TTIP: Gefahr für deutsche Spezialitäten?
Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) hat angekündigt, man könne „nicht mehr jede Wurst und jeden Käse als Spezialität schützen“, wenn das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA komme. Der Schutz für deutsche Spezialitäten wie Schwarzwälder Schinken, Dresdner Stollen oder Nürnberger Rostbratwürste könnte bald gelockert werden. Dem Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL sagte er: „Wenn wir die Chancen eines freien Handels mit dem riesigen amerikanischen Markt nutzen wollen, können wir nicht mehr jede Wurst und jeden Käse als Spezialität schützen“.
Schmidt erwartet, dass viele europäische Hersteller regionaler Spezialitäten ihre Privilegien durch das Freihandelsabkommen TTIP verlieren. Die geltenden EU-Regeln für regionale Lebensmittel seien „sehr bürokratisch“. Die EU schütze auch solche Spezialitäten, deren Grundstoffe längst nicht mehr nur in ihren Heimatregionen hergestellt werden, so Schmidt.
Bisher sind bestimmte regionale Produkte besonders geschützt. Die Gütezeichen „g.U.“ (geschützte Ursprungsbezeichnung), „g.g.A.“ (geschützte geografische Angabe) und „g.t.S.“ (garantiert traditionelle Spezialität) wurden von der EU schon im Jahre 1992 zur Förderung traditioneller Lebensmittel eingeführt. Das Zeichen „g.U.“ garantiert, dass die Erzeugung, Verarbeitung und Herstellung eines Lebensmittels in einem bestimmten Gebiet nach einem festgelegten Verfahren erfolgt ist. Ein Beispiel ist der „Allgäuer Emmentaler“: Nur Milch aus dem Allgäu darf zur Herstellung verwendet werden.
Die Äußerungen des Ministers sorgen für Kritik beim Koalitionspartner SPD. „Der Minister liegt falsch“, sagte die SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering im Gespräch mit der WAZ. „Regionale Produkte sind ein Zeichen von Qualität und geben den Verbrauchern Orientierung. Das darf durch TTIP nicht infrage gestellt werden. Wer will schon bayerisches Bier aus Florida?“
Kritik kommt auch von den Grünen: „TTIP wird europäische Verbraucherschutzstandards aushebeln“, warnte die Bundesvorsitzende Simone Peter. Dem widersprach Schmidt: „Mir geht es darum, dass unsere Standards so bei uns selbst eingehalten werden, dass wir sie mit guten Argumenten den Amerikanern als Lösungsvorschlag präsentieren können.“ Wenn der Missbrauch in Europa selbst stattfinde und in die USA überschwappe, „werden unsere Argumente dünn“.
„Gegen den durchsichtigen Angriff der Bundesregierung auf die europäische Essens- und Genusskultur verwahren wir uns strikt“, sagte der baden-württembergische Verbraucherminister Alexander Bonde (Grüne). „Spezialitäten wie der Schwarzwälder Schinken und die Schwäbische Maultasche stehen für eine lange und reiche kulinarische Tradition im Genießerland Baden-Württemberg. Dass der Schutz solcher Spezialitäten jetzt für das Freihandelsabkommen TTIP geopfert werden soll, bestätigt unsere Befürchtungen. Der jetzige Verhandlungsstand des Freihandelsabkommens ist erkennbar nicht dazu geeignet, unsere hohen Standards zu halten.“
Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer der Spitzenverbände der deutschen Lebensmittelwirtschaft, sagte der „Bild“-Zeitung, regionale Spezialitäten müssten auch regionale Spezialitäten bleiben: „Wir wollen keine Original Nürnberger Rostbratwürstchen aus Kentucky.“
Verbraucherschutz-Chef Klaus Müller: „Kein Schwarzwälder Schinken aus Texas und kein ,Made in Germany‘ aus Disneyland.“ Ähnlich äußerte sich Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke).
Unterstützung bekommt Schmidt vom Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks. Dessen Präsident Peter Becker sagte gegenüber der „Bild“, Schutz dürfe es nur „für echte Spezialitäten wie Dresdner Stollen“ geben, nicht für jede Brotsorte. Der Chef des Milchindustrieverbands, Eckhard Heuser, warnte vor „übermäßigen Schutz“ für „bürokratischen Popanz und Protektionismus“.
In der Rundschau des Bayerischen Fernsehens versuchte Schmidt nachzubessern: Die EU-Kommission müsse vor den Verhandlungen mit den USA über den Handelsvertrag TTIP deutlich machen, dass Herkunftsbezeichnungen geschützt werden müssten. Die regionalen Schutzstrukturen müssten allerdings stringent sein. Nur so könne man sie den Amerikanern vermitteln. Bayerisches Bier müsse aus Bayern, fränkischer Bocksbeutel aus Franken stammen. Das schaffe Transparenz für Verbraucher und schütze kleine Hersteller aus den Regionen.
Dem SPIEGEL sagte Schmidt noch, dass der US-Handelsbeauftragte Michael Froman Bereitschaft signalisiert habe, im Handelsabkommen Ausnahmen für mit Chlor desinfizierte Hühnchen zu akzeptieren: „Ich habe den Eindruck, die USA haben verstanden, dass Chlorfleisch in Europa nicht vermittelbar ist“, sagt Schmidt. Die US-Beamten hätten sich auch erstmals offen für eine Kennzeichnung von Gentechnik-Lebensmitteln gezeigt.
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