An-Institut der Stiftung Weltethos
an der Universität Tübingen

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Ökonomie-Studium: einfallsloses Neo

Wirtschafts-Studenten klagen über Einheitsbrei

PluraleÖkonomik
 
Video aus plusminus (SR) vom 03.06.2015 verfügbar bis 02.06.2016Play
Viele Studierende in Deutschland sind unzufrieden mit dem Lehrangebot in den Wirtschaftswissenschaften. Was ein Spötter einmal als „Unterabteilung der spekulativen Psychologie“ ab tat – in der Tat stimmte bis heute noch keine einzige der Prognosen der so genannten „Wirtschaftsweisen“ – ist für die übergroße Mehrheit „zu theoretisch, zu formalistisch, zu wirklichkeitsfremd“, schreibt Hermann G. Abmayr über seinen sehenswerten Beitrag in der ARD-Sendung plusminus vom 03.06.2015logo_website_newBundesweit haben sie sich inzwischen im Netzwerk „Plurale Ökonomik“ zusammengeschlossen, es gibt bereits Gruppen an 24 Universitäten zwischen Hamburg und München.
Keine Ethik
„Ich hatte in fünf Jahren Studium hier nichts zum Geldsystem, keine Wirtschaftsgeschichte“, berichtet Lino Zeddies von der Fachschaft Wirtschaftswissenschaften der Freien Universität (FU) Berlin und Sprecher der „Pluralen Ökonomik“. Weder habe man sich mit der Finanzkrise auseinandergesetzt, noch spiele das Fach Ethik beim Wirtschafts-Studium eine Rolle (obwohl es in Frankfurt inzwischen einen eigenen Lehrstuhl Wirtschaftsethik gibt) – geschweige denn, dass man über politische Zusammenhänge wirtschaftlicher Entwicklungen etwas erfahre. Ebenso Fehlanzeige bei Themen wie Hunger, Klimawandel und soziale Ungleichheit.
Nur noch Neoliberalismus
Die Wirtschaftswissenschaften lehren dagegen stur fast nur noch eine Denkschule: die Neoklassik, die der Frankfurter Mathematiker zu Recht „wissenschaftlich verbrämte Ideologie“ genannt hat (FAZ), und  in der eigentlich längst überholte wirtschaftsliberale Theorien dominieren: „Gut sind, grob gesagt, niedrige Steuern, niedrige Löhne, Privatisierung des öffentlichen Eigentums und der Altersvorsorge. Eher schlecht ist alles, was nach Sozialstaat riecht.
Auch fast alle Fernseh-Professoren [im Beitrag passieren u.a. Bildschirmbewohner wie Sinn, Rürup oder Raffelhüschen], die durch die Talkshows reisen und hoch bezahlte Vorträge halten, vertreten die neoliberale Lehre. Dass genau diese Politik bei der Weltwirtschaftskrise millionenfaches Elend gebracht und den Nazis geholfen hat, das ist im Lehrplan bestenfalls ein Randthema. Dass die Lage in Südeuropa heute durchaus vergleichbar ist, fehlt oft genauso.“ Zeddies verweist auf Griechenland: „Wenn ich diese Auswirkungen sehe bei Griechenland, wie da die Menschen massenweise arbeitslos werden, keine Krankenversicherung mehr haben, dann brenne ich natürlich auch dafür, was zu verändern und sehe um so mehr, dass sich an der Lehre etwas ändern muss.“
sr logoSR-Autor Abmayr berichtet über einen Aktionstag an der Freien Universität Berlin – dort schmückten die Studierenden den Fachbereich, macten die grauen Wände bunter. So bunt und vielfältig sollten auch die Lehrpläne sein, fordetern sie. Verkleidet als Adam Smith, Karl Marx und John Maynard Keynes machten sie in Vorlesungen darauf aufmerksam, dass deren Theorien an der Uni gar nicht, kaum, oder – wie im Falle von Adam Smith – falsch gelehrt würden.
„Wirtschaft hat wissenschaftlichen Status verloren“
Franz Josef Radermacher vor Hörsaal - Foto © zak.kit.eduDie Gruppe fordert denn auch „Theorienvielfalt, Methodenvielfalt, Pluralismus und nicht solchen Firlefanz, den wir heute hier machen.“ Ein Professor weist die Vorwürfe zwar pflichtschuldigst zurück – das aber ändert wenig am Unbehagen über die Lage der Wirtschaftswissenschaften heute in Deutschland. Die deutschen Wirtschaftsprofessoren wollen jedenfalls bei der Tagung des Vereins für Socialpolitik im September über die studentischen Forderungen diskutieren.
Wenn sich nichts ändert, behält Ortlieb Recht: „Ich stelle bei der Lektüre von VWL-Lehrbüchern regelmäßig fest, dass die Wirklichkeit der kapitalistischen Wirtschaft dort gar nicht reflektiert wird. Stattdessen werden die eigenen ideologischen Vorurteile in mathematische Modelle gegossen und diese der Wirklichkeit einfach übergestülpt. Damit hat aber in der Tat das Fach Wirtschaftswissenschaft seinen Gegenstand letztlich aufgegeben und streng genommen seinen wissenschaftlichen Status verloren.“
TV-Autor Abmayr resümiert: „Die VWL-Studenten von heute sind die Politiker, Konzernlenker und Journalisten von morgen. Wenn sie nur eine Denkschule kennen, wie sollen sie dann sozial ausbalancierte Ideen für die Zukunft entwickeln? Es sei denn, das wäre tatsächlich gar nicht gewollt.“
->Quellen:

Über den Autor:

Gerhard Hofmann

Gerhard Hofmann

Dr. Hofmann war bis 2008 TV-Redakteur, u.a. ARD-Korrespondent Südamerika und Chefreporter SWF, Chefkorrespondent n-tv und RTL. Als Chef der Agentur Zukunft, berät im Bereich der erneuerbaren Energien und Nachhaltigen Entwicklung, u.a. die Desertec Initiative Dii, das IASS Potsdam, acatech und die ...