Die Corona-Krise zwingt uns zur Besinnung auf das, was wirklich wichtig ist und in die Zukunft trägt. Dazu gehört die Menschlichkeit: Unter dem Druck der Krise erleben wir sie einerseits besonders intensiv und gerne als Mitmenschlichkeit, Hilfsbereitschaft und Sorge füreinander. Andererseits ist es mit dem „Gefühl des Wohlwollens für alle Menschen“ (Diderot) nicht weit her, wenn Menschen im Kampf um ihre Freiheit ihre eigenen Interessen rücksichtslos über die Ansprüche anderer stellen. So wird uns in der Krise bewusst, dass Menschlichkeit stets gefährdet und nie ganz gewonnen ist. Soll sie von Dauer sein, dann braucht Humanität stützende und schützende Formen und Halt in Haltung, Konventionen und Kultur.
In den großen religiösen und philosophischen, aber auch wissenschaftlichen Traditionen der Menschheit sind diese Formen der Menschlichkeit immer wieder kultiviert worden. Hans Küng hat deshalb stets die Besinnung auf das Prinzip Menschlichkeit ins Zentrum seines Projekts Weltethos gestellt. In dieser gemeinsamen Ringvorlesung des Weltethos-Instituts, des China-Zentrums Tübingen und des Erich-Fromm-Instituts wollen wir zur Besinnung darauf einladen, was Menschlichkeit traditionell heißt – und was wir aus diesen Traditionen in den Zeiten der Pandemie und für das zukünftige menschliche Miteinander lernen können. Die Ringvorlesung findet als Zoom-Webinar statt, Gastgeber ist Dr. Bernd Villhauer vom Weltethos-Institut.
Anmeldung und Programm
Ringvorlesung Kulturen der Humanität
Die Veranstaltung findet als Zoom-Webinar jeden Montag Abend ab 18.15 Uhr statt. Registrieren Sie sich jetzt auf dieser Anmeldeseite. Sie erhalten dann einen personalisierten Link an die angegebene E-mail-Adresse. Wenn Sie einmal angemeldet sind, können Sie an jeder folgenden Sitzung mit dem gleichen Link teilnehmen.
03. Mai 2021
Humanität der Kulturen – Kulturen der Humanität
Prof. Dr. Dr. Ulrich Hemel, Weltethos-Institut an Universität Tübingen
10. Mai 2021
Humanismus für Organisationen und Unternehmen
Prof. Dr. Marcel Meyer, Universität von Navarra
In Zeiten der Krise und der Bedrohung suchen wir nach Orientierungen. Was gilt? Wie können wir unser Denken und Handeln auf die neuen Situationen einstellen? Unsere Ringvorlesung „Stadtgespräch Weltethos – Kulturen der Humanität“ beschreibt wichtige Orientierungsversuche, die sich auf den Grundwert der Humanität beziehen. Was lernen wir aus den Humanismen der Vergangenheit und Gegenwart für die Zukunft? Wie berücksichtigen wir den Maßstab Menschlichkeit? Prof. Ulrich Hemel, der Direktor des Weltethos-Instituts, hat am 3. Mai den Anfang gemacht mit seinem Übersichtsvortrag zu Formen der Humanität. Unter dem Titel „Humanität der Kulturen – Kulturen der Humanität“ führte er Denkmuster und Ansätze vor, die Humanität als Leitprinzip ernst und beim Wort zu nehmen. Dazu gehören Anwendungsbeispiele in konkreten Kontexten. Das wird in der aktuellen Veranstaltung der Ökonom und Wirtschaftsethiker Prof. Dr. Marcel Meyer aus Navarra fortführen. Er erläutert, wie und warum Humanität ein Maßstab bei der Organisationsentwicklung, in den Herausforderungen der modernen Arbeitswelt und im Konkurrenzdruck sein kann.
17. Mai 2021
Humanität in chinesischen Traditionen
Prof. Dr. Helwig Schmidt-Glintzer, China Centrum Tübingen
Trotz aller berechtigten Kritik an der gegenwärtigen chinesischen Politik können wir von einer langen Tradition der Humanität, von humanistischen Traditionen in China sprechen. Um diese besser zu verstehen, müssen wir ansehen, wie und warum die Frage nach dem Humanismus in Achsen- und Umbruchszeiten gestellt wird. Der Konfuzianismus beispielsweise hat auf solche Krisen- und Umbruchszeiten mit einem Programm geantwortet, das als humanistisch bezeichnet werden kann, da es den Menschen und seine Entwicklungsmöglichkeiten, seine Zivilisierung in den Mittelpunkt stellt. „Bildung“ ist dabei der Schlüsselbegriff. Der chinesische Humanismus ist ein Bildungshumanismus. Da es in der chinesischen Tradition immer Vielfalt und Beweglichkeit gab, dabei ideologische Verhärtungen und „-ismen“ eigentlich abgelehnt wurden, können wir hoffen, dass die humanistischen Ansätze Chinas auch zu einem partnerschaftlichen kosmopolitischen Denken führt. Der Weg dorthin könnte allerdings noch lange sein.
24. Mai 2021
Pfingstpause – Keine Vorlesung
31. Mai 2021
Hebräischer Humanismus bei Martin Buber
Prof. Dr. Hans-Joachim Werner, Martin-Buber-Gesellschaft
Wer war Martin Buber? Der Vortrag beschreibt ihn als Religionswissenschaftler und Sozialphilosophen, als Soziologen und Sprachwissenschaftler. In jedem Fall, so Prof. Werner, Ehrenvorsitzender der Martin Buber-Gesellschaft, war er ein Grenzgänger, der die Begegnung und den Dialog als Grundthemen in vielerlei Perspektiven aufgriff. Für das Thema des Humanismus ist die Begegnung und der Austausch zwischen Orient und Okzident wesentlich. Im Hebräischen Humanismus verschmelzen Elemente der europäischen Aufklärung mit dem religiösen Erbe. „Humanismus ist Glaube an den Menschen“, das bedeutet bei Buber, dass der Mensch als sprachliches Wesen und als historisches Wesen, aber auch als religiöses Wesen ernst genommen wird. Er lebt in der sprachlichen Überlieferung, er erlebt die Sprache immer als Ansprache – durch Gott wie durch die Menschen. Daher trennt der Hebräische Humanismus die Gottesliebe auch nicht von der Menschenleibe – beides ist immer verbunden. Diese Verbindung bleibt in der säkularisierten Gesellschaft prägend und liefert in ihr Antworten auf die Krisen der Gegenwart.
07. Juni 2021
Lässt sich Humanität wissenschaftlich begründen? Erich Fromms humanistische Sicht des Menschen
Dr. Rainer Funk, Erich Fromm Institut Tübingen (EFIT)
Für Erich Fromm, den Autor der bekannten Bücher „Kunst des Liebens“ und „Haben oder Sein“ war der Begriff des Humanismus zentral. Er sprach und schrieb von humanistischer Wissenschaft, aber auch von humanistischem Management, humanistischem Sozialismus, einer humanistischen Psychologie sowie von den Projekten einer Humanisierung der Technik, der Gesellschaft oder der Wirtschaft. Sein Humanismus darf aber nicht als romantisch-gefühlige Welt der Wünschbarkeiten verstanden werden, sondern als Ergebnis einer wissenschaftlichen Analyse des Menschen, seiner psychischen Entwicklung und sozialen Verfasstheit. Das Individuum, immer wieder von Irrationalität, Destruktivität, Konformismus und Autoritätsgläubigkeit verführt, hat dennoch einen starken Hang zur Erkenntnis seiner sozialen Welt und einer echten Gemeinschaft mit anderen. Aus diesen tiefen Quellen der menschlichen Selbstdefinition und der grundlegenden menschlichen Bedürfnisse speist sich die Utopie eines konkreten Humanismus bei Fromm.
14. Juni 2021
Christlicher Humanismus
Prof. Dr. Johanna Rahner, Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Tübingen
In der Vorlesungsreihe „Kulturen der Humanität“ spricht am Montag, den 14. Juni 2021 ab 18 Uhr c.t. Frau Prof. Dr. Johanna Rahner, Professorin für Dogmengeschichte und Ökumenische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen, zum Thema „Christlicher Humanismus“. Um dieses Feld zu beleuchten, geht sie sowohl auf die Frage nach einer heute angemessenen Bestimmung des ‚Wesens des Christentums‘ wie auf die Beziehungen zwischen der Katholischen Kirche und der modernen Gesellschaft ein. Um die Zugänge zum Humanen und zum Humanismus zu beschreiben, werden daher sowohl kirchenpolitische als auch dogmengeschichtliche Perspektiven aufgegriffen. An ihren Impulsvortrag schließt sich ein Gespräch mit Dr. Bernd Villhauer vom Weltethos-Institut an.
21. Juni 2021
Islamischer Humanismus
Prof. Erdal Toprakyaran, Zentrum für islamische Theologie der Universität Tübingen
Welchen Stellenwert hat der Humanismus im islamischen Denken, in der islamischen Theologie und Kultur? Prof. Dr. Erdal Toprakyaran, Direktor des Zentrums für Islamische Theologie (ZITh) an der Universität Tübingen, arbeitet schon seit vielen Jahren als Islamwissenschaftler und Historiker daran, die Vielfalt der Zugänge zu einem islamischen Humanismus zu beschreiben. Dabei ist ihm das Verhältnis des Islams zur Moderne ebenso wichtig wie die geschichtlichen Wurzeln eines humanistischen Islams. Die gegenwärtigen Herausforderungen und die geschichtlichen Potenziale nimmt er gleichermaßen in den Blick. Nicht nur im Sufismus, sondern auch in anderen Strömungen und Denkschulen, in Mystik, Moral und Sozialphilosophie des Islam findet Prof. Toprakyaran Ansätze für einen Dialog mit den anderen Religionen und Gemeinsamkeiten als Grundlage eines Humanismus für das 21. Jahrhundert.
28. Juni 2021
Humanität in der Weltliteratur
Dr. Jonathan Keir, Karl Schlecht Stiftung
‚Good fiction is partly a bringing of the news from one world to another,‘ so Raymond Carver. Clive James hat den Humanismus als die endlose kreative Verbindung zwischen einzelnen Beiträgen aus der menschlichen Vergangenheit beschrieben. In dieser Vorlesung wird eine Vision der Weltliteratur präsentiert, die mit den von Hans Küng, Tu Weiming und Erich Fromm verkörperten ‚Kulturen der Humanität‘ vereinbar ist.
05. Juli 2021
Humanismus in der Literatur: Das Beispiel Hermann Hesses
Prof. Dr. Karl-Josef Kuschel, Professor em. der Fakultät für Katholische Theologie der Universität Tübingen
Die Erschütterung des humanistischen Menschenbildes – Hermann Hesses Krisensommer 1919 und seine literarischen Folgen
Nach einem kontinuierlich Aufstieg als vielbeachteter Schriftsteller zwischen 1904 und 1916 gerät Hermann Hesses Leben ins Wanken. Bedingt durch die Erfahrungen des völkermordenden Weltkriegs und eine schwer familiäre Krise, ist Hesse gezwungen, sich tiefenpsychologischer Behandlung zu unterziehen. Die Erschütterung eines sich selbst vervollkommenen humanistischen Welt- und Menschenbildes ist beispiellos und spiegelt sich ab 1916 in neuen literarischen Texten von „Demian“ bis „ Klingsor“ in einer Radikalität, die im bisherigen Werk von Hesse ohne Beispiel ist.
12. Juli 2021
„Die Würde des Menschen ist antastbar“ – Literatur als Seismograf
Prof. Dr. Jürgen Wertheimer, Professor em. für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik der Universität Tübingen
Ist die Würde des Menschen wirklich unantastbar – so wie das Grundgesetz es behauptet? Diese Frage haben sich schon viele gestellt. Manch eine/r hätte sich im Grundgesetz wohl eine eindeutigere Formulierung gewünscht, etwa: „Die Würde des Menschen darf unter keinen Umständen und von niemandem angetastet werden.“ Auch in dieser Version bliebe noch definitionsbedürftig, was eigentlich genau mit Würde, was mit dem Antasten einer Würde und wer mit dem generischen Ausdruck der Mensch erfasst ist.
Das Prekäre: ein Dom von ebenso abstrakten wie monumentalen Wörtern überwölbt eine oft jämmerlich banale, gemeine Wirklichkeit und wenn es hart auf hart geht oder darum Interessen durchzusetzen, stehen die demokratischen Systeme oft genug mir leeren Händen da. Was können wir tun, um aus der Falle unserer selbstgesetzten hohen Ansprüche herauszukommen und uns näher an die krude Wirklichkeit heranzutasten? An die Welt der Ungleichheit, des Rassismus, der Übertragung von Verantwortung an KI und der Auslöschung des tradierten Menschenbildes durch biogenetischen Umbau? Die Antwort: Hinschauen – Vorausdenken – Reagieren. Die Literatur macht vor, wie es gehen könnte.
Am 19. Juli 2021 findet die Ringvorlesung „Kulturen der Humanität“ nicht statt.
26. Juli 2021
Abschlussgespräch mit Prof. Hemel und Dr. Villhauer
Moderation: Dr. Christopher Gohl MdB
Die Corona-Krise zwingt uns zur Besinnung auf das, was wirklich wichtig ist und in die Zukunft trägt. Dazu gehört die Menschlichkeit. Diese haben wir im Rahmen der Ringvorlesung “Kulturen der Humanität” – einer gemeinsamen Reihe mit dem China Centrum Tübingen und dem Erich-Fromm-Institut – aus verschiedenen kulturellen Perspektiven betrachtet. Was haben wir gelernt? Wo liegen die größten Herausforderungen, wo die Möglichkeiten zur Förderung von Kulturen der Humanität im 21. Jahrhundert?
Diesen Fragen gingen der Gastgeber der Ringvorlesung, Dr. Bernd Villhauer, mit Institutsdirektor Prof. Dr. Dr. Ulrich Hemel und unter der Moderation von Dr. Christopher Gohl MdB, nach.
Die für den 26. Juli geplante Abschlussvorlesung „Kulturen der Humanität und der Globale Süden: Das Konzept buen vivir mit Prof. Dr. Dr. Russel West-Pavlov findet aus Krankheitsgründen nicht statt.