnis, nämlich, dass Klimaschutz und Umweltbewusstsein in Deutschland krisenfest etabliert seien. Das Bewusstsein dafür sei hoch und globale Umweltrisiken würden sehr ernst genommen. Unterschiede hätten sich aber dann bei Wichtigkeit und Erreichbarkeit von Zielen ergeben: 52 Prozent nähmen Treibhausgasneutralität sehr wichtig, aber nur 3 Prozent hielten sie für durchsetzbar. Die konkreten Beiträge der Akteure zu Umwelt und Klimaschutz seien sehr kritisch beurteilt worden. Auf die Frage, inwieweit Umwelt- und Klimaschutz als wichtige Erfolgsfaktoren für andere Politikfelder beurteilt würden, antworteten viele mit „sehr wichtig“. Dabei empfänden sich sozial Benachteiligte als stärker belastet.
Fazit:
- Umweltbewusstsein weiterhin auf hohem Niveau
- Mehrheit sieht Synergien zwischen Umwelt- und Klimaschutz und anderen politischen Aufgaben
- Aber: noch wird zu wenig für Umwelt- und Klimaschutz getan
- Und: Umwelt und Klimaschutz ist auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit
Torsten Schäfer, Hochschule Darmstadt: „Grüner Journalismus – zum Spannungsfeld – zwischen Neutralität und Transformation
„Grüner Journalismus“ sei ein Projekt der Darmstädter Hochschule, berichtet der Professor, der selbst noch journalistisch tätig ist. Nachhaltigkeit brauche ein doppeltes „l“ wegen des Nachhalls. Schäfer ist für starke Nachhaltigkeit – das sei auch Lebensqualität, letztendlich ein Freiheitsbegriff. Nachhaltigkeit ist für Schäfer eine holistische Dimension, als universeller Wert „tiefgehend eingebunden“ in Märkte und Gesellschaft(en). Auf jeden Fall kein Thema, das in Konkurrenz zu anderen stehe. Der Nachhaltigkeitsbegriff werde sehr technokratisch, „kalt“ diskutiert; Menschen hätten eine grundsätzliche Hinwendung zur Natur. Teilweise entstehe Ablehnung, wenn zu sehr naturaffin argumentiert werde.
Neue journalistische Formen kämen eben auf – vom „Nature Writing“ bis zum Comic-Journalismus. Entscheidend: Wie kommen wir vom Wissen zum Handeln? Allerdings könne Journalismus kaum Verhaltensveränderungen verursachen. Mehrfache Restriktionen der Medien-Unternehmen: Mit weniger Personal und geringeren Mitteln seien mehr Themen fundierter zu behandeln – und dazu noch mit möglichst großem wirtschaftlichen Erfolg. Viele neue Initiativen, vielfach im Internet, machten ihn dennoch optimistisch. Seit kurzem gebe es sogar ein journalistisches Netzwerk Nachhaltigkeit als neue Metaebene.
Petra Pinzler von der Hauptstadtregion der ZEIT sprach über die Frage: „Wie kommt das Anthropozän in die Redaktion?“ Sie kündigte „keinen wissenschaftlichen Vortrag“ an, sondern erzählte aus dem Alltag der Redaktion. Dazu ließ sie die letzten drei Tage Revue passieren: Alle diskutierten über einen möglichen Rücktritt des Hamburger Bürgermeisters, aber niemand über einen nötigen Rücktritt der Bundeskanzlerin, die seit Jahren gegen die Klimaziele der Republik gehandelt habe. Das Problem Anthropozän entziehe sich der üblichen journalistischen Darstellung – und es sei nicht neu. Gelegentlich gebe es Anlässe, das Thema zu „verkaufen“ – Beispiel: die Klage eines peruanischen Bauern gegen RWE wegen deren (Teil-)Verantwortung für den Klimawandel.
„Was ist nachhaltiger Journalismus? Was ist nachhaltiges Handeln?“ Das sei noch nicht ausdiskutiert. Beispiel: Die Finanzkrise, Produkt eines Wirtschaftssystem, das in einer endlichen Welt auf Unendlichkeit, auf ewiges Wachstum, angelegt sei. Die Diskussion sei eher gestorben, weil keiner der Beteiligten einen Weg wisse. Man könne als Journalist nicht Debatten fordern, die nicht stattfänden. Anders die TTIP-Proteste – die hätten große Debatten darüber erzeugt, wie wir (unendlich) Handel treiben wollten in einer endlichen Welt – offen sei geblieben, was wir eigentlich anders machen wollten.
Noch nicht ganz fertig sei die Debatte über die Verkehrswende – die sei wieder angeregt worden durch den Dieselskandal, da habe die zuerst abstrakte Diskussion plötzlich eine ganz konkrete Wende genommen, nämlich, dass man von den Stickoxiden Krebs bekommen kann. Pinzler sei gespannt, ob dieses Problem technisch gelöst werde, oder ob es in der Tat („großer Begriff“) in einer großen Transformation münde: „Ich bin nicht sicher, wie es ausgeht“. Wenn das Thema Anthropozän in die Redaktionen komme, verpuffe es häufig. „Vieles, was wir schreiben, ist halt in den Köpfen unserer Leser, Politiker, Mitbürger noch nicht angekommen. Das „Schneller, Höher, Weiter“ sei noch in zu vielen Köpfen drin.
Die Frage, wie wir mit dem Anthropozän umgingen, „frisst sich in ganz vielen kleinen Artikeln allmählich durch; viele Kollegen ’schnuppern‘ schon dahin. Die vielen Geschichten sind aber noch nicht Ausdruck einer systematischen Grundhaltung. Wir müssen aus den Nischen raus: Es darf keine Geschichte von ein paar grün angehauchten Umweltjournalisten sein. Das Anthropozän muss Problem-Hintergrund für alle Schreibenden sein. Und für die alltägliche Lebenserfahrung der Leser.“
In der politischen Debatte – wie umbauen? Da müsse sie „ganz einfach passen“. Erst wenn das Anthropozän in der Politik selbst angekommen sei, seien wir einen entscheidenden Schritt weiter.
Manfred Ronzheimer: Partizipativer Journalismus – Bürger schreiben über Zukunftsthemen
Ronzheimer ist freier Journalist und schreibt über Wissenchafts- und Umweltthemen. Er fand es wichtig, das zunehmend Kundige, die keine Journalisten sind, über die Themen schreiben, „und die Information etwas breiter machen können“. So könne es zu einer neuen Bewertung von Informationen kommen, die von gesellschaftlicher Relevanz seien. Leider sei eine entsprechende medienkritische Diskussion in Deutschland noch nicht in Gang gekommen. Als Beispiel für neue Gründungen journalistischer Unternehmen nannte Ronzheimer u.a. „correctiv“.
Für das Haus der Zukunft hat er einen Workshop mit 18 Laien durchgeführt, die über das Thema „Citizen Science“ gekommen waren. Die Teilnehmer suchten sich selbst Themen aus, über die sie schreiben wollten, nachdem sie einen Kurz-Crash-Kurs und ein Interview-Training absolviert hatten. Darauf folgten 2-3 Stunden Schreiben unter Anleitung. Schließlich ging es um das Thema „Publzieren in Social Media“. Am Ende wurden die Texte vorgetragen. Entscheidend für Ronzheimer war „weniger der Output, sondern der Mut, überhaupt angetreten zu sein“. Weitere Runden sind geplant. Sein Ausblick auf die Leserbeteiligung: „Wisdom of the Crowd“ und demokratiepolitische Öffentlichkeit schaffen, anstatt in Echokammern zu versinken – „Marktplätze“ zu erzeugen (Zitat Jutta Allmendinger).
Christine Wenzl: „‚Suffizienz in Kommunen‘ – Die Kommunikation zu einem Kern nachhaltigen Wirtschaftens“
Die Vortragende kommt vom BUND, Berlin, und sagte, die Botschaft der Nachhaltigkeit könne ohne Suffizienz nicht verbreitet werden. Der BUND verlangt eine Suffizienzpolitik, eine Veränderung unserer Lebensgewohnheiten und Rahmenbedingungen. Das beginne in den Kommunen als Ort, wo Veränderungen erlebbar seien – wo Veränderungen von Rahmenbedingungen als erstes sichtbar würden. Hier seien Veränderungen machbar. Es gebe bereits Anfänge für Suffizienzpolitiken in einzelnen Bereichen, wie der BUND untersucht habe, auf dessen Webseite sei ein Blog gestartet worden, auf dem heute noch einschlägige Meldungen erschienen.
Wenzl nannte Beispiele:
- Verkehr in Kopenhagen – 2020 sollen den Bewohnern 50 Prozent Radwege (Berlin 20%) zur Verfügung stehen mit komfortablen Leihsystemen.
- Hiddenhausen (Niedersachsen) fördert den Kauf alter Häuser in der Innenstadt: Abwanderung umgekehrt, Bevölkerung verjüngt, Altersdurchschnitt gesenkt. Deutschlandweit gibt es bereits 50 Kommunen, die diesem Beispiel folgen.
- Grenoble hat die Außenwerbung im öffentlichen Raum abgeschafft und freie Sicht auf die Alpen erreicht.
- Andernach als „essbare Stadt“ – auf öffentlichen Blumenbeeten wurde Gemüse angepflanzt – inzwischen 70 Nachahmer.
- München mit dem Haus der Eigenarbeiter mit Repair-Café, Wertstoffbörse, vor einem Jahr waren es bereits 250, ein Vierteljahr später schon 500.
Entscheidend ist meist die alltagspraktische Relevanz. In den Städten seien die Ideen oft gut zu vermitteln. Was, wenn die Suffizienzpolitik an Grenzen stößt, weil sie Einschränkungen fordert? Oder wenn die Bundespolitik die erhoffte Richtung konterkariert – wie der Bundesverkehrswegeplan, der in die andere Richtung läuft. Hier muss Kommunikation ansetzen. Wenzls Zwischenfazit: BUND setzt weiter auf Kommunen.
Prof. Dr. Hermann E. Ott: Die Kommunikation zur Wachstumswende – Projekt Fokus Wachstumswende
Der frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete Ott – Mitglied der Enquetekommission „Wohlstand, Wachstum, Lebensqualität“ – ist an seine frühere Wirkungsstätte zurückgekehrt: Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Ott: Die G20 hätten (unter deutscher Führung!) ein Klima- und Energieprogramm „für Wachstum“ verabschiedet – „was ist da eigentlich passiert?“
Mitglieder der Enquete-Kommission „Wohlstand, Wachstum, Lebensqualität“ seien damals als Wissenschaftler alle „große Schlachtschiffe“ gewesen, die Politiker aber nur „aus der zweiten Reihe“ gekommen. Ott hob hervor, dass die Enquete das Thema Wachstum für eine Zeit auf die deutsche Agenda gebracht habe. Alle Medien beschäftigten sich damit. Es seien in der Tat neue Wohlstandsindikatoren entwickelt worden – unterschiedlich viele von den verschiedenen Parteien.
Was gefehlt habe, sei ein Composite Indicator gegen die Magie des BIP gewesen. Einige Landesregierungen hätten einen Wohlstandsindikator entwickelt. Das habe dann der der Jahreswohlstandsbericht 2016 und 2017 im Auftrag der Bundestagsfraktion der Grünen geleistet. Und im 2013er Koalitionsvertrag stand „Indikatoren- und Berichtssystem“ zum Fortschritt der Lebensqualität. Es kam aber „Einheitsbrei statt Lebensqualität“ heraus.
„2015 hatten wir gedacht, wir hätten es mit COP21 geschafft, „da kommt ein Jahr später ein ‚Trumpeltier‘ und macht alles nieder“. Vor ein paar Jahren hätte zwar niemand gedacht, dass das Thema eine solche Relevanz bekommen würde – aber „wir brauchen Schurken“. Ott ließ es offen, ob er glaubt, dass das auch beim Wachstum möglich sein könnte. Ott verwies auf „Wie Suffizienzpolitiken gelingen“ von Manfred Linz. „Kommunikationsstrategien müssen unterschiedliche Milieus ansprechen und Botschaften framen.“ Ott wies auf Elisabeth Wehling hin, die sich damit ausführlich auseinandergesetzt habe.
Dann kam die zivile Enquete „Wohlstand, Wachstum, Lebensqualität“ als Plattform, auf der“ gestritten werden kann,“ auf Einladung Otts zustande. Sie hat eine elektronische Plattform „wachstumsende.de„, es wurden Veranstaltungen organisiert, viele davon sofort überbucht. Z.B.: „Postwachstums-Politiken in Zeiten des Rechtspopulismus“. Das Thema der Wachstumswende sollte hier mit aktuellen Diskursen verknüpft werden. Oder:“ Politikvorschläge für eine Wirtschaft ohne Wachstum“ einschließlich von Empfehlungen hinsichtlich „Kommunikationswegen für eine Wachstumswende“.
Für eine etwaige weitere Enquete-Kommission im kommenden Bundestag nannte Ott drei Themen: „Ressourcenpolitik“, „Zukunft der Arbeit“ und „Zukunft der sozialen Sicherheitssysteme“. Zum Abschluss lenkte Ott den Blick der Teilnehmer auf die mangelnden Mittel der Initiative. Es gehe um Schicksalsfragen unserer Zivilisation. Wie schnell Dinge umschlügen, habe das Thema „Ehe für alle“ gezeigt – nacheinander seien alle vorherigen Gegner umgefallen – mit Blick auf die bevorstehende Wahl.
Zweiter Tag: Dr. Joachim Borner: Innovationen im Bereich Bildung für Nachhaltige Entwicklung
Borner leitet das Kolleg für Management und Gestaltung nachhaltiger Entwicklung in Berlin. Seiner Meinung nach sind Erzählungen besser geeignet, Inhalte und Wege zu vermitteln, als reine Informationsangebote. Der Begriff „Große Transformation“ stamme von Polanyi, das müsse immer mitgedacht werden. Sie sei ein kulturell-gesellschaftlicher Wandel, der alle betreffe. Über Erzählungen könnten wir Handlungsweisen verstehen, Emotionen, wir sähen Gesichter – wichtig sei serielles Erzählen, Beschreiben unterschiedlicher Handlungsweisen, aus der Zukunft abgeleitet, Visionen, Utopien, die Präferenzen ergeben, wohin wir wollten. Wir könnten nur transmedial, partizipativ verstehen. Der Inhalt einer Erzählung entstehe interaktiv.
Wilfried Kraus: Wissenskommunikation – Prinzip Hoffnung oder aktive Zukunftsvorsorge?
Kraus, Unterabteilungsleiter im BMFB, nannte als Beispiele für Wissenschaftskommunikation zunächst die FONA-Projekte seines Ministeriums, jetzt in der dritten Phase (FONA³ – „Forschung für Nachhaltige Entwicklung erarbeitet Entscheidungsgrundlagen für zukunftsorientiertes Handeln und liefert innovative Lösungen für eine nachhaltige Gesellschaft“), und die Kopernikus-Projekte (siehe solarify.eu/kopernikus-hat-schon-viel-erreicht) – beide auf lange Zeiträume angelegt, 30 bis 50 Jahre, denn man müsse weiter voraus schauen. Wie sich Transformation und Energiewende abspielen, versucht das BMBF mit Kopernikus und FONA oder einem weiteren Projekt, der Zukunftsstadt zu erforschen.
Wissenschaftskommunikation wolle Inhalte verbreiten, zunächst für die eigene Community, dann in die Gesellschaft hinein – müsse aber verständlich publizieren. Dazu brauche es Narrative. Die könnten aber auch zur Gefahr werden, wenn sie in die falsche Richtung wiesen. „Es reicht nicht, zu denken, es sei gut, wenn die Leute das verstehen, die Menschen müssen Verhalten ändern, aus Überzeugung“. Aber längst nicht alle, die ein Narrativ verstehen, verhalten sich danach. Damit Erkenntnis entsteht, müsse Vertrauen hergestellt werden. Beispiel für ein falsches Narrativ laut Kraus – der Tesla: Seien denn 400 PS wirklich nötig? E-Autos bräuchten in der Produktion immens viel Energie, und derzeit führen E-Autos noch mit 65 Prozent fossiler Energie. Ein richtiges Narrativ schreibe nichts vor: es sei technik- und ergebnisoffen, denke effizient, lasse Alternativen zu. Er sei zwar ein Fan der Energiewende – aber noch sei erst ein Bruchteil der Energiewende erreicht, aber für sehr teures Geld, klagte Kraus.
Nachhaltiges Wirtschaften und Finanzwesen: Seit sieben Jahren versuche das BMBF – erfolglos – die Finanzwirtschaft zu überzeugen, gemeinsam über die Transformation nachzudenken. Die Finanzindustrie sei ein extrem schwieriger Partner.
Wissenschaft als Treiber: Kraus zitierte hier das IPCC als Beispiel; weil nahezu das gesamte Weltwissen zum Thema Klimawandel vereinigt sei, könne niemand mehr daran vorbei. BMBF will einen nationalen Klimakataster für jeden Kreis erstellen, jede Stadt für die nächsten 100 Jahre. „Jeder kann dann entscheiden, wie viel Schutz vor dem Klimawandel er haben will.“ Für Kraus war es dabei wichtig, darauf hinzuweisen, dass der Klimawandel nicht für alle Menschen zur Gefahr werde, „manche Regionen haben einen Nutzen davon, das müssen wir einräumen.“
Schlussrunde: „Zur historischen Würde des Begriffs Transformation zurück kommen“
Eine abschließende Podiumsdiskussion beschäftigte sich unter Leitung von Manfred Ronzheimer und Roland Zieschank noch einmal generell mit den Narrativen für die Große Transformation – es diskutierten:
- Michael Müller, Parlamentarischer Staatssekretär a.D., Ex-Vorsitzender Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe
- Ernst-Christoph Stolper, stellv. Bundesvorsitzender BUND, Berlin
- Christian Füller, Chefredakteur, Der Freitag, Berlin
Müller nannte als Kern der europäischen Moderne die soziale Emanzipation – aber es sei eine Veränderung geschehen: „Durch die Entfaltung der Produktivkräfte und Hinwendung zur Technologie wurden diese zum Ziel und waren nicht mehr der Weg“. Müller „möchte die Emanzipation bewahren“. Historische Aufgabe sei es im Zeitalter des Anthropozän, dass zwei Elemente miteinander verbunden würden:
- Die Bewahrung der technisch-ökologischen Dynamik zur Weiterentwicklung von Demokratie –
- die aber muss ihre Endlichkeit und Grenzen beachten.
Wir müssten über Suffizienz sprechen, auch wenn das schwer falle – als Konsequenz aus den Erkenntnissen des Anthropozäns. Der Transformationsbegriff werde zu unterschiedlich gebraucht und müsse geklärt werden. Der WBGU habe die Transformation zur Zukunftsvision gemacht. Man muss „zur historischen Würde des Begriffs zurückkommen“ – zu Polanyi – seine Herauslösung der Ökonomie aus den Zwängen. [Karl Polanyi beschrieb 1944 den tiefgreifenden Wandel der westlichen Gesellschaftsordnung im 19. und 20. Jahrhundert vorwiegend am historischen Beispiel Englands, als die Industrialisierung und politisches Handeln (oder besser: Nicht-Handeln) zu tiefgreifenden sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen führten. Die beiden wesentlichen Momente des säkularen Wandels waren für Polanyi die Herausbildung von Marktwirtschaften und von Nationalstaaten (nach de.wikipedia.org/Great_Transformation).]
Soziale und ökologische Einbettung
Heute geht es laut Müller nicht mehr nur um die soziale, sondern auch um die ökologische Einbettung. Dazu müsse mit den gesellschaftlichen Kräften zusammengearbeitet werden. Der DGB wisse zum Beispiel ganz genau, dass die Mobilität im heutigen Zustand nicht mehr durchgehalten werden könne: Aber die IG Metall sei gar nicht ohne Autoindustrie denkbar. Stichwort Kohleausstieg: Der DGB kenne die Notwendigkeit, „denn am 31. März 1991 ist die 1,5-Grad-Grenze vom Bundestag beschlossen worden, das weiß der Bundestag aber heute nicht mehr. Die ökologische Debatte muss zur Diskussion über die Zukunft der Gesellschaft werden.“
„Entschuldigung! ein Scheißbegriff“
Zieschank fragte Christian Füller, ob das für ihn ein Thema sei, ob er das als Kommunikationsaufgabe sehe, ob es eine neue Herausforderung für die Medien gebe, sich des Themas Anthropozän anzunehmen. Der antwortete, Gesellschaft und Politik ließen sich nicht einfach einen Plan überwerfen, es handle sich um eine Auseinandersetzung von Interessengruppen. Transformation sei, „Entschuldigung! ein Scheißbegriff“ – man müsse ihn aufbrechen in kleine Geschichten, welche die Leser interessierten.
Job der Journalisten sei es, Themen aufzugreifen, die nicht genügend diskutiert würden. Alle sagten, die Zeitungen würden sterben, das stimme aber nicht. Das Narrativ sei überhaupt nicht tot. Der Freitag habe jede Woche eine lange Strecke mit 20.000, manchmal 30.000 Zeichen, da könne man etwas erzählen, Themen setzen, etwas erklären. Beispiel: Schwalben sterben aus, weil Insekten aussterben – ein Thema zum großen Begriff Biodiversität. Hamburg-Scheunenviertel sei eine fürchterliche Diskussion, „wir sagen, eigentlich ist es richtig, einen Twingo zu verbrennen, weil das ist ein super globalisiertes Auto, mit dessen Bau Menschen ausgebeutet werden, aber natürlich ist es eine Sauerei ihn zu verbrennen, denn da entstehen schlimme Rückstände“.
Werte, Ziele besser als Narrative
Stolper glaubt nicht, „dass wir über Narrative die Welt retten“. Werte, Ziele seien besser; wo seien die eigentlich? Er nannte zwei starke Motive:
- Zeit und Lebensqualität. Politik entwickle sich an Widersprüchen, Transformation sei keine Harmonieveranstaltung
- Gerechtigkeit – sie sei ein ganz zentraler Begriff, der erfahrbar gemacht werden müsse. Die Umweltverbände müssten „halt auch einmal etwas gegen die SUVs machen“. Handgreifliche Projekte seien nötig: Etwa die Entfernungspauschale streichen gegen Freifahrt mit dem ÖPNV.
Füller widersprach: Narrative seien im Journalismus gegenwärtig „wahnsinnig wichtig“ für die großen Beiträge, wenn sie die Leser erreichen wollten.
Transformation soll nicht, wie Nachhaltigkeit, zu „leerem Plastikbegriff“ werden
Warum die TTIP-Kampagne so erfolgreich gewesen sei, fragte Ronzheimer Stolper: Der nannte zwei Gründe: das Gefühl der Machtlosigkeit, des Nicht-mehr-Einfluss-Nehmen-Könnens und die Finanzkrise.
Müller berichtete, man habe für eine große Tagung von Kirchen und Gewerkschaften einen Begriff gesucht, der sei dann von den Gewerkschaften gekommen und habe erstaunlicherweise Transformation gelautet. Eben wachse wieder ein Interesse an Politik, was aber fehle sei ein klares Bild, eine Zielsetzung:“ Ist das neue Bündnis lediglich ein Abwehrkampf oder eine Zielvorstellung?“ Er habe damals den Begriff Transformation mit entwickelt, wolle aber „vermeiden, dass er wie die Nachhaltigkeit zu einem leeren Plastikbegriff“ werde. Er betonte die prinzipielle Notwendigkeit, zu einem Umdenken zu kommen, denn aus einst lokal spürbaren Umweltschäden sei eine weltweite Globalisierungskrise geworden. Der Konflikt werde verschärft durch die Finanzmarktströme in einer entgrenzten Welt, die ihrerseits aber gleichzeitig sofort wieder an ihre Grenzen gerate. „Das muss aufgebrochen werden, das kann die Politik nicht, das System Merkel der Lähmung schafft das nicht. Die Politik ist noch in der alten Welt verhaftet.“
Füller gab ihm recht, fügte aber an, die Digitalisierung sei die gegenwärtige Revolution – Google, Facebook und Microsoft bräuchten gar kein Geld mehr von außen, seien daher nicht mehr regulierbar. Müller hielt dagegen, die Globalisierung der Umweltbeschädigung sei erst in den vergangenen 30 Jahren unglaublich eskaliert. Wir hätten bereits heute einen Teil der Welt abgeschrieben. Zieschank meinte, die Globalisierungsgewinne seien am Ende, es entstehe ein neuer Nationalismus mit einer Spaltung der Wirtschaft. Damit sei eine internationale gesellschaftliche Regulierung nicht mehr möglich.
Ronzheimer fragte im Blick auf die Bundestagswahl, ob der Stein, den man da mit der Transformation rolle, nicht zu groß sei. Müller beklagte, dass wir – in der aktuellen Kurzfristigkeit – immer mehr Prozesse in Gang setzten, die weit über uns hinauswiesen. Die Reaktionen auf vieles, was die Atomendlager-Kommission erreicht habe, seien jedoch praktisch „gleich Null“.
- Hauptverursacher der ökologisch-globalen Schäden sind nicht die Hauptbetroffenen – die sind auf tragische Weise die Ärmsten der Welt
- Zeitverzögerung zwischen Ursache und Wirkung, Klimawandel hat eine Vorlaufzeit von 5 Jahrzehnten
Das G20-Ergebnis sei eine Schande, eine Armutserklärung der Politik, die müssten sich schämen, müssten den Chaoten dankbar sein, dass deren Randale von ihrem Scheitern ablenke. Stolper warf ein, dass man sehr aufpassen müsse, nach dem Verlust der sozialen Frage nicht auch noch die Demokratiefrage zu verlieren. „Die Politik flieht vor Trump und rettet sich in alte feststeckende Verhaltensweisen.“
Leitmotiv: „Internalisierung externer Kosten“
Die Umweltverbände hätten zwei Jahrzehnte ein Leitmotiv gehabt: „Internalisierung externer Kosten, aber wir haben den Staat nicht, der das durchsetzt. Durch die soziale Spaltung haben wir aber das Moment verloren, denn gewisse Dinge müssten dann teurer werden.“ Ex-Staatssekretär Stolper: „Wenn wir lediglich die Transformation als unser Prinzip gegen Merkels TINA-Prinzip festschreiben, dann werden wir verlieren.“ Man müsse vielmehr Ross und Reiter benennen, die sich an der Politik bereichern, „wir müssen in den Konflikt gehen“.
Füller nannte als Hauptproblem die FDP („die Ein-Mann-Digitalisierunspartei“), dagegen stünden die Verzicht predigenden Grünen auf verlorenem Posten. Die schwiegen zu Uber, eine drohende tiefgreifende Umwälzung, aber wenn die kämen, sei der Taximarkt weg, das soziale Modell der Mobilität kaputt, das nenne man Disruption. Die FDP werde das Personenbeförderungsgesetz wegzuwischen versuchen. Sie seien die neuen Piraten, professionell und modern. Diese Wahl werde richtig wichtig, weil sie möglicherweise einen Markt, einen Wettbewerb neuen Typs bringe.
Einmischen!
Zieschank zeigte sich optimistischer in Bezug auf die Politik, er habe den Eindruck, dass die deutsche Automobilindustrie wegen der chinesischen Festlegung E-Mobilität kurz vor der Panik stehe, „da entsteht ziemlicher Druck in Richtung Transformation, in Richtung großer Entscheidungen“. Füller hielt dagegen, man müsse sich sehr wohl auch in die kleinen Fragen einmischen. Es reiche nicht, zu sagen, „egal wie die Wähler entscheiden, wir haben die großen Fragen“. Man müsse sich in den Wahlkampf einmischen. Stolper – selbst Mitglied der Grünen, wies daraufhin, dass die FDP einfach angreife, während die Grünen bereits unter den Stühlen verschwinde, wenn das Wort Verzicht falle. In Berlin ärgerten sich sicher viele Autofahrer über die Politik , aber die, welche sich über Autofahrer ärgerten seien sicher mehr. Nach der Wahl würden Schwarze und Gelbe Roten und Grünen und den Gewerkschaften die Schuld zuschieben. „Wer den Konflikt aufnimmt, wird gewinnen, wer ihm ausweicht, wird verlieren.“
Müller als Vorsitzender der Naturfreunde bleib bei der Grundposition, dass es heute darauf ankomme, das Soziale mit dem Ökologischen offensiv zu verbinden. „Das ist eine Auseinandersetzung um unterschiedliche Macht- und Lebensmodelle – das muss ganzheitlich angegangen werden. Es mangelt der Umweltbewegung an diesem ganzheitlichen Angang.“ Sein Problem sei, dass er bei Rot-Rot-Grün nicht erkenne, dass sie ein sozial-ökologisches Fortschrittsmodell habe. Wenn man etwas beseitigen wolle, müsse man wissen, wofür man es beseitige.
Autor: Gerhard Hofmann